
Sakrale Schwimmbäder und kreative Kaufhäuser: Die große Transformation
Entweih-Wasser und Andershäuser
„Stellen Sie sich vor: Sie schwimmen auf dem Rücken und blicken auf ein Kirchengewölbe mit Buntglasfenstern!” Mit diesen Worten beschreibt Winy Maas von MVRDV seine Vision für die St. Franziskus-Kirche im niederländischen Heerlen. Was nach Blasphemie klingt, ist tatsächlich ein durchdachtes Konzept: „Holy Water” verwandelt den sakralen Raum in ein öffentliches Schwimmbad – mit höhenverstellbarem Poolboden, der bei Bedarf eine spiegelnde Wasserfläche schafft, auf der Besucher buchstäblich „über Wasser wandeln” können.
Während im Furttal die reformierte Kirchgemeinde ihre mittelalterliche Kirche in Dällikon zum Verkauf ausschreibt und nach kreativen Umnutzungsideen sucht, zeigt das niederländische Beispiel, wohin die Reise gehen könnte. Die Kanzel wird zum Rettungsschwimmer-Ausguck, die Kirchenbänke zu Poolmöbeln, und durch geschickte Glastrennwände bleiben die historischen Kunstwerke vor Feuchtigkeit geschützt.
Doch nicht nur Gotteshäuser suchen neue Bestimmungen. In deutschen Innenstädten stehen zunehmend auch die „Kathedralen des Konsums” leer – jene Kaufhäuser, die einst als Symbole urbanen Lebens galten. Allein zwischen Juni 2023 und Januar 2024 schlossen 37 Kaufhäuser ihre Pforten. Für Architektinnen und Architekten eröffnet sich damit ein zweites gewaltiges Transformationsfeld.
Zwei Ikonen, eine Herausforderung
Die Parallelen sind frappierend: Sowohl Kirchen als auch Kaufhäuser sind monumentale Gebäude, die das Stadtbild prägen. Beide verlieren massenhaft ihre ursprüngliche Funktion – die einen durch Säkularisierung, die anderen durch den Online-Handel. Beide stehen oft unter Denkmalschutz und beide erfordern kreative Lösungen, die weit über reine Sanierung hinausgehen.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Über eine Million Menschen traten 2024 aus den Kirchen aus, während der stationäre Handel Jahr für Jahr Marktanteile verliert. Experten schätzen, dass im deutschsprachigen Raum in den nächsten zehn Jahren über 500 Kirchengebäude und Dutzende Kaufhäuser einer neuen Nutzung zugeführt werden müssen – ein Milliardenmarkt für kreative Köpfe.
Jupiter landet im Kaufhaus
In Hamburg zeigt das Projekt „Jupiter”, wie spektakulär die Transformation eines Kaufhauses gelingen kann. Das ehemalige Karstadt-Gebäude wurde zum pulsierenden Kreativzentrum, das 2024 mit dem polis Award ausgezeichnet wurde. Auf mehreren Etagen arbeiten Start-ups, Künstlerinnen und Designer, es gibt Co-Working-Spaces, Ausstellungsflächen und Veranstaltungsräume. Die Hamburg Kreativ Gesellschaft hat hier einen „bundesweiten Leuchtturm für kreative Zwischennutzung” geschaffen.
Studierende der TU Braunschweig gingen noch einen Schritt weiter und entwickelten das Konzept des „Andershauses”. Ihr Seminar deckte die komplexen Zusammenhänge zwischen dem lokalen Galeria-Karstadt und der damit verflochtenen Versorgungsinfrastruktur auf. Die Vision: Ein Kaufhaus, das nicht mehr verkauft, sondern Raum für Begegnung, Produktion und Innovation bietet.
Von der Halfpipe bis zum Seniorenwohnen
Die Bandbreite erfolgreicher Umnutzungen ist beeindruckend. In der spanischen Stadt Llanera wurde aus einer Kirche die „Skate Church” – mit Halfpipe statt Altar. In Mönchengladbach entstand 2009 aus einer Pfarrkirche eine „Kletterkirche” mit bis zu 13 Meter hohen Wänden auf über 1.000 Quadratmetern.
Bei Kaufhäusern zeigt sich ein ähnlich kreatives Spektrum: Das „Mall Anders”-Projekt der TU Berlin verwandelte eine leerstehende Kauffläche in ein Lernlabor. In Hannover entwickelte Nadine Eisenhauer ein „Contemporary Living LAB” mit einem ausgewogenen Mix aus Produktion, Einzelhandel, Arbeiten und Wohnen. Rosa Walz aus Stuttgart entwarf „BIG ideas for BIG spaces” – radikale Hybrid-Nutzungen, die das Traggerüst der 1970er-Jahre-Kaufhäuser erhalten, aber völlig neu bespielen.
