Baukunst - Schöne Häuser, mieses Gehalt? Warum der Architektur-Beruf an Attraktivität verliert
Unsere Absolventinnen und Absolventen verdienen bessere Perspektiven

Schöne Häuser, mieses Gehalt? Warum der Architektur-Beruf an Attraktivität verliert

25.10.2025
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Stuart Rupert

Der lange Weg zum Diplom:
Architekten-Ausbildung und die Realität der Einstiegshonorare

Wer in Deutschland Architekt oder Architektin werden möchte, muss einen steinigen Weg gehen. Im Bachelor-Studium werden mindestens 6 Semester Regelstudienzeit festgelegt, dazu kommt ein Master-Studium von mindestens 4 Semestern. Doch damit ist der Weg zur geschützten Berufsbezeichnung noch nicht zu Ende. Um sich in die Architektenkammer eintragen zu lassen und damit offiziell als Architekt oder Architektin tätig zu sein, sind mindestens zwei Jahre Berufserfahrung erforderlich.

Das bedeutet in der Praxis: Von der Schulzeit bis zur vollständigen beruflichen Qualifizierung vergehen schnell sieben bis acht Jahre – bei optimaler Studiendauer. Viele Absolventinnen und Absolventen benötigen deutlich länger. Die durchschnittliche Studiendauer an Universitäten liegt oft deutlich über der Regelstudienzeit. Hinzu kommen Lebenshaltungskosten, die in vielen Universitätsstädten bei 800 bis 1.900 Euro monatlich liegen. Materialkosten für Modellbau, Zeichnungsutensilien und Software-Lizenzen schlagen mit 150 bis 300 Euro pro Semester zu Buche. Studiengebühren an privaten Hochschulen können bis zu 359 Euro monatlich betragen – an staatlichen Hochschulen fallen sie seit 2024 in den meisten Bundesländern weg.

Die Honorarordnung HOAI und die neue Marktlogik

Bis 2021 galt die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) als verbindliches Preisrecht – ein System, das Mindest- und Höchstsätze vorschrieb und damit einen gewissen Schutz vor ruinösem Preisdumping bot. Der Europäische Gerichtshof hob diese Verbindlichkeit auf. Seit Januar 2021 können Honorare frei vereinbart werden. Die HOAI dient fortan nur noch als Orientierungsrahmen, nicht als Rechtsnorm.

Für Absolventinnen und Absolventen bedeutet dies: Sie treten in einen vollständig liberalisierten Markt ein, in dem ihre Verhandlungskraft begrenzt ist. Einstiegsgehälter bei angestellten Architektinnen und Architekten in Deutschland bewegen sich 2025 typischerweise zwischen 38.000 und 46.000 Euro brutto. Im öffentlichen Dienst liegt die Spanne zwischen 51.000 und 75.000 Euro, abhängig von der Berufserfahrung – doch diese Positionen sind knapp besetzt und hochumkämpft. Absolventen, die sich selbständig machen möchten, müssen gegen die Praxis ankämpfen, dass viele Auftraggeber ihre Leistungen erheblich unter den früheren HOAI-Richtwerten einpreisen.

Ein Beruf unter Druck: Warum die Branche Nachwuchs verliert

Die Diskrepanz zwischen Aufwand und Ertrag ist erheblich. Skandinavische Länder und die Schweiz zahlen Absolventinnen und Absolventen teilweise das Eineinhalbfache deutscher Einstiegssalary – bei ähnlich hohen oder sogar noch höheren Ausbildungsstandards. Gleichzeitig berichten Architektinnen und Architekten von wachsenden Qualitätsansprüchen, juristischen Risiken und Verantwortung, die sich nicht im Honorar abbildet.

Wer nach einem fünf- bis siebenjährigen Studium in einem Beruf anfängt, in dem zwischen 38.000 und 50.000 Euro Jahresgehalt realistisch sind, fragt sich: War das Richtige die richtige Wahl? Andere Branchen, etwa im IT-Sektor oder in der Unternehmensberatung, belohnen ähnliche oder sogar geringere formale Qualifikationen mit erheblich höheren Startgehältern. Die Branche verliert Talente an den internationalen Arbeitsmarkt und an andere Berufsfelder.

Nachhaltigkeitsprinzipien und wirtschaftliche Realität: Ein ungelöstes Spannungsverhältnis

Das Architektur-Studium stellt zunehmend Anforderungen an Nachhaltigkeitsdenken. Klima-adaptive Architektur, kreislaufgerechtes Bauen, Life-Cycle-Assessments – diese Themen prägen die zeitgenössische Ausbildung. Doch nachhaltig zu planen erfordert zusätzliche Zeit, Recherche und Spezialkompetenz. Der Markt verlangt gleichzeitig nach schneller, billiger Planung. Absolventinnen und Absolventen, die mit Überzeugung nachhaltig arbeiten möchten, stehen unter wirtschaftlichem Druck. Entweder sie nehmen Auftragsverhältnisse an, die ihre Ideale nicht abbilden, oder sie rechnen unter Wert – mit den bekannten Folgen für Geschäftsfähigkeit und Berufszufriedenheit.

Was eine zeitgemäße Nachwuchsförderung leisten müsste

Die Architektur-Branche steht vor einer Weggabelung. Entweder, sie akzeptiert, dass Hochleistungsabsolventen und Hochleistensabsolventinnen in andere Felder abwandern. Oder die Branche investiert aktiv in ihre Zukunft – durch transparentere Honorarmodelle, durch Mentorship-Programme, die den Übergang vom Studium in die Praxis erleichtern, und durch eine ehrliche Kommunikation mit dem Nachwuchs über realistische Verdienstperspektiven.

Die Baukunst benötigt Nachwuchs, der nicht nur technisch versiert ist, sondern auch ästhetisches Urteilsvermögen, kritisches Denken und Verantwortungsbewusstsein mitbringt. Die nächste Generation verdient nicht nur eine gute Ausbildung, sondern auch Arbeitsbeziehungen, die ihre Investition lohnen.

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