Baukunst - HOAI-Novellierung: Der Elefant im Raum bleibt unberührt
Das Damoklesschwert seit 2019 © Baukunst.art

HOAI-Novellierung: Der Elefant im Raum bleibt unberührt

23.09.2025
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Stuart Rupert

Warum die anstehende Reform trotz umfangreicher Anpassungen am eigentlichen Problem vorbeigeht

Die jüngst veröffentlichten Gutachten zur HOAI-Novellierung lesen sich zunächst wie eine Erfolgsgeschichte: Honorartafeln werden um bis zu 76 Prozent angehoben, ein neues Leistungsbild “Städtebaulicher Entwurf” entsteht, die Dynamisierung flächenbezogener Honorare wird endlich umgesetzt. Doch bei aller Euphorie über diese längst überfälligen Anpassungen bleibt die zentrale Wunde unbehandelt: Die rechtliche Absicherung von Mindestsätzen im Einklang mit EU-Recht findet schlicht nicht statt.

Das Damoklesschwert seit 2019

Seit dem EuGH-Urteil vom Juli 2019 hängt über der deutschen Planungsbranche ein Damoklesschwert. Die verbindlichen Mindest- und Höchstsätze der HOAI wurden für europarechtswidrig erklärt. Seitdem gilt die Honorarordnung nur noch als Orientierungsrahmen – ein zahnloser Tiger im Honorardschungel. Architektinnen und Ingenieure berichten seither verstärkt von einem ruinösen Preiskampf, insbesondere bei öffentlichen Ausschreibungen, wo der niedrigste Preis oft den Zuschlag erhält.

Die aktuelle Novellierung hätte die historische Chance geboten, dieses fundamentale Problem anzugehen. Stattdessen konzentrieren sich die Gutachter auf technokratische Detailanpassungen, während das Fundament der Honorarsicherheit weiter bröckelt. Es entsteht der Eindruck eines aufwendig renovierten Hauses auf einem erodierenden Fundament.

Fortschritte im Detail, Stillstand im Grundsätzlichen

Zweifellos bringt die Novellierung wichtige Verbesserungen. Die Anpassung der Honorartafeln war nach über einem Jahrzehnt Stillstand überfällig. Besonders Planungsbüros, die kleinere Projekte bearbeiten, profitieren von den überproportionalen Anhebungen im unteren Kostenbereich. Die Integration von BIM-Prozessen und Nachhaltigkeitsanforderungen trägt der veränderten Planungsrealität Rechnung.

Doch was nützen fortschrittliche Honorartafeln, wenn diese rechtlich nicht durchsetzbar sind? Die Bundesarchitektenkammer, die Bundesingenieurkammer und der AHO haben im Begleitkreis zwar “maßgebliche Impulse” einbringen können, wie es im offiziellen Sprachgebrauch heißt. Doch die entscheidende Forderung nach einer EU-konformen Regelung verbindlicher Mindestsätze fand offensichtlich kein Gehör.

Verpasste Chancen und alte Probleme

Neben der fehlenden EU-Konformität bleiben weitere strukturelle Defizite unbehandelt. Die Abkehr vom starren Kostenberechnungsmodell der Leistungsphase 3, seit Jahren von Praktikerinnen und Praktikern gefordert, wurde nicht umgesetzt. Lange Planungs- und Genehmigungsprozesse, die sich über Jahre hinziehen können, finden weiterhin keine angemessene Berücksichtigung im Honorarsystem.

Auch die Beibehaltung der Honorarspannen statt eines eindeutigen Honorarwertes perpetuiert die Unsicherheit. Im Begleitkreis konnte man sich nicht einmal darauf einigen, ob der Basis-, Mittel- oder obere Honorarsatz als Referenz dienen sollte – ein Armutszeugnis für die Konsensfähigkeit der beteiligten Akteure.

Der politische Kontext: Zwischen Wahlkampf und Wirklichkeit

Die vorgezogene Bundestagswahl hat den Zeitplan zusätzlich verzögert. Wirtschafts- und Bauministerium versprechen eine Umsetzung bis Ende 2025 oder Anfang 2026 – sofern die neue Bundesregierung grünes Licht gibt. Doch welche Priorität wird eine künftige Regierung der HOAI einräumen? Die Erfahrung lehrt: Architekten- und Ingenieurhonorare sind kein Wahlkampfschlager.

Dabei geht es um mehr als Standesinteressen. Eine funktionierende, rechtssichere Honorarordnung ist Garant für Planungsqualität und damit für die Baukultur in Deutschland. Wenn qualifizierte Planungsleistungen unter Wert vergeben werden müssen, leidet am Ende die gebaute Umwelt – und damit die Gesellschaft als Ganzes.

Internationale Perspektiven ignoriert

Andere EU-Länder haben längst Wege gefunden, ihre Honorarsysteme EU-konform zu gestalten, ohne die Planungsqualität zu gefährden. Frankreich beispielsweise arbeitet mit Referenzhonoraren und Qualitätskriterien, Italien mit einem System aus Mindestqualifikationen und Honorarempfehlungen. Diese Modelle hätten als Inspiration dienen können, fanden aber offenbar keine Berücksichtigung.

Ein Aufruf zum Handeln

Die Kammern und Verbände müssen ihre zurückhaltende Diplomatie überdenken. “Maßgebliche Impulse” und “fortlaufender Austausch” reichen nicht aus, wenn das Kernproblem systematisch ausgeklammert wird. Es braucht eine offensive Kampagne, die die Bedeutung rechtssicherer Mindestsätze für die Planungsqualität und letztlich für die Gesellschaft deutlich macht.

Die Politik muss verstehen: Eine HOAI ohne verbindliche Mindestsätze ist wie ein Mindestlohn ohne rechtliche Durchsetzbarkeit – eine gut gemeinte Absichtserklärung ohne praktische Relevanz. Die Zeit der Kompromisse und Halbheiten muss enden. Die nächste Novellierung darf nicht wieder ein Jahrzehnt auf sich warten lassen. Die EU-konforme Absicherung von Mindestsätzen muss jetzt auf die Agenda – notfalls als eigenständige Gesetzesinitiative parallel zur laufenden Verordnungsnovelle.

Die deutsche Planungsbranche steht an einem Scheideweg: Entweder sie akzeptiert den schleichenden Niedergang ihrer Honorarstrukturen, oder sie kämpft endlich gemeinsam und entschlossen für eine zukunftsfähige, rechtssichere Lösung. Die Zeit des höflichen Abwartens ist vorbei.