
Vielfalt bauen: Bayerns Architektouren 2025 zwischen regionaler Tradition und Klimakompetenz
Ende Juni öffnen sich wieder bayernweit die Türen zu 197 bemerkenswerten Bauwerken. Die Architektouren 2025 der Bayerischen Architektenkammer setzen dabei ein deutliches Zeichen: Unter dem Motto „Vielfalt bauen“ präsentiert sich am 28. und 29. Juni nicht nur die gestalterische Bandbreite zeitgenössischer Architektur im Freistaat, sondern auch deren klimabewusste Transformation.
Rekordverdächtige Klimakompetenz im Süden
Die diesjährige Bilanz ist bemerkenswert: 120 Prädikate für KlimaKulturKompetenz wurden an 88 Projekte vergeben – ein neuer Höchststand. Diese Zahlen spiegeln eine tiefgreifende Entwicklung wider, die über modische Nachhaltigkeit hinausgeht. Die fünf Bewertungskriterien – Energieeffizienz, Klimaanpassung, Flächensparen, Barrierefreiheit und weitere Nachhaltigkeitsaspekte – haben sich als praktikable Messlatte für zukunftsfähiges Bauen etabliert.
„Nachhaltigkeit ist zuallererst eine Frage der Haltung“, betont Ministerpräsident Markus Söder in seinem Grußwort zu den Architektouren. Diese Haltung manifestiert sich in den ausgewählten Projekten auf beeindruckende Weise: Von der kreislaufgerechten Ortskernentwicklung in Niederwerrn bis zum genossenschaftlichen Wohnquartier wagnisWEST in München-Freiham.
Regionale Vielfalt jenseits der Metropolen
Die geografische Verteilung der 197 Projekte zeichnet ein differenziertes Bild der bayerischen Baukultur. Während München und Nürnberg erwartungsgemäß stark vertreten sind, überrascht die Dichte qualitätvoller Projekte in den ländlichen Regionen. Besonders Oberfranken und Schwaben stechen durch innovative Ansätze im Umgang mit demografischem Wandel hervor.
Das Naturkinderhaus Binawiese in Bodenkirchen etwa zeigt exemplarisch, wie sich regionale Holzbautraditionen mit zeitgemäßen pädagogischen Konzepten verbinden lassen. Die Freianlagen von Klaus + Salzberger Landschaftsarchitekten schaffen dabei bewusst einen Bezug zur oberbayerischen Kulturlandschaft, ohne in Heimattümelei zu verfallen.
Bayerische Bauordnung als Innovationstreiber
Ein nicht zu unterschätzender Faktor für die hohe Projektqualität liegt in den Besonderheiten der Bayerischen Bauordnung. Die 2021 novellierte BayBO ermöglicht gerade bei kleineren Vorhaben deutlich mehr Gestaltungsspielraum als vergleichbare Landesbauordnungen. Architekt Stefan Schlicht vom Büro Schlicht Lamprecht Kern, der mit dem Niederwerrner Ortskernprojekt bei den Architektouren vertreten ist, bestätigt: „Die pragmatische Auslegung der Abstandsregeln hat uns ermöglicht, eine echte Verdichtung ohne Verlust an Wohnqualität zu erreichen.“
Diese Flexibilität zeigt sich besonders bei Projekten im ländlichen Raum, wo traditionelle Hofstrukturen behutsam weiterentwickelt werden. Die bayerische Planungskultur profitiert dabei von einem gewachsenen Verständnis für regionale Bauweisen, das sich in den vergangenen Jahren zunehmend von nostalgischer Verklärung löst.
Zwischen Tradition und Transformation
Die ausgewählten Projekte demonstrieren eindrucksvoll, wie sich regionale Identität und zeitgemäße Anforderungen verbinden lassen. Das zeigt sich besonders deutlich bei Sanierungsvorhaben, die mittlerweile fast die Hälfte aller eingereichten Projekte ausmachen. Von der behutsamen Modernisierung oberbayerischer Bauernhöfe bis zur radikalen Transformation ehemaliger Industriebauten – die Bandbreite nachhaltiger Bestandsentwicklung wird bayernweit sichtbar.
