Baukunst-Wie die Königsklasse des Bauens den Freistaat prägt
Würzburg?©Baukunst.art

Wie die Königsklasse des Bauens den Freistaat prägt

24.10.2025
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Claudia Grimm

Die Renaissance der Bausubstanz

Wer Bayern als Freistaat der glänzenden Neubauten wahrnimmt, täuscht sich fundamental. Die dritte Auflage des Preises „Bauen im Bestand 2025″ offenbart eine architektonische Strategie, die bayernweit längst in den Handschriften ambitionierter Planerinnen und Planer geschrieben steht: Umbauen statt Abreißen, Transformation statt Tabula rasa. Der soeben verliehene Staatspreis für das Mozartareal in Würzburg ist dabei weniger eine Auszeichnung für Einzelleistung als vielmehr ein Manifest für eine Umbaukultur, die Bayern als Leitmacht etablieren könnte.

Bayern besitzt eine architektonische Gemengelage, die anderswo Neid weckt. Von den gründerzeitlichen Wohnquartieren Münchens über die industriellen Gutachterstädte Nürnbergs bis zu den kleinen, feinen Ensembles fränkischer und oberpfälzer Ortskerne – der Bestand ist nicht bloß Material, sondern kulturelle Erbschaft. Und genau hier setzt der aktuelle Preis an: Er erklärt die Bewahrung und intelligente Weiterentwicklung dieser Substanz zur Königsklasse der Baukunst.

Würzburg als Modell: Das Mozartareal

Die Würzburger Entscheidung ist dabei alles andere als Sentimentalität. Das Hufeisen-Ensemble auf dem Mozartareal – ursprünglich eine Schulanlage der Nachkriegsjahrzehnte – wurde nicht musealisiert, sondern vitalisiert. Die Stadt Würzburg hätte die bequemere, profitablere Variante wählen können: Eine Shopping-Mall statt einer Schule, Konsum statt Konflikt mit Denkmalschutz. Die Architekten Grellmann Kriebel Teichmann & Partner Architekten (Würzburg) erfassten indes die genuine Qualität des Bestandsbaus: die Großzügigkeit der Raumfolgen, die Qualität der Orientierungsfähigkeit durch Klarheit der Form, die Eignung als öffentlicher Ort.

Diese Transformation ist kein lokales Phänomen. Sie offenbart etwas Grundsätzliches über die Handlungsfähigkeit in bayerischen Stadträten: Während bundesweit die Fachwerkhütte zur Spekulationsmasse wird, bewies Würzburg, dass Kultur und Wirtschaftlichkeit keine Antagonisten sein müssen. Das Mozartareal wurde zur lebendigen Schule; es blieb im städtischen Diskurs präsent statt in den Aktenschränken zu verschwinden.

Bayern als Versuchslabor für Baukultur

Der Blick auf die insgesamt 13 nominierten Projekte und die 68 Einreichungen aus Bayern belegt: Der Freistaat ist längst ein Laboratorium intelligenter Bestandstransformation geworden. Das Diözesanmuseum Freising – eine Umgestaltung eines Ursprungsgebäudes vor 1900 durch das Büro Brückner & Brückner Architekten (Tirschenreuth/Würzburg) – zeigt, wie aus dem katholischen Knabenseminar ein lichtdurchfluteter Kunst-Tempel wird. Es ist Transformation als Emanzipation: Das Gebäude bekommt seine nächste Aufgabe, wächst in neue gesellschaftliche Funktionen hinein.

Der Gasteig HP8 in München wiederum beweist, dass auch Großstadtprojekte im mittleren siebenstelligen Investitionsbereich nicht an ihrer Bestandstragik scheitern müssen. Das Hamburger Büro gmp (von Gerkan, Marg und Partner) schuf aus einer Industriehalle an der Isar einen „backsteinernen Kultur-Leuchtturm” – wie Staatsminister Markus Blume ausdrücklich bemerkte. Ein Projekt, das die ganze Ambivalenz der modernen bayerischen Architekturpolitik offenbart: Kultur statt Rendite, ökologische Gesinnung statt Flächenversiegelung.

Nachhaltigkeitsbonus: Bayern als Klimavorreiter

Die Klimaschutz- und Energiewende-Debatte wird vielerorts abstraktisiert. Bayern zeigt in der Bestandstransformation ein Phänomen: Das Umbauen ist nicht bloß ästhetische Preference, sondern ökologische Notwendigkeit. Jedes Gebäude, das bewahrt statt abgerissen wird, spart die sogenannte graue Energie – jenen enormen CO2-Rucksack, den jeder Neubau mit sich trägt.

Die Bayerische Architektenkammer, der Freistaat und die Bundesstiftung Baukultur haben diesen Nexus längst erfasst: Das Umbauen ist nicht Nostalgie, sondern Klimapolitik mit Architekturstift. Lydia Haack, Präsidentin der Bayerischen Architektenkammer, formulierte es präzise: „Bauen im Bestand ist eine der größten kulturellen, ökologischen und gesellschaftlichen Aufgaben unserer Zeit.”

Regionale Besonderheiten: Bayern zwischen Tradition und Moderne

Bayern hat bei dieser Transformation strukturelle Vorteile. Die dezentrale Struktur des Freistaates – Franken, Oberbayern, Schwaben – erzeugt eine Vielfalt lokaler Baukulturen. Es gibt keine monolithische „bayerische Architektur”, sondern regionale Dialekte: die Ziegelbauweise Unterfrankens, die Alpenarchitektur Südbayerns, die Industriekultur der Nürnberger Gutachterstädte.

Eben dieser Reichtum wird im Preis „Bauen im Bestand” sichtbar: Das Schloss Geltolfing in Aiterhouten, die neue Ortsmitte MittenIM in Niederwerrn (Schwaben), der document Kepler in Regensburg – sie alle zeugen von lokalen Qualitätsansprüchen, die nicht unter der Betongarmatur des bundeseinheitlichen Standards verschwinden. Das ist nicht regionale Folklore, sondern Beweis dafür, dass Ortsgebundenheit und Exzellenz zusammengehen können.

Die Schattenseite: Fragmente statt Flächenbelegung

Kritisch angemerkt: Der Preis würdigt Einzelprojekte, nicht Flächenstrategien. Bayern hat Tausende von Gebäuden, deren Zukunft ungewiss ist. Die großen Brachflächentransformationen – etwa die Konversion von Kasernen oder Fabrikareal – bleiben oft hinter ihren Potenzialen zurück. Der Bestand ist kein Problem, das mit drei Preisen gelöst wird.

Dennoch: Der symbolische Zuschlag an Würzburg, an Freising, an München signalisiert etwas Grundsätzliches über die Selbstverständigung eines Bundeslandes. Bayern positioniert sich nicht als Abreißrepublik, sondern als Transformationspionier. Das ist baukulturpolitisch relevant.

Fazit: Intelligenz statt Improvisation

Die Preisträgerinnen und Preisträger des Jahres 2025 zeigen: Bauen im Bestand ist die Kunstform jener Architektur, die nicht einfach baut, sondern denkt. Bayern hat damit eine Chance, sich als Freistaat zu profilieren, der Nachhaltigkeit nicht als Marketing-Slogan missbraucht, sondern als architektonisches Handwerksprinzip verankert.

Das Mozartareal in Würzburg, die Architekturpreise und die 194 Einreichungen sind nicht bloß Meldungen für Fachjournalistinnen und Fachzeitschriften. Sie sind Indikatoren für eine Gesellschaft, die verstanden hat: Bauen bedeutet nicht, die Welt zu erneuern, sondern sie intelligent weiterzuentwickeln. Bayern macht das vor.