Baukunst - Kulturminister entdeckt die Baubranche – Weimers Venedig-Vorstoß als Signal
Staatsminister Wolfram Weimer © Kay Herschelmann / BKM

Kulturminister entdeckt die Baubranche – Weimers Venedig-Vorstoß als Signal

25.05.2025
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Stuart Rupert

Staatsinteresse trifft Standesvertretung: Weimers Venedig-Vorstoß als Signal für die Baubranche

Die Ankündigung einer „Kulturbauten-Offensive“ durch Kulturstaatsminister Wolfram Weimer während seines Venedig-Besuchs zur Architektur-Biennale markiert einen berufspolitischen Wendepunkt. Was zunächst wie eine kulturpolitische Verlautbarung anmutet, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als strategisches Signal für die gesamte Planungsbranche – mit weitreichenden Konsequenzen für Kammern, Verbände und die individuelle Berufspraxis.

Honorarpolitische Dimension einer Kulturoffensive

Weimers Ankündigung, „deutschlandweit in Kulturbauten zu investieren“, ist mehr als eine kulturpolitische Absichtserklärung. Sie stellt eine implizite Antwort auf die seit Jahren schwelende HOAI-Diskussion dar. Die Bundesarchitektenkammer hatte wiederholt moniert, dass bei öffentlichen Kulturbauten die Planungsleistungen systematisch unterbewertet würden. Wenn nun prestigeträchtige Projekte wie die Paulskirche Frankfurt oder das Festspielhaus Bayreuth auf der Agenda stehen, signalisiert dies eine Bereitschaft zur angemessenen Honorierung komplexer Planungsaufgaben.

Die Verbände der Ingenieurinnen und Architekten sollten diese Gelegenheit nutzen, um ihre Forderungen nach einer Reform der Honorarordnung zu konkretisieren. Kulturbauten bieten aufgrund ihrer Komplexität und gesellschaftlichen Bedeutung ideale Referenzprojekte für eine leistungsgerechte Vergütung.

Vergaberecht im Spannungsfeld kultureller Exzellenz

Besonders brisant wird Weimers Initiative beim Thema Vergaberecht. Die angekündigten Projekte – vom Deutschen Hafenmuseum Hamburg bis zum Deutsch-Polnischen Haus – werden unweigerlich das Spannungsfeld zwischen wirtschaftlichstem Angebot und architektonischer Qualität befeuern. Die Bundesingenieurkammer hatte erst kürzlich eine Novellierung des Vergaberechts gefordert, die Qualitätskriterien stärker gewichtet.

Die Liste der geplanten Vorhaben liest sich wie ein Kompendium klassischer Vergabeproblematiken: Denkmalschutz bei der Paulskirche, komplexe Museumstechnik beim Deutschen Fotoinstitut Düsseldorf, sensible Erinnerungskultur bei den NS-Gedenkstätten. Hier zeigt sich, ob die politischen Ankündigungen in eine Reform der Vergabepraxis münden oder ob weiterhin der Preis über die Planungsqualität entscheidet.

Klimaschutzgesetze als berufspolitischer Katalysator

Weimers Verweis auf den Deutschen Pavillon „Stresstest“ und dessen „eindringlichen Umgang mit den Bedrohungen des Klimawandels“ ist mehr als kulturpolitisches Lob. Es dokumentiert die zunehmende Bedeutung klimagerechter Planung als berufspolitisches Kernthema. Die Länderkammern arbeiten bereits an neuen Fortbildungsverordnungen, die Nachhaltigkeitskompetenzen verbindlich vorschreiben.

Bundesbauministerin Hubertz‘ Betonung der „grün-blauen Infrastrukturen“ in den Baukulturellen Leitlinien des Bundes zeigt, wohin die regulatorische Reise geht. Planungsbüros, die diese Entwicklung verschlafen, werden bei künftigen Kulturbauten das Nachsehen haben. Die Kammern sind gefordert, entsprechende Qualifizierungsangebote zu entwickeln.

Internationale Berufsanerkennung durch kulturelle Leuchttürme

Weimers Forderung, die „kulturellen Leuchttürme noch heller strahlen zu lassen“, berührt auch die internationale Dimension der Berufsausübung. Deutsche Planungsbüros konkurrieren zunehmend auf dem europäischen Markt um prestigeträchtige Kulturprojekte. Die angekündigte Offensive könnte deutschen Architektinnen und Ingenieuren Referenzen verschaffen, die bei internationalen Ausschreibungen entscheidend sind.

Die Bundesarchitektenkammer sollte diese Chance nutzen, um ihre Initiativen zur gegenseitigen Berufsanerkennung in der EU voranzutreiben. Erfolgreiche deutsche Kulturbauten sind das beste Argument für die Qualität der heimischen Ausbildung.

Kammerreformen im Schatten der Kulturpolitik

Paradoxerweise könnte Weimers kulturpolitischer Vorstoß auch innerverbandliche Reformprozesse beschleunigen. Die Komplexität moderner Kulturbauten erfordert interdisziplinäre Planungsteams, die die traditionellen Kammergrenzen überschreiten. Wenn Architekten, Bauingenieure, Landschaftsarchitekten und Stadtplaner gemeinsam an den angekündigten Leuchtturmprojekten arbeiten, stellt dies die bestehenden Standesorganisationen vor neue Herausforderungen.

Die Architektenkammer Baden-Württemberg hatte bereits 2024 eine „Task Force Interdisziplinarität“ eingerichtet. Andere Länderkammern sollten diesem Beispiel folgen, bevor die Realität komplexer Kulturbauten sie überholt.

Digitalisierung als ungenutztes Potenzial

Auffällig ist, was Weimer nicht erwähnte: die Digitalisierung der Planungsprozesse. Während bei den angekündigten Kulturbauten zweifellos BIM-Standards zur Anwendung kommen werden, fehlt eine entsprechende berufspolitische Strategie. Die Kammern haben hier Nachholbedarf bei der Entwicklung digitaler Weiterbildungsformate.

Das Deutsche Studienzentrum in Venedig, das Weimer besuchte, könnte als Modell für eine europäische Vernetzung digitaler Planungskompetenzen dienen. Bislang nutzen die Standesorganisationen diese internationale Plattform zu wenig für den berufspolitischen Austausch.

Fazit: Kulturpolitik als berufspolitische Chance

Weimers Venedig-Initiative ist mehr als eine kulturpolitische Ankündigung – sie ist eine berufspolitische Vorlage, die die Standesvertretungen geschickt nutzen sollten. Die angekündigten Kulturbauten bieten die Chance, zentrale Reformanliegen von der HOAI-Novellierung bis zur Vergaberechtsreform praktisch zu erproben.

Entscheidend wird sein, ob die Kammern und Verbände diese Gelegenheit ergreifen oder ob sie sich mit der Rolle als Erfüllungsgehilfen einer staatlichen Kulturoffensive begnügen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob aus Weimers Venedig-Besuch eine echte berufspolitische Trendwende erwächst.