Baukunst - Zwischen Diplom und Bachelor: Die Architekturausbildung sucht ihren Weg
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Zwischen Diplom und Bachelor: Die Architekturausbildung sucht ihren Weg

18.06.2025
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Ignatz Wrobel

Architekturausbildung im Wandel – Zwischen Tradition und Transformation

Die Architekturausbildung im deutschsprachigen Raum durchlebt gegenwärtig eine ihrer intensivsten Diskussionsphasen seit der Bologna-Reform. Von der Anerkennung des Bachelor-Abschlusses über die Integration von Nachhaltigkeit bis hin zur Digitalisierung – die Zukunft der Ausbildung wird neu verhandelt.

Das Bachelor-Master-Dilemma: Ein Abschluss zwischen den Stühlen

Das wohl kontroverseste Thema der aktuellen Debatte bleibt die Anerkennung des Bachelor-Abschlusses. Während die Architektenkammern in Deutschland und Österreich den Bachelorabschluss oft nicht als berufsqualifizierend anerkennen, sind Absolventen meist gezwungen, ein Masterstudium anzuschließen, um als „Architekt“ arbeiten und sich in die Architektenliste eintragen lassen zu können. Diese Praxis wird zunehmend als strukturelles Problem diskutiert.

Die Gretchenfrage der Kammerfähigkeit

Für die Eintragung in eine Architektenkammer sind mindestens 240 ECTS-Punkte erforderlich, während Bachelor-Studiengänge typischerweise nur 180 ECTS umfassen. Diese Diskrepanz führt nicht nur zu verlängerten Studienzeiten, sondern auch zu grundsätzlichen Fragen über die Qualität und Struktur der Ausbildung.

Ein besonders illustratives Beispiel für diese Problematik liefert der Fall der IU Internationale Hochschule. Nach anfänglichen Problemen mit der Akkreditierung ihres dualen Architektur-Studiengangs musste die IU ein ergänzendes „Bachelor Architektur Plus“-Programm entwickeln, um Defizite auszugleichen und die Kammerfähigkeit ihrer Absolventen zu gewährleisten.

Rückkehr zum Diplom als Lösungsansatz?

Einige Hochschulen reagieren auf diese Herausforderungen mit einer Rückkehr zu bewährten Strukturen. Mehrere Institutionen bieten wieder Diplomstudiengänge an, um die Qualität und internationale Vergleichbarkeit zu sichern. Diese Entwicklung wirft grundsätzliche Fragen zur Zukunft des Bologna-Systems in der Architekturausbildung auf.

Nachhaltigkeit: Vom Wahlfach zum Ausbildungsrückgrat

Die Integration von Nachhaltigkeit in die Curricula entwickelt sich von einer netten Ergänzung zu einer existenziellen Notwendigkeit. Nachhaltige Entscheidungen beginnen schon viel früher im Entwurf als nur bei der Wahl einer grünen Fassade – sie müssen von Anfang an mitgedacht werden.

Strukturelle Veränderungen in der Lehre

Innovative Studiengänge wie „Architektur – Green Building“ an der FH Campus Wien oder nachhaltigkeitsorientierte Programme an der HFT Stuttgart zeigen, wie Nachhaltigkeit bereits heute systematisch in die Ausbildung integriert wird. Diese Programme verbinden technische Kompetenz mit ökologischer Verantwortung und bereiten Studierende auf die Anforderungen einer klimabewussten Baupraxis vor.

Der Master „Ressourceneffizientes und Nachhaltiges Bauen“ an der TUM exemplifiziert dabei den interdisziplinären Ansatz, der für nachhaltige Architekturausbildung erforderlich ist – von Bauphysik über Gebäudetechnik bis zur Lebenszyklusanalyse.

Neue Kompetenzfelder entstehen

Die Ausbildung soll verstärkt auf die Vermittlung von Erdsystemwissenschaften, sozial-ökologischem Denken und Reflexionsfähigkeit ausgerichtet werden, um den gesellschaftlichen und ökologischen Transformationsherausforderungen gerecht zu werden. Diese Erweiterung des Kompetenzprofils geht weit über traditionelle Architekturlehre hinaus.

