
Weniger ist mehr – Der Opern-Interimsbau in Nürnberg
Architektur als stille Antwort auf die Geschichte
Der temporäre Neubau der Oper Nürnberg entsteht ausgerechnet auf dem Gelände des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes. Ein Ort, der mit schwerer historischer Bedeutung aufgeladen ist. Der Entwurf des Stuttgarter Architekturbüros LRO setzt bewusst auf eine „Nicht-Architektur“ – ein klarer Gegenpol zur Monumentalität der NS-Bauten, die den Raum bis heute prägen. Kein Spektakel, kein gestalterischer Wettbewerb mit der Vergangenheit: Hier spricht das Zurücknehmen eine ebenso laute Sprache wie einst die Steinfassaden.
Die Idee der „Nicht-Architektur“
Statt einem provozierenden Kontrast wählen die Architekten einen begrünten Kubus, der mit großer Zurückhaltung agiert. Breite Glasflächen öffnen die Sicht auf die Kongresshalle und machen sie zu einem Teil des Dialogs. Diese Entscheidung ist nicht trivial: In einem Umfeld, das von gigantischen Relikten der Nazi-Architektur geprägt ist, stellt Zurückhaltung eine mutige Position dar. Es ist der bewusste Versuch, den Raum nicht weiter zu überladen, sondern ihn behutsam zu transformieren.
Die Struktur bietet Platz für 800 Zuschauer, flexible Proberäume und eine offene Zugänglichkeit für die freie Kunstszene. Der Neubau wird jedoch nicht nur ästhetisch, sondern auch funktional überzeugen müssen – und dabei die Balance zwischen Erinnerungskultur und zeitgenössischer Nutzung wahren.
Ein Gang durch die Geschichte
Besucherinnen und Besucher betreten die Spielstätte durch die monumentalen Foyers und Treppenhäuser der historischen Kongresshalle. Die Architekten setzen bewusst auf eine interaktive Verbindung mit der Vergangenheit. Der Gang durch diese Überbleibsel der NS-Megalomanie wird zu einem Erlebnis, das Fragen aufwirft: Wie gehen wir mit dieser Architektur um? Welche Rolle spielt sie heute – und wieviel Raum darf man ihr geben?
Hier schlägt die neue Oper eine Brücke: Grüne Fassaden stehen für ein neues Kapitel, während die alten Steine unausweichlich Zeugnis ablegen. Eine Auseinandersetzung mit der Geschichte wird damit nicht umgangen, sondern geradezu provoziert.
Weniger ist manchmal mehr
Kritikerinnen und Kritiker sahen zunächst ein Problem darin, dass der Neubau durch seine Zurückhaltung nicht sichtbar genug sei. Doch genau hierin liegt der Wert der „Nicht-Architektur“: Sie lässt den Ort für sich sprechen, schafft Ermöglichungsräume und nimmt den Druck von einer historischen Stätte, die ohnehin nie zur Ruhe kommt.
Inspiration zieht der Entwurf aus moderner „Hortitecture“ – dem Zusammenspiel aus Architektur und Natur. Die immergrüne Bepflanzung bildet einen klaren Gegensatz zu den kaltgrauen Steinmassen der NS-Zeit. Ein Symbol für Erneuerung und einen respektvollen Umgang mit Geschichte.
Ein Beispiel für andere Städte
Die Entscheidung, das Opern-Interim auf diesem Gelände zu bauen, ist nicht ohne Parallelen. In Berlin oder München hat man längst gelernt, pragmatisch mit belasteter Architektur umzugehen. Ob Hochbunker, Führerbauten oder Olympiastadien – oft siegt der Nutzwert über den Mythos. Nürnberg geht diesen Weg nun konsequent weiter, jedoch mit einer architektonischen Sensibilität, die weit über den reinen Pragmatismus hinausgeht.
Der Bau zeigt, dass Architektur sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst sein kann – und dabei dennoch Räume schafft, die zukunftsfähig sind. Nachhaltigkeit trifft hier auf historische Reflexion – ein Modell für andere Städte mit ähnlicher Herausforderung.
Der neue Raum für Kultur
Nicht zuletzt erfüllt der Bau ein dringendes Bedürfnis: Das Nürnberger Staatstheater benötigt während der Sanierung des Opernhauses eine angemessene Bühne. Zusätzlich schafft der Neubau Raum für die freie Szene, die schon lange nach Möglichkeiten zur Entfaltung sucht. Hier entstehen neue Räume für Kunst und Kultur – mitten in einem Areal, das bisher vor allem von seiner Vergangenheit sprach.

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