
Es klingt wie architektonische Alchemie: Ein Kartoffelsilo verwandelt sich in eine Kletterhalle, ein Hochbunker wird zur Galerie, und ein verlassenes Heizkraftwerk erwacht als Kunsttempel zu neuem Leben. München schreibt derzeit ein faszinierendes Kapitel moderner Stadtentwicklung, bei dem die Abrissbirne zusehends in den Ruhestand geschickt wird.
Die Revolution der Ressourcen
„Die Bauwirtschaft verschlingt so viele Ressourcen wie kein anderer Industriezweig“, konstatiert Stadtbaurätin Elisabeth Merk mit der Präzision einer Chirurgin, die eine Diagnose stellt. Doch statt der radikalen Amputation setzt die Stadt nun auf gezielte Heilung. Das ehemalige Siemens-Hochhaus in Obersendling ist dafür ein Paradebeispiel: Nach 15 Jahren Dornröschenschlaf wird der 22-stöckige Koloss aus den 1960er Jahren zum Büroturm „The Source“ umgebaut. Die Zahlen sprechen für sich: Allein durch den Erhalt des bestehenden Betons werden über 5.000 Tonnen CO₂-Emissionen eingespart – genug, um damit 500 Münchnerinnen und Münchner ein Jahr lang klimaneutral leben zu lassen.
Von der Kuvertfabrik zum Kreativquartier
Im Münchner Stadtteil Pasing zeigt sich exemplarisch, wie historische Bausubstanz und moderne Nutzungskonzepte harmonieren können. Die ehemalige Kuvertfabrik aus dem Jahr 1909 hat sich vom Ladenhüter zum Leuchtturmprojekt gemausert. „Man wird dieses Gebäude lieben“, prophezeit Merk mit dem Enthusiasmus einer Kennerin. Der denkmalgerecht sanierte Komplex beherbergt heute moderne Büroflächen und verleiht dem umliegenden Wohnquartier jene charakteristische Note, die neue Stadtteile oft schmerzlich vermissen lassen.
Das Werksviertel: Vom Industrieareal zum urbanen Biotop
Besonders eindrucksvoll manifestiert sich Münchens neue Umbaukultur im Werksviertel am Ostbahnhof. Wo einst Kartoffeln zu Knödeln verarbeitet wurden, pulsiert heute urbanes Leben in allen Facetten. Das ehemalige Pfanni-Produktionsgebäude, heute als „Werk 3“ bekannt, vereint Loftbüros, Handelsflächen und Ateliers unter einem Dach. Es ist eine gelungene Symbiose aus industriellem Charme und zeitgemäßer Funktionalität.
Soziale Nachhaltigkeit in der „Alten Heimat“
Dass kreative Sanierung nicht nur bei prestigeträchtigen Großprojekten funktioniert, beweist die Gewofag in der Siedlung „Alte Heimat“ in Laim. Die Wohnungen aus den 1960er Jahren erhielten nicht nur einen frischen Anstrich und moderne Bäder, sondern wurden durch soziale Infrastruktur wie Pflegestützpunkte und einen Nachbarschaftstreff ergänzt. Ein Beispiel dafür, wie bauliche Transformation und gesellschaftlicher Zusammenhalt Hand in Hand gehen können.
Münchner Wohnen: Quartiersentwicklung im großen Stil
Besonders ambitioniert präsentiert sich das Konzept der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Münchner Wohnen. In Ramersdorf entsteht ein Modellprojekt, das weit über die Stadtgrenzen hinaus Strahlkraft entwickeln könnte. „Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz“, erläutert Geschäftsführerin Doris Zoller. Das Ziel: Ressourcenschonung durch Bestandserhalt bei gleichzeitiger Schaffung von neuem, bezahlbarem Wohnraum. Insgesamt befinden sich derzeit fünf Quartierskonzepte mit rund 6.000 Wohnungen in der Pipeline.
Innovation durch Integration
Ein besonders gelungenes Beispiel für innovative Sanierungskonzepte liefert die neue Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Alpenvereins (DAV) in der Parkstadt Schwabing. Der Clou: Zwei zentrale Luftschächte sorgen allein durch natürliche Strömung für Klimatisierung – eine mechanische Lüftung wurde überflüssig. „Die Umbaukosten lagen sogar unter denen eines Neubaus“, berichtet Christian Taufenbach vom Büro Element-A Architekten nicht ohne Stolz.
Fazit: Umbaukultur als Zukunftsmodell
Münchens neue Baukultur beweist: Der vermeintliche Spagat zwischen Bestandserhalt und Modernisierung ist machbar. Die Stadt demonstriert eindrucksvoll, wie sich ökologische Verantwortung, ökonomische Vernunft und architektonische Innovation zu einer zukunftsweisenden Synthese verbinden lassen. Die kreativen Sanierungsprojekte sind dabei mehr als nur Lippenbekenntnisse zur Nachhaltigkeit – sie sind gebaute Realität und Inspiration zugleich.
Während andernorts noch über den Abriss historischer Bausubstanz diskutiert wird, hat München bereits den nächsten Schritt gewagt. Die Stadt beweist: Auch alte Gemäuer können neue Geschichten erzählen – man muss sie nur richtig zu lesen verstehen.

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