Digitalisierung: BIM als neuer Standard

Die Digitalisierung der Baubranche revolutioniert auch die Ausbildung. Mit der bundesweiten Einführung von BIM als Standard ab 2025 bei öffentlichen Bauvorhaben steigt der Druck auf die Hochschulen, digitale Planungsmethoden von Beginn an in die Curricula zu integrieren.

Strukturelle Anpassungen erforderlich

Der neue Leitfaden „Digitale Planung in der Hochschulausbildung“ der Bundesarchitektenkammer adressiert notwendige Voraussetzungen für die Modernisierung der Curricula und unterbreitet konkrete Lösungsvorschläge für die Architekturstudiengänge. Diese Initiative zeigt den ernst genommenen Handlungsbedarf der Profession.

Die Herausforderung liegt dabei nicht nur in der technischen Vermittlung, sondern in der grundlegenden Veränderung der Entwurfs- und Planungskultur. BIM bezeichnet eine kooperative Arbeitsmethodik, bei der auf der Grundlage digitaler Modelle alle für den Lebenszyklus relevanten Informationen konsistent erfasst und transparent kommuniziert werden.

Gesellschaftliche Verantwortung: Neue Rollenbilder für Architekten

Die Diskussion um die gesellschaftliche Verantwortung der Architektur gewinnt an Schärfe. Zentrale Fragen wie „Wie, was und für wen bauen wir?“ und „Sollen wir überhaupt bauen?“ prägen zunehmend die Ausbildungsdebatte. Diese fundamentalen Überlegungen erfordern eine Erweiterung des traditionellen Architekturverständnisses.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit als Schlüssel

Moderne Architekturstudiengänge setzen verstärkt auf interdisziplinäre Projekte, bei denen Studierende mit benachbarten Disziplinen zusammenarbeiten und so ein realistisches Bild der späteren Berufspraxis erhalten. Diese Herangehensweise bereitet auf die komplexen Herausforderungen einer vernetzten Planungskultur vor.

Herausforderungen und Perspektiven

Die aktuellen Diskussionen in der Architekturausbildung spiegeln tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen wider. Viele Absolventen empfinden die Branche als wenig attraktiv, was zu Diskussionen über die Ausrichtung und Inhalte der Ausbildung führt. Diese Entwicklung erfordert nicht nur curriculare Anpassungen, sondern auch eine grundsätzliche Neubewertung des Berufsbildes.

Innovation in der Lehrmethodik

Innovative Lehrmodelle wie die „Integrierten Projekte“ an der HFT Stuttgart zeigen, wie theoretische Inhalte direkt in Entwurfsprojekte einfließen können – ein Ansatz, der nachweislich bessere Lernergebnisse erzielt. Solche methodischen Innovationen könnten Vorbildcharakter für die gesamte Architekturausbildung entwickeln.

Ausblick: Transformation als Chance

Die Architekturausbildung im deutschsprachigen Raum steht vor ihrer größten Transformation seit Jahrzehnten. Die kontrovers diskutierten Themen – von der Bachelor-Anerkennung über Nachhaltigkeit bis zur Digitalisierung – werden die zukünftige Ausgestaltung der Architektenausbildung maßgeblich beeinflussen.

Diese Herausforderungen bieten jedoch auch die Chance, die Architekturausbildung zukunftsfähig zu gestalten und auf die drängenden gesellschaftlichen Aufgaben vorzubereiten. Der Erfolg wird davon abhängen, wie gut es gelingt, traditionelle Qualitäten mit innovativen Ansätzen zu verbinden und eine neue Generation von Architekten und Architektinnen auszubilden, die sowohl gestalterisch kompetent als auch gesellschaftlich verantwortlich agiert.

Die Diskussionen der nächsten Jahre werden zeigen, welche Richtung die Architekturausbildung einschlägt – ob sie den Mut zur grundlegenden Reform aufbringt oder sich in Kompromissen verliert. Die Weichen werden jetzt gestellt.