
Wie der Circular Construction Hub der IBA’27 das zirkuläre Bauen demokratisieren will
Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Über 54 Prozent des deutschen Abfallaufkommens entfallen auf das Bauwesen. Gleichzeitig schlummern in deutschen Gebäuden geschätzte 15 Milliarden Tonnen verbauter Materialien, ein anthropogenes Lager von kaum vorstellbarem Ausmaß. Während Architekten und Stadtplanerinnen seit Jahren über Urban Mining und Kreislaufwirtschaft diskutieren, blieb die praktische Umsetzung meist im Stadium des Pilotprojekts stecken. Die Internationale Bauausstellung 2027 StadtRegion Stuttgart versucht nun, diese Kluft zwischen Theorie und Praxis zu überbrücken.
Der im März 2025 vorgestellte Circular Construction Hub verkörpert diesen Anspruch. Die digitale Plattform kombiniert einen KI basierten Chatbot mit einer Materialdatenbank und den Ergebnissen einer umfassenden Stoffstromanalyse. “Der Bausektor ist einer der größten Hebel für Ressourcenschonung und Klimaschutz”, betont Andreas Hofer, Intendant der IBA’27. Die Herausforderung besteht darin, das rasant wachsende Feld der Kreislaufwirtschaft überschaubar zu machen.
Der Chatbot als digitaler Wegweiser
Das Herzstück des Hubs bildet ein speziell programmierter Chatbot, der auf einer Datenbasis von über tausend geprüften Fachinformationen aufbaut. Fachbücher, Fallstudien und Forschungsberichte wurden systematisch aufbereitet. Im Unterschied zu allgemeinen KI Tools wie ChatGPT greift der Bot ausschließlich auf verifizierte Quellen zurück und verweist transparent auf diese. Planerinnen und Bauherren können konkrete Fragen stellen: Welche Materialien eignen sich für mein Projekt? Wie lassen sich Bauteile aus einem Rückbau wiederverwenden? Die Antworten sollen nicht nur informieren, sondern direkte Handlungsempfehlungen liefern.
Jo Bronckers von der niederländischen NGO Fibree, die den Hub maßgeblich mitentwickelt hat, versteht die Plattform als Anfang von etwas Größerem. Die modulare Struktur ermöglicht es, den Bot und die einzelnen Komponenten auf andere Regionen zu übertragen. Für die Region Stuttgart soll der Hub zunächst als Anker dienen, um der Kreislaufwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen.
Ernüchternde Bestandsaufnahme, pragmatische Lösungen
Die Erkenntnisse des IBA Pilotprojekts “Kreislaufschließung” sind aufschlussreich. An drei Beispielgebäuden, einem ehemaligen Postgebäude in Böblingen sowie einem Wohnhaus und einem Therapiegebäude in Kernen, analysierte das Team um Projektleiterin Stefanie Weavers das Wiederverwendungspotenzial. Das Ergebnis war ernüchternd: Unter Berücksichtigung der aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen lag das Potenzial bei unter zehn Prozent.
Diese Quote spiegelt weniger einen Mangel an vorhandenen Materialien wider als vielmehr strukturelle Hindernisse. In Gesprächen mit Stakeholdern, von Kommunen über Hochschulen bis zur Handwerkskammer, kristallisierte sich heraus, dass theoretisch alles vorhanden sei, um in die Umsetzung zu gehen. Der Knackpunkt liegt woanders: Es fehlt an Transparenz, Vernetzung und aussagekräftigen Datengrundlagen zu Gebäuden. Verschiedene Töpfe existieren parallel, jeder kocht seinen eigenen Brei.
Stoffstromanalyse als Planungsinstrument
Gemeinsam mit dem niederländischen Unternehmen Metabolic führte die IBA’27 eine Stoffstromanalyse an sieben ausgewählten Projekten durch. Erstmals wurden präzise Daten über verbaute Materialien erhoben: vom Sindelfinger Krankenhausareal über das Quartier Backnang West bis zum KaepseLE Goldäcker. Die Analyse zeigt, welche Materialien in welchen Mengen vorhanden sind, wann sie freigesetzt werden und wo Bedarf entsteht.
