Baukunst - Was die Mietreform für Bauherren bedeutet
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Was Österreichs Mietreform für Architekten und Bauherren bedeutet

24.09.2025
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Chet Becker

Ein historischer Eingriff in den freien Wohnungsmarkt: Paradigmenwechsel mit architektonischen Konsequenzen

Die österreichische Bundesregierung hat mit ihrem im September 2025 beschlossenen Mietenpaket einen bemerkenswerten Kurswechsel vollzogen. Erstmals in der Geschichte der Zweiten Republik greift der Staat regulierend in den bisher ungeregelten Mietmarkt ein – eine Zäsur, die weit über die unmittelbaren mietrechtlichen Aspekte hinausreicht und fundamentale Fragen für Architekturschaffende, Projektentwicklerinnen und die gesamte Immobilienbranche aufwirft.

Die Reform, die ab Januar 2026 schrittweise in Kraft tritt, stellt die umfangreichste Überarbeitung des Mietrechts seit 2006 dar. Während Befürworterinnen von einem längst überfälligen Schutz vor Mietexplosionen sprechen, warnen Kritiker vor den langfristigen Folgen für den Wohnungsneubau. Für Architekten und Planerinnen bedeutet diese Entwicklung eine grundlegende Neuausrichtung ihrer Beratungsleistungen und möglicherweise auch ihrer Entwurfsstrategien.

Die Mechanik der neuen Mietpreisbremse

Das Herzstück der Reform bildet eine differenzierte Mietpreisbremse, die sowohl den regulierten als auch – und das ist die eigentliche Revolution – den bisher freien Mietmarkt erfasst. Ab einer Inflationsrate von drei Prozent darf künftig nur noch die Hälfte der darüber liegenden Teuerung an Mieterinnen und Mieter weitergegeben werden. Bei einer Inflation von sechs Prozent wären somit maximal 4,5 Prozent Mieterhöhung zulässig – eine Formel, die in ihrer mathematischen Eleganz besticht, deren praktische Umsetzung jedoch komplex werden dürfte.

Für den regulierten Bereich, also Richtwertmieten und Genossenschaftswohnungen, gelten noch strengere Vorgaben: 2026 sind Erhöhungen auf ein Prozent begrenzt, 2027 auf zwei Prozent, bevor ab 2028 eine einheitliche Drei-Prozent-Obergrenze greift. Diese gestaffelte Einführung zeigt durchaus politisches Fingerspitzengefühl, gibt sie doch dem Markt Zeit zur Anpassung – wobei kritische Stimmen anmerken, dass genau diese Übergangsphase zu vorgezogenen Mieterhöhungen führen könnte.

Mindestbefristung: Das Ende der Drei-Jahres-Ära

Ein weiterer Pfeiler der Reform betrifft die Mindestbefristung von Mietverträgen. Ab November 2025 müssen gewerbliche Vermieterinnen und Vermieter mit mehr als fünf Wohnungen eine Mindestmietdauer von fünf Jahren garantieren. Private Kleinvermieter bleiben bei der bisherigen Drei-Jahres-Regelung – eine Differenzierung, die zwar nachvollziehbar erscheint, aber neue Grauzonen schafft. Wie verhält es sich beispielsweise mit Eigentümergemeinschaften? Oder mit Architekten, die als Projektentwicklerinnen agieren?

Diese verlängerte Bindungsdauer hat unmittelbare Auswirkungen auf die Planungspraxis. Investoren werden ihre Kalkulationen überdenken müssen, was sich zwangsläufig auf Bauvolumen und Ausstattungsstandards niederschlagen wird. Der subtile Druck zur Kostenoptimierung könnte paradoxerweise genau jene Qualitätseinbußen fördern, die eine nachhaltige Stadtentwicklung eigentlich vermeiden sollte.

Architektonische Implikationen: Zwischen Chance und Herausforderung

Für die Architekturschaffenden ergeben sich aus dieser Reform vielfältige Konsequenzen. Die zu erwartende Zurückhaltung bei Neubauprojekten könnte kurzfristig zu Auftragsrückgängen führen. Gleichzeitig eröffnet die verstärkte Fokussierung auf den Bestand neue Geschäftsfelder: Sanierungen, Umnutzungen und energetische Modernisierungen gewinnen an Bedeutung.