Produktive Giganten
Ein besonders zukunftsweisender Ansatz ist die Nutzung für urbane Produktion. Die hohen Kirchenschiffe und die tiefen Kaufhausgrundrisse bieten ideale Bedingungen für Manufakturen und Werkstätten. In Brüssel kultiviert „Champignon Urbain” Pilze in einer ehemaligen Kirche – die konstanten Temperaturen und die Dunkelheit des Kirchenraums bieten perfekte Wachstumsbedingungen.
Bei Kaufhäusern liegt das Potenzial in den riesigen Untergeschossen, die sich für Urban Farming oder Vertical Farming eignen. Die großflächigen Etagen können zu Gemeinschaftswerkstätten, Makerspaces oder Produktionsstätten umfunktioniert werden. „Wir müssen uns von der Fokussierung auf den Handel befreien”, fordert ein Stadtplaner. Die Zukunft liegt in der Mischnutzung.
Wohnen zwischen Weihwasser und Wühltisch
Besonders spektakulär sind Wohnumnutzungen. In Wehlen an der Mosel verwandelte Anke Nuxoll-Oster eine Kirche aus dem Jahr 1668 in ein luxuriöses Ferienhaus für bis zu 24 Gäste. In England ist die Umnutzung von Kirchen zu Wohnzwecken bereits etabliert.
Bei Kaufhäusern ist die Transformation zu Wohnraum komplexer, aber machbar. Die PwC-Studie „Transformation der Innenstädte” zeigt: In A- und B-Städten können ehemalige Warenhäuser rentabel in Mixed-Use-Objekte mit Wohnen, Büro, Gastronomie und Hotel umgewandelt werden. Allerdings sind die architektonischen Herausforderungen enorm: geschlossene Fassaden, große Raumtiefen und fehlende Blickbezüge müssen überwunden werden.
Nachhaltigkeit als Imperativ
Ein gewichtiges Argument für Umnutzungen liefert die Klimadebatte. „Die graue Energie dieser Giganten ist enorm”, betont Architekt Justus Asselmeyer. Sein Team zeigte in einer Studie, wie durch „Zerteilen und Segmentieren” eines überdimensionalen Kaufhauskörpers hochqualitative urbane Räume entstehen können.
MVRDV löst in Heerlen die Herausforderung der Poolbeheizung durch externe Dachisolierung. Bei Kaufhäusern experimentieren Architekten mit Lichthöfen, die in die tiefen Grundrisse geschnitten werden. Die Botschaft ist klar: Abriss ist keine Option mehr. Die Transformation muss intelligent und nachhaltig erfolgen.
Neue Typologien entstehen
Die Transformation von Kirchen und Kaufhäusern führt zu völlig neuen Gebäudetypologien. Das klassische Konzept monofunktionaler Großbauten ist überholt. Stattdessen entstehen hybride Strukturen, die flexibel auf sich wandelnde Bedürfnisse reagieren können.
Der EAT CITY Lebkuchenwettbewerb 2024/25 von competitionline forderte Architekten auf, „essbare Umnutzungskonzepte” für Kaufhäuser zu entwickeln. Die Ergebnisse zeigen: Die Kreativität kennt keine Grenzen. Von vertikalen Farmen über Kulturzentren bis zu sozialen Treffpunkten – die neuen Nutzungen sind so vielfältig wie die Gesellschaft selbst.
Die große Chance
Für die Architekturbranche bietet diese doppelte Transformationswelle – Kirchen und Kaufhäuser – enorme Chancen. Wer sich früh positioniert und spezialisiert, kann ein zukunftsträchtiges Geschäftsfeld erschließen. Die Nachfrage nach Experten, die sowohl mit historischer Substanz als auch mit modernen Nutzungsanforderungen umgehen können, wird stark steigen.
„Wir müssen neue, kreative Ideen entwickeln”, fordert Winy Maas. Seine Vision vom Rückenschwimmen unter Kirchengewölben mag gewagt erscheinen, doch sie zeigt die Richtung auf: mutig, respektvoll und zukunftsorientiert. Ob heilige Hallen oder Konsumtempel – die Transformation dieser Ikonen ist mehr als eine bauliche Aufgabe. Sie ist eine Chance, Räume zu schaffen, die wieder Gemeinschaft stiften. Nur eben anders als früher.

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