Ein zentrales Ergebnis: Die mengenmäßig größte Freisetzung an Beton, Ziegeln und Gips wird im Jahr 2030 erwartet, wenn bei mehreren Projekten intensive Abriss und Sanierungsarbeiten starten sollen. Für die Transformation werden hauptsächlich Beton (geschätzte 70 Prozent der benötigten Materialien) und Holz (10 Prozent) benötigt. Die intensive Nutzung von Holz unterstreicht dessen wachsende Bedeutung für nachhaltiges Bauen, während die anhaltende Dominanz des Betons verdeutlicht, wie dringend Innovationen beim Betonrecycling notwendig sind.
Vom Abfall zum Rohstoff: Eine Definition macht Probleme
Die größten Hürden für zirkuläres Bauen sind nicht technischer Natur. Es mangelt an Zeit und Personal, selbst bei ambitionierten Planungsbüros. Neue Normen und Regulierungen seien nicht notwendig, betont Weavers. Die Spielräume existieren. Was allerdings dringend angepasst werden müsse, sei die gesetzliche Definition von Abfall. Sobald Material aus einem Gebäude ausgebaut und an anderer Stelle wiederverwendet wird, gilt es rechtlich als Abfall. Diese Kategorisierung erschwert die Wiederverwendung unnötig und verhindert pragmatische Lösungen.
Hinzu kommt das Fehlen einfacher Verfahren zur Gewährleistung von Bauteilen, die ein Risiko für Leib und Leben bedeuten können. Hier brauche es gesunden Menschenverstand und Pragmatismus, um den Dschungel an Gesetzen und Regularien nicht weiter zu verkomplizieren.
Die kritische Masse fehlt
Bei Betrachtung historischer Transformationen, von der landwirtschaftlichen über die industrielle bis zur digitalen Revolution, fallen vier gemeinsame Faktoren auf: Veränderungen der Machtverhältnisse und politischen Rahmenbedingungen, technische Innovationen kombiniert mit wirtschaftlichen Anreizen, ein Paradigmenwechsel sowie eine kritische Masse gesellschaftlicher Unterstützung. Letztere fehlt der Kreislaufwirtschaft im Bausektor noch weitgehend.
Während Second Hand Kleidung längst salonfähig geworden ist und einen erfolgreichen Markt bedient, bleibt die öffentliche Aufmerksamkeit für zirkuläres Bauen begrenzt. Die Verbindung zwischen bezahlbarem Wohnraum, Energiekrise und endlichen Ressourcen wird im öffentlichen Diskurs selten hergestellt. Der Hub soll dazu beitragen, diese Lücke zu schließen, indem er Wissen, Akteure, Projekte und Ideen zusammenträgt und so Vernetzung und neue Geschäftsmodelle fördert.
Ausblick: Von der Region zum Standard
Das IBA Pilotprojekt versteht sich als Demonstration dessen, was möglich ist. Aktuell läuft eine von der Holzbau Offensive Baden Württemberg geförderte Untersuchung zur Identifizierung regionaler Unternehmen, die biobasierte Materialien herstellen. Die Materialdatenbank soll mittelfristig auf drei Säulen fußen: Wiederverwendung, Recycling und biobasierte Materialien.
Die eigentliche Frage bleibt jedoch: Wie gelingt der Sprung vom 15 jährigen Pilotprojekt Status zur flächendeckenden Anwendung? “Für eine echte Transformation braucht es politische Weichenstellungen, wirtschaftliche Anreize, neue Geschäftsmodelle und einen Kulturwandel in der Bauwirtschaft”, fasst Weavers zusammen. Der Circular Construction Hub ist unter http://knowledge.iba27.de öffentlich zugänglich. Er ist ein Werkzeug, nicht die Lösung selbst. Ob er seinen Anspruch einlösen kann, das zirkuläre Bauen vom Expertenthema zum Branchenstandard zu machen, wird sich erst zeigen, wenn Architekten und Stadtplanerinnen, Bauherren und Handwerkerinnen ihn tatsächlich in ihre tägliche Praxis integrieren.

Wie Österreich seine Denkmaler digital rettet – und real gefährdet

Die Pixellüge: Wie KI-Bilder die Architektur korrumpieren