Die Kammern und Berufsverbände stehen vor der Herausforderung, ihre Mitglieder auf diese neue Realität vorzubereiten. Fortbildungen zum Mietrecht, zur Wirtschaftlichkeitsberechnung unter veränderten Rahmenbedingungen und zur Beratung verunsicherter Bauherrinnen und Bauherren werden essentiell. Die Architektenkammern haben bereits angekündigt, entsprechende Schulungsprogramme aufzulegen – eine notwendige, wenn auch späte Reaktion.

Interessant ist auch der Aspekt der Baukultur: Wenn Renditen sinken und Investitionen zurückgehen, wächst der Druck auf öffentliche Auftraggeber, kompensierend tätig zu werden. Gemeinnützige Wohnbauträgerinnen könnten zu wichtigeren Auftraggebern werden – mit all den damit verbundenen gestalterischen Einschränkungen und Normvorgaben.

Die europäische Perspektive

Im europäischen Vergleich reiht sich Österreich mit dieser Reform in eine Gruppe von Ländern ein, die verstärkt regulierend in den Wohnungsmarkt eingreifen. Berlin mit seinem gescheiterten Mietendeckel, Barcelona mit Wohnungsenteignungen, Paris mit strengen Airbnb-Regulierungen – überall suchen Metropolen nach Antworten auf die Wohnungskrise. Die österreichische Lösung erscheint dabei als pragmatischer Mittelweg, wenngleich ihre Wirksamkeit erst die Praxis zeigen wird.

Für international tätige Architekturbüros bedeutet diese Entwicklung eine weitere Fragmentierung des europäischen Marktes. Einheitliche Planungsansätze werden schwieriger, die Expertise für lokale Regulierungen gewinnt an Bedeutung. Dies könnte kleineren, spezialisierten Büros durchaus Vorteile verschaffen.

Kritische Würdigung: Symptombekämpfung statt Ursachentherapie?

Bei aller Notwendigkeit, explodierende Mieten zu begrenzen, bleibt die Frage nach der Nachhaltigkeit dieser Maßnahmen. Die eigentliche Ursache der Wohnungskrise – das Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage – wird durch Preisregulierungen nicht gelöst. Im Gegenteil: Die Gefahr besteht, dass Investorinnen und Investoren sich vollständig aus dem Mietwohnungsbau zurückziehen und stattdessen auf Eigentumswohnungen setzen.

Auch die Differenzierung zwischen gewerblichen und privaten Vermieterinnen wirft Fragen auf. Schafft man hier nicht neue Ungerechtigkeiten? Und wie verhält es sich mit der Qualität des Wohnungsangebots, wenn Renditen künstlich begrenzt werden? Die Erfahrungen aus anderen Märkten zeigen: Preisregulierungen führen oft zu Qualitätsverlusten und Schwarzmarktbildung.

Ausblick: Evolution statt Revolution

Trotz aller Kritik: Die Reform war politisch wohl unvermeidlich. Die Wohnungsfrage ist zur sozialen Frage unserer Zeit geworden, und die Politik musste handeln. Für Architekten und Planerinnen gilt es nun, sich auf die neuen Rahmenbedingungen einzustellen und konstruktive Lösungen zu entwickeln.

Die kommenden Jahre werden zeigen, ob die Mietpreisbremse tatsächlich zu mehr Wohngerechtigkeit führt oder ob sie – wie Pessimistinnen befürchten – den Wohnungsmangel noch verschärft. Sicher ist: Die Rolle der Architekturschaffenden wird sich wandeln. Von reinen Entwerfern werden sie zu Moderatorinnen zwischen divergierenden Interessen, zu Beraterinnen in einem zunehmend komplexen regulatorischen Umfeld. Diese Entwicklung birgt Risiken, aber auch Chancen für eine Profession, die sich ohnehin neu erfinden muss.