
Über den Zusammenhang von Architektur, Macht und Rechenschaft
Gesellschaft & Urbanismus | Dezember 2025
Ein geheim gehaltener Rechnungshofbericht enthüllt: Die Deutsche Bundesbank plante ihre Zentrale für über vier Milliarden Euro, während ihr ökonomischer Einfluss längst an die EZB übergegangen ist. Der Fall wirft grundsätzliche Fragen über institutionelle Rechenschaftspflichten auf.
Der graue Betonriegel im Frankfurter Norden gilt seit seiner Fertigstellung 1972 als architektonisches Symbol deutscher Stabilitätskultur. Das von Otto Apel und dem Büro ABB entworfene Hauptgebäude der Deutschen Bundesbank, 217 Meter lang und 54 Meter hoch, verkündet in seiner brutalistischen Formensprache Solidität und Beständigkeit. Doch hinter der monumentalen Fassade verbarg sich ein Planungsdesaster, das erst durch die Veröffentlichung eines lange zurückgehaltenen Prüfberichts des Bundesrechnungshofs ans Licht kam.
Eine Million Euro pro Arbeitsplatz
Die Zahlen sind erschütternd: Für den geplanten Campus der Bundesbank waren Gesamtkosten von bis zu 4,6 Milliarden Euro veranschlagt. Heruntergerechnet entspricht dies etwa einer Million Euro pro Büroarbeitsplatz. Zum Vergleich: Der komplette Neubau der Europäischen Zentralbank, jener Institution, die der Bundesbank längst die geldpolitische Kompetenz abgenommen hat, kostete rund 1,3 Milliarden Euro. Die Bundesbank plante also einen Bau, der mehr als das Dreifache der EZB-Zentrale verschlingen sollte, obwohl ihre nationale Bedeutung in Währungsfragen drastisch geschrumpft ist.
Der Bundesrechnungshof kritisiert in seinem Bericht vom April 2024 nicht nur die schiere Dimension des Vorhabens, sondern auch dessen konzeptionelle Grundlagen. Die Bundesbank habe Büros pauschal mit 20 Quadratmetern angesetzt und dabei einfach die Flächenmaße aus dem Altbau der späten 1960er Jahre übernommen. Dabei hätten damals noch Akten in den Räumen gelagert werden müssen, was heute durch die Digitalisierung entfällt. Die geplante Gesamtfläche lag 5.405 Quadratmeter über den Vorgaben für Bundesministerien. Über den gesamten Lebenszyklus der Gebäude, so die Prüfer, hätte dies Mehrkosten von 1,7 Milliarden Euro verursacht.
Tribünen für Wettkämpfe: Wenn Bedürfnisse die Realität überholen
Besonders pikant erscheint die geplante Ausstattung des Campus. Eine Mehrzweckhalle sollte nicht nur Sport ermöglichen, sondern auch Wettkämpfe mit bis zu 1.000 Zuschauenden sowie eine Tribüne für 350 Personen umfassen. Der Rechnungshof urteilt unmissverständlich: Eine Tribünenanlage sei für eine Bundesbehörde unter keinem denkbaren Gesichtspunkt notwendig und angemessen. Es gehöre nicht zu den Aufgaben der Bundesbank, Wettkampfveranstaltungen durchzuführen.
Hinzu kommen Gastronomieflächen, Gästewohnungen und ein unterirdisches Erschließungssystem. Der Gesamteindruck vermittelt weniger funktionale Verwaltungsarchitektur als vielmehr den Repräsentationsanspruch einer Institution, die sich ihrer schwindenden Bedeutung womöglich nicht bewusst war, oder dieser aktiv entgegenwirken wollte.
Sieben verlorene Jahre: Die verspätete Reaktion auf veränderte Arbeitswelten
Der Rechnungshof bemängelt zudem, dass die Bundesbank sieben Jahre verstreichen ließ, bis sie Erkenntnisse zu modernen Bürokonzepten und mobilem Arbeiten in ihre Bedarfsplanung integrierte. Selbst die Erfahrungen der Corona-Pandemie wurden nur zögerlich ausgewertet. Dabei hätten schon moderate Anpassungen bei der Desksharing-Quote den Bedarf an neuen Büroflächen erheblich reduziert. Bei einer Quote von 55 Prozent, so die Berechnung, wäre kein einziger Neubau erforderlich gewesen.