Dabei entstehen durchaus regionale Unterschiede in der Herangehensweise: Während in Oberbayern oft die Integration in gewachsene Strukturen im Vordergrund steht, setzen fränkische Projekte verstärkt auf mutige Kontrastierungen. Diese Vielfalt der Ansätze macht die Architektouren zu einem lebendigen Diskussionsforum über angemessene Planungsstrategien.
Klimaanpassung als regionale Herausforderung
Die verschiedenen Klimazonen Bayerns spiegeln sich deutlich in den prämierten Projekten wider. Während alpine Projekte zunehmend auf extreme Wetterereignisse reagieren müssen, stehen in den Flusstälern der Donau und des Mains Hochwasserschutz und Überhitzung im Fokus. Das wagnisWEST-Projekt in München-Freiham etwa entwickelt innovative Lösungen für urbane Hitzeinseln, die sich auf andere Ballungsräume übertragen lassen.
Besonders bemerkenswert ist die wachsende Sensibilität für regionale Materialkreisläufe. Immer mehr Projekte setzen auf lokale Rohstoffe und kurze Transportwege. Der bayerische Wald liefert dabei nicht nur Holz für traditionelle Blockbauweise, sondern auch innovative Holzverbundstoffe für urbane Hochbauprojekte.
Neue Planungskultur zwischen Stadt und Land
Die Qualität der diesjährigen Projekte zeigt, dass sich in Bayern eine neue Planungskultur etabliert hat, die weder romantische Verklärung noch gedankenlose Modernisierung betreibt. Stattdessen entstehen Lösungen, die regionalen Eigenarten ernst nehmen, ohne dabei zeitgemäße Anforderungen zu vernachlässigen.
Diese Entwicklung wird auch durch die verstärkte Zusammenarbeit zwischen den bayerischen Hochschulen und der Praxis gefördert. Die TU München, die Hochschule Coburg und die OTH Regensburg haben ihre Forschungsschwerpunkte zunehmend auf regionale Herausforderungen ausgerichtet. Das zeigt sich in praxisnahen Projekten, die oft den Grundstein für spätere Baurealisierungen legen.
Gesellschaftlicher Dialog auf Augenhöhe
„Fragen des Planens und Bauens gehören in die Mitte der Gesellschaft“, formuliert Präsidentin Prof. Lydia Haack das Selbstverständnis der Bayerischen Architektenkammer. Die Architektouren sind mehr als eine Leistungsschau – sie sind Gelegenheit zum direkten Austausch zwischen Planenden, Bauherren und Nutzern.
Dieser Dialog findet auf Augenhöhe statt, fernab von Expertenjargon und Fachsimpelei. Die teilnehmenden Architektinnen und Architekten verstehen sich als Vermittler zwischen technischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Bedürfnissen. Dabei entstehen oft überraschende Erkenntnisse über die Akzeptanz und Nutzung innovativer Baukonzepte.
Zukunftsperspektiven regionaler Baukultur
Die hohe Qualität der diesjährigen Architektouren-Projekte macht deutlich: Bayern hat sich als Labor für nachhaltiges Bauen etabliert, ohne dabei seine regionalen Wurzeln zu verleugnen. Die Kombination aus pragmatischer Planungskultur, innovativen Förderprogrammen und aufgeschlossener Bauherrschaft schafft ideale Bedingungen für zukunftsfähige Architektur.
Gleichzeitig zeigen die Projekte, dass die oft beschworene Dichotomie zwischen Stadt und Land zunehmend an Relevanz verliert. Innovative Ansätze entstehen mittlerweile gleichermaßen in Metropolregionen und in der Provinz – oft sogar mit erstaunlichen Synergien zwischen beiden Welten.
Die Architektouren 2025 dokumentieren so nicht nur den aktuellen Stand bayerischer Baukultur, sondern auch deren Entwicklungspotenzial. „Vielfalt bauen“ meint eben nicht beliebige Gestaltung, sondern die bewusste Auseinandersetzung mit regionalen Besonderheiten bei gleichzeitig globalem Verantwortungsbewusstsein. Diese Balance zu halten, ist die eigentliche Kunst zeitgenössischer Architektur – und sie gelingt in Bayern zunehmend überzeugend.

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