
Frankfurts Leerstandsparadoxon
Die Ironie der leeren Räume
Frankfurt am Main, die Stadt der Bankentürme und des chronischen Wohnungsmangels, offenbart ein Paradoxon, das symptomatisch für die deutsche Wohnungspolitik steht: Während Bürgerinnen und Bürger verzweifelt nach bezahlbarem Wohnraum suchen, verfallen städtische Immobilien im Dornröschenschlaf. Die Mainmetropole kämpft nicht nur mit privatem, sondern vor allem mit kommunalem Leerstand – ein Armutszeugnis für eine Stadt, die sich gerne als dynamischer Wirtschaftsstandort präsentiert.
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Der städtische Wohnungsbestand weist erheblichen Leerstand auf, während gleichzeitig die Mietpreise in schwindelerregende Höhen klettern. Diese Schieflage ist nicht nur ein Frankfurter Phänomen, sondern zeigt sich in unterschiedlicher Ausprägung in vielen hessischen Kommunen und darüber hinaus. Der kürzlich angekündigte Gesetzesentwurf des hessischen Wirtschaftsministers Kaweh Mansoori zur Bekämpfung des Wohnungsleerstandes könnte Frankfurt in die kuriose Situation bringen, Bußgeldbescheide gegen sich selbst zu erlassen.
Verwaltungsversagen als Strukturproblem
Die Situation in Frankfurt illustriert ein tiefgreifendes Strukturproblem deutscher Kommunalverwaltungen: fehlende Kompetenzen im professionellen Immobilienmanagement. Baudezernentin Sylvia Weber steht exemplarisch für eine Generation von Kommunalpolitikerinnen und -politikern, die zwischen ideologischen Träumereien und praktischen Zwängen zerrieben werden. Ihr Verständnis für linksextreme Hausbesetzergruppen und der Versuch, gegen rechtliche Bedenken Nutzungsverträge abzuschließen, zeigt eine Realitätsferne, die sich keine moderne Stadtverwaltung leisten kann.
Bereits im Herbst 2023 forderte das Stadtparlament eine Neuordnung des Liegenschaftsmanagements. Die magere Bilanz nach über einem Jahr: Ein einziges Pilotprojekt für die Konzeptvergabe eines leerstehenden Gebäudes im Ostend. Diese Trägheit ist umso unverständlicher, als Frankfurt über eine gut aufgestellte kommunale Wohnungsbaugesellschaft verfügt. Die ABG Holding könnte mit ihrer Expertise das Problem professionell angehen – wenn man sie denn ließe.
Regionale Besonderheiten und überregionale Lehren
Die hessische Bauordnung bietet durchaus Spielräume für kreative Lösungen. Zwischennutzungen, temporäre Umnutzungen und vereinfachte Genehmigungsverfahren sind möglich, werden aber zu selten genutzt. Frankfurt könnte hier von kleineren hessischen Kommunen lernen, die pragmatischer mit ihrem Bestand umgehen. In Offenbach etwa werden leerstehende Gewerbeflächen erfolgreich in Künstlerateliers umgewandelt, in Darmstadt entstehen in ehemaligen Verwaltungsgebäuden studentische Wohnprojekte.
Die Frankfurter Situation spiegelt auch die spezifische Dynamik einer prosperierenden Metropolregion wider: Hoher Investitionsdruck trifft auf träge Verwaltungsstrukturen, internationale Kapitalströme auf lokale Planungskulturen. Die Stadt verfügt über alle notwendigen Instrumente – von Vorkaufsrechten über Erhaltungssatzungen bis zu Konzeptvergaben –, scheitert aber an deren konsequenter Anwendung.
Der politische Druck wächst
Oberbürgermeister Mike Josef hat erkannt, dass die Leerstandsproblematik zur Achillesferse seiner SPD werden könnte. Mit Blick auf die Kommunalwahl 2026 erhöht er nun den Druck auf seine Parteikollegin Weber. Die Einbindung der ABG ist ein richtiger Schritt, kann aber nur der Anfang sein. Die katastrophale Situation bei Schulsanierungen und -neubauten verschärft Webers Position zusätzlich. Ihre mögliche Ablösung wäre nicht nur personalpolitisch, sondern auch strukturell notwendig.
Handlungsoptionen zwischen Pragmatismus und Vision
Frankfurt braucht keine weiteren Grundsatzdebatten, sondern praktische Lösungen. Die Übertragung städtischer Wohnimmobilien an die ABG oder professionelle private Bewirtschafter wäre ein pragmatischer Schritt. Gleichzeitig könnten innovative Vergabemodelle wie Erbbaurecht, Genossenschaften und Konzeptvergaben den Markt beleben. Die Stadt Hamburg macht vor, wie kommunales Immobilienmanagement funktionieren kann: klare Zuständigkeiten, professionelle Strukturen, transparente Prozesse.
Besonders brisant: Während Frankfurt mit seinem eigenen Leerstand hadert, macht die Stadt Privateigentümern umfangreiche Vorschriften. Diese Doppelmoral untergräbt die Glaubwürdigkeit kommunaler Wohnungspolitik. Ein modernes Leerstandskataster, digitale Verwaltungsprozesse und ein professionelles Asset Management sind keine Luxusprojekte, sondern Grundvoraussetzungen zeitgemäßer Stadtentwicklung.
Nachhaltigkeit als vergessene Dimension
Jeder Tag Leerstand bedeutet nicht nur entgangene Mieteinnahmen, sondern auch energetischen und baulichen Verfall. In Zeiten der Klimakrise ist ungenutzter, beheizter Wohnraum ein ökologischer Skandal. Die graue Energie bestehender Gebäude wird verschwendet, während andernorts energieintensive Neubauten entstehen. Eine konsequente Leerstandsbekämpfung wäre aktiver Klimaschutz.
Ausblick: Zeit für einen Paradigmenwechsel
Frankfurts Leerstandsproblematik ist ein Lehrstück über die Grenzen kommunaler Selbstverwaltung im 21. Jahrhundert. Städte sind keine Immobilienunternehmen und sollten es auch nicht versuchen zu sein. Die Fokussierung auf Kernkompetenzen – Planung, Steuerung, Kontrolle – bei gleichzeitiger Professionalisierung der operativen Ebene ist überfällig. Das angekündigte Landesgesetz könnte den notwendigen Druck erzeugen, sollte aber von proaktiven kommunalen Initiativen begleitet werden. Frankfurt hat die Chance, aus einem Skandal eine Erfolgsgeschichte zu machen – wenn der politische Wille endlich dem Problem angemessen ist.

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