
Die Zeit der Luxus-Umnutzung ist vorbei
Es war eine elegante Lösung, die zwei Jahrzehnte lang Architekten, Investoren und Politiker gleichermaßen zufriedenstellte. Historische Bausubstanz bewahren, gleichzeitig dem Wohnungsmarkt entlasten, Kultur finanzieren. Der Bilker Bunker in Düsseldorf mit seinen Ausstellungsräumen und Eigentumswohnungen wirkte beinahe wie ein modernes Märchen: Geschichte und Gegenwart in perfekter Synthese. Der Lofthouse-Bunker in Oberhausen mit seinen bodentifen Fenstern, den Designeradaptionen und einer Millionen-Euro-Preisschrift schien den Beweis zu führen, dass auch massivste Kriegsrelikte zu glänzenden Objekten der Spätmoderne umgebaut werden können.
Doch diese Erzählung war ein bequemer Traum. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat gemerkt, dass dieser Traum in einer neuen Wirklichkeit angesichts von Ukraine-Krieg und Drohnenschwärmen nicht mehr haltbar ist. Der Verkauf von Hochbunkern an private Investoren wurde ausgesetzt. Ein Paradigmenwechsel, der nicht nur Immobilienmarkt und Stadtentwicklung tangiert, sondern auch und vor allem die Frage nach unserer zivilschutztechnischen Realität neu stellt.
Zahlen, die schmerzen
Die Fakten sind unbarmherzig: Im Jahr 2007 gab die Bundesregierung das Schutzraumkonzept auf. Niemand wollte in Friedenszeiten für Bunker bezahlen. Die Finanzierung der restlichen Schutzräume wurde eingestellt, die Rückabwicklung begann. Circa 477.000 Schutzplätze sind heute auf dem Papier noch vorhanden. In der Realität: Keine einzige öffentliche Schutzstelle ist funktionsfähig. Das erklärte die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben freimütig auf Anfrage. Nach fast zwei Dekaden der Entkernung und Umgestaltung stehen die Bunker jetzt als Geister da: Architektonisch transformiert zu Luxuswohnungen, aber zivilschutztechnisch völlig unbrauchbar.
Die Kosten einer Reaktivierung? Martin Voss, Professor für Krisen- und Katastrophenforschung an der Freien Universität Berlin, gibt die ehrliche Antwort: mehr als 500 Milliarden Euro. Das wäre eine Summe, die alle aktuellen Sonderhaushalte in den Schatten stellt.
Die Gretchenfrage der Effektivität
Doch noch vor der ökonomischen Frage stellt sich eine militärstrategische: Was nützen die Bunker überhaupt noch? Dies ist die zentrale Frage, die die öffentliche Debatte zu häufig umschiffer. Moderne Drohnenschwärme mit Kurzzeitwarnzeiten würden die meisten Bürger ohnehin nicht in die unterirdischen Schutzräume bringen. Ein Bunker, in dem sich mehrere hundert bis tausend Menschen dicht gedrängt in die Dunkelheit flüchten, könnte unter den Bedingungen moderner Kriegführung schnell selbst zum Ziel werden.
Anders ausgedrückt: Die alte Bunker-Logik funktioniert im Zeitalter vernetzter Drohnen und Hyperschallwaffen nicht mehr. Das ist eine unbequeme Wahrheit, zu der sich Planerinnen und Planer und politische Verantwortliche jedoch durchringen müssen.
Was hätte sein können: Das Resilienzzentrum
Martin Voss hat einen provozierenden Vorschlag: Statt die Bunker entweder vollständig zu privatisieren oder in ein kostspieliges Schutzraumkonzept zu investieren, könnte man ein Resilienzzentrum schaffen. Eine institutionelle Drehscheibe, die bestehende Bunker in multiplen Krisenszenarios neu rahmt. Sie könnten Orte sein, an denen Menschen in Stromausfällen Informationen bekommen, wo sie Kurbelradios finden, wo sie Trinkwasser tanken können. Nicht als Luftschutzräume wie 1944, sondern als kulturelle und soziale Anlaufstellen für Extremfälle.
Ein solches Konzept benötigte Koordination zwischen Bund und Ländern, zwischen Zivilschutz und Katastrophenschutz. Genau diese Koordination fehlt heute völlig. Ein Resilienzzentrum, schätzt Voss, würde zwischen 20 und 30 Millionen Euro kosten. Das sind Mittel, die durchaus aufgebracht werden könnten, wenn der politische Wille da wäre.
Was die Nordländer richtig machen
Finnland und Schweden werden oft genannt, wenn es um Zivilschutz geht. Sie haben eines gemeinsam: Diese Länder haben ihre Bunker nicht privatisiert. Sie haben ihre Bevölkerung niemals in den trügerischen Traum von permanentem Frieden versetzt. In Helsinki hat sogar die U-Bahn-Infrastruktur eine Wasserversorgung für den Ernstfall. Das ist keine Paranoia, das ist Realismus angesichts von 1.300 Kilometern geteilter Grenze mit Russland.
Deutschland hat diesen Realismus aufgegeben. Stattdessen wurde zwischen 2007 und 2022 eine gigantische Immobilien-Konversionsmaschine gebaut, die Kriegsreliquien in Penthäuser verwandelt hat. Das war architektonisch interessant. Strategisch war es fahrlässig.
Die unbequeme Wahrheit
Die unbequeme Wahrheit ist: Wir als Architekten und Architektinnen, wir als Planende, wir als städtische Gemeinschaft haben es geschafft, eines unserer größten baulichen Vermächtnisse des 20. Jahrhunderts zu ruinieren. Nicht physisch zerstört, sondern funktional delegitimiert. Die Bunker stehen zwar noch, aber sie sind Ruinen einer anderen Epoche.
Hätte die Bundesregierung 2007 anders entschieden, hätte sie die Bunker in einem veränderten Ansatz bewahrt und gepflegt statt privatisiert und transformiert, wäre die heutige Situation eine ganz andere. Das ist nicht mehr zu ändern.
Ausblick: Umdefinition statt Rückkehr
Was wir brauchen, ist keine Rückkehr zur Bunker-Logik der 1950er Jahre. Was wir brauchen, ist eine intelligente Neudefinition. Einzelne Bunker könnten, wie in Oberhausen und Hamburg bewiesen, durchaus als hybride Orte weiterbestand haben, wenn sie mit einer neuen Funktion ausgestattet würden: als kulturelle Zentren und Krisenlokationen zugleich. Der sogenannte Musikbunker in Frankfurt zeigt, dass dies möglich ist.
Allerdings nur mit kommunalen Strukturen, die heute nicht existieren. Florian Ritter von der Branddirektion Frankfurt hat recht: Letzten Endes kommt man immer zu dem Punkt, dass jeder selbst vorsorgen muss. Das ist keine tröstliche Aussicht. Aber es ist ehrlich.
Die Bunker stehen noch. Aber ihre Zeit ist vorbei.

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