
Fotografische Reflexionen über Migration und Heimat im Stadthaus Ulm
Im Herzen von Ulm, direkt am Münsterplatz, widmet sich das Stadthaus einem der drängendsten Themen unserer Zeit: Der Suche nach Heimat in einer Welt des permanenten Wandels. Die Ausstellung „HOME AGAIN“ (6. Oktober 2024 bis 12. Januar 2025) versammelt 14 fotografische Positionen, die den Begriff des Zuhauses neu ausloten.
Dreiklang der Transformation
Die Kuratorin Andy Heller und ihr Kollege Oliver Krebs haben eine bemerkenswerte Schau konzipiert, die ursprünglich für das Willy-Brandt-Haus in Berlin entwickelt wurde. Der thematische Dreiklang aus Migration, Zuhause und Erinnerung bildet das konzeptionelle Fundament der Ausstellung. Dabei geht es weniger um dokumentarische Abbildungen als um künstlerische Interpretationen gesellschaftlicher Transformationsprozesse.
Stille Zeugen des Aufbruchs
Besonders eindrucksvoll manifestiert sich dies in Elena Subachs Serie „Chairs“. Die Fotografin verzichtet bewusst auf die direkte Darstellung dramatischer Fluchtszenen an der ukrainischen Grenze. Stattdessen rückt sie verlassene Stühle ins Zentrum ihrer Bilder – stille Zeugen menschlicher Schicksale und temporäre Ankerpunkte im Chaos der Vertreibung.
Architektur als Spiegel gesellschaftlicher Realität
Die architektonische Dimension des Heimatbegriffs erschließt sich eindrucksvoll in Peter Pillers Arbeit „Von Erde schöner“. Seine systematische Analyse von über 20.000 Luftaufnahmen deutscher Einfamilienhäuser offenbart die Siedlungsstrukturen als kollektives Ornament bürgerlicher Sehnsüchte. Die standardisierten Grundrisse und Gartengestaltungen werden zu Mustern einer gesellschaftlichen Ordnung, die Zugehörigkeit durch architektonische Konformität definiert.
Klimawandel als Architekt neuer Lebensräume
Andy Hellers Serie „Staygration“ erweitert den Blick auf die ökologische Dimension von Migration und Anpassung. Ihre Aufnahmen von Störchen, die aufgrund der Klimaerwärmung ihr Zugverhalten verändert haben, werfen Fragen nach der Wechselwirkung zwischen menschlicher Architektur und natürlichen Habitaten auf.
Räume der Erinnerung
Die fotografische Auseinandersetzung mit Gedächtnis und Identität findet in Wiebke Loepers Arbeit „MOLL 31“ eine besonders persönliche Ausprägung. Ihre Montagen von DDR-Familienfotos mit späteren Aufnahmen derselben Orte visualisieren die architektonischen und gesellschaftlichen Brüche der Wendezeit.
Kritische Reflexion
Die Ausstellung überzeugt durch ihre vielschichtige Herangehensweise an das Thema Heimat. Dabei vermeidet sie sowohl sentimentale Verklärung als auch plakative Sozialkritik. Einzig die Konzentration auf den europäischen Kontext könnte als Einschränkung gesehen werden – globale Perspektiven bleiben weitgehend ausgeklammert.
Architektonischer Kontext
Das Stadthaus Ulm erweist sich als idealer Resonanzraum für diese Thematik. Seine transparente Architektur, die den Blick auf das historische Münster freigibt, spiegelt selbst das Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne, das die ausgestellten Arbeiten durchzieht.
Fazit
„HOME AGAIN“ ist mehr als eine Fotoausstellung. Sie ist ein architektonisch-gesellschaftlicher Diskurs über die Bedeutung von Heimat in Zeiten globaler Transformation. Die gezeigten Arbeiten verdeutlichen, dass Zuhause weniger ein geografischer als ein mentaler Ort ist – einer, der sich stetig neu definiert und konstruiert.
Die Ausstellung leistet einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte über Migration, Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Sie zeigt eindrücklich, wie Architektur und Fotografie als Seismografen gesellschaftlicher Veränderungen fungieren können.

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