Die Geschichte des Projekts liest sich wie ein Lehrstück institutionellen Beharrungsvermögens. 2016 kündigte das zuständige Vorstandsmitglied Johannes Beermann an, das Gelände umfassend zu modernisieren. 2018 erhielt Ferdinand Heide den Zuschlag für das Gestaltungskonzept, 2020 gewann das Schweizer Büro Morger Partner Architekten den Realisierungswettbewerb. Die Kosten stiegen, die Kritik wuchs, doch erst unter Bundesbankpräsident Joachim Nagel wurden 2023 erste Abspeckungen beschlossen. Im Mai 2024 folgte die endgültige Kehrtwende: Nur noch Bestandssanierung, keine Neubauten mehr.
Das Transparenzdefizit: Unabhängigkeit als Schutzschild
Die brisanteste Frage betrifft jedoch nicht die Architektur selbst, sondern den Umgang mit dem Prüfbericht. Warum hielt die Bundesbank das Dokument über ein Jahr lang zurück? Die Notenbank argumentiert, es habe sich um veraltete Planungen gehandelt, die bereits revidiert worden seien. Doch diese Erklärung überzeugt Kritikerinnen und Kritiker nicht.
Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung betont, ein Grundpfeiler der Haushaltskontrolle sei Transparenz. Prüfberichte und Evaluationen öffentlich finanzierter Tätigkeiten sollten immer veröffentlicht werden. Allerdings, so Heinemann, tue sich auch die gesamte Bundesebene mit Transparenz schwer. Im Parlament säßen Abgeordnete, die oft nicht wollten, dass bei ihren Lieblingsprogrammen so genau hingeschaut werde.
Carsten Brzeski von der ING Bank formuliert es deutlicher: Wenn man in diesen Zeiten noch glaube, solche Berichte wirklich geheim halten zu können, habe man den Puls der Zeit deutlich verpasst. Die Bundesbank sollte im eigenen Interesse und angesichts ihres hohen internationalen Ansehens mit solchen Themen offensiv umgehen.
Zwischen Denkmalschutz und Zukunftsfähigkeit
Das Hauptgebäude selbst wurde 2022 unter Denkmalschutz gestellt, eine Anerkennung seiner architekturhistorischen Bedeutung als Zeugnis des Brutalismus. Der Architekturhistoriker Werner Durth würdigt den Bau als bedeutendes Beispiel einer Epoche, die mit dem Anspruch auf Originalität und Wahrhaftigkeit im Bauen die Phantasie der Entwerfenden bewegte. Die klare Kontur und solitäre Lage des Hauses könne als Zeichen der Eigenständigkeit der Bundesbank gedeutet werden, unabhängig von politischen Stimmungslagen.
Doch Eigenständigkeit darf nicht Intransparenz bedeuten. Der Fall der Bundesbank-Zentrale offenbart ein strukturelles Problem öffentlicher Institutionen: Je autonomer eine Behörde agiert, desto wichtiger werden Mechanismen der Rechenschaftspflicht. Die Unabhängigkeit der Notenbank ist ein hohes Gut. Aber sie darf nicht zum Schutzschild gegen legitime Fragen nach der Wirtschaftlichkeit öffentlicher Ausgaben werden.
Die Bundesbank prüft nun in einer umfassenden Wirtschaftlichkeitsuntersuchung, ob sie überhaupt noch auf das Gelände in Frankfurt-Bockenheim zurückkehren soll. Die Beschäftigten, derzeit im Frankfurter Büro Center untergebracht, einem der ältesten Hochhäuser der Stadt, müssen sich womöglich auf einen weiteren Umzug einstellen. Das Prestigeprojekt Campus ist Geschichte. Was bleibt, ist die Frage, wie öffentliche Bauvorhaben künftig besser kontrolliert werden können, bevor Milliarden in unrealistische Planungen fließen.

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