Baukunst-Architekten der Hoffnung: Wie Ukraines Studierende ihr Land neu entwerfen
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Architekten der Hoffnung: Wie Ukraines Studierende ihr Land neu entwerfen

20.10.2024
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Ignatz Wrobel

Architektur im Schatten des Krieges: Ukrainische Studierende zwischen Trümmern und Träumen

Der Donner der Explosionen hallt durch die Straßen von Charkiw. Wo einst stolze Universitätsgebäude standen, türmen sich nun Schuttberge. Inmitten dieser Zerstörung sitzen junge Menschen vor ihren Laptops, die Augen fest auf den Bildschirm gerichtet. Sie sind die zukünftigen Architektinnen und Architekten der Ukraine, die trotz des tobenden Krieges an ihren Träumen festhalten.

Die russische Invasion hat die Architekturausbildung in der Ukraine in ihren Grundfesten erschüttert. Renommierte Institutionen wie die Nationale Universität für Bau und Architektur in Kiew und die Lwiw Polytechnische Nationaluniversität kämpfen um ihr Überleben. Die physische Infrastruktur, einst Stolz dieser Einrichtungen, liegt in Trümmern. Zeichensäle, in denen Generationen von Studierenden ihre Visionen zu Papier brachten, existieren nur noch in der Erinnerung.

Doch aus den Ruinen erhebt sich der unbeugsame Geist der ukrainischen Jugend. Mit beeindruckender Resilienz haben sich Studierende und Lehrende neu erfunden. Der Hörsaal ist nun das Wohnzimmer, das Atelier die Küche des Nachbarn. Eine Architekturstudentin berichtet: „Ich studiere jetzt im Badezimmer zwischen tragenden Wänden. Es ist nicht ideal, aber es gibt mir ein Gefühl von Sicherheit.“

Die Umstellung auf Online-Lehre war für die Architekturprogramme besonders herausfordernd. Wie vermittelt man die Feinheiten des Modellbaus über eine flimmernde Zoom-Verbindung? Wie erfasst man die Textur eines Materials durch einen Bildschirm? Doch Not macht erfinderisch. Professoren und Professorinnen haben innovative Wege gefunden, die Essenz ihrer Lehre zu transportieren. Virtual-Reality-Technologien und 3D-Modellierung sind nicht länger Zukunftsmusik, sondern gelebte Realität.

Trotz dieser Anpassungen bleibt die Situation prekär. Stromausfälle und instabile Internetverbindungen sind ständige Begleiter. Manche Studierende berichten von Vorlesungen, die im Dunkeln gehalten werden, nur erhellt vom Schein der Laptopbildschirme. Es ist eine Metapher für den Zustand des Landes: Im Dunkel des Krieges leuchtet das Licht des Wissens weiter.

Die psychologische Belastung für die jungen Architekten und Architektinnen ist immens. Viele haben Freunde und Familie verloren, ihre Heimatstädte in Schutt und Asche gesehen. Doch gerade diese schmerzhafte Erfahrung treibt viele an. Eine Studentin aus Charkiw erklärt: „Wenn ich die Fotos vom zerstörten Charkiw sehe, wird mir klar, dass ich den richtigen Beruf gewählt habe. Wir werden unsere Städte wieder aufbauen, schöner und stärker als zuvor.“

Diese Einstellung spiegelt sich in den veränderten Schwerpunkten der Architekturprogramme wider. Wiederaufbau, Resilienz und Nachhaltigkeit sind nicht länger abstrakte Konzepte, sondern dringende Notwendigkeiten. Studierende arbeiten an Projekten für bombensichere Schulen, an modularen Wohneinheiten für Binnenvertriebene und an der Integration von Luftschutzkellern in moderne Wohnkomplexe. Die Architektur der Zukunft wird geprägt sein von den Narben der Vergangenheit.

Internationale Solidarität spielt eine wichtige Rolle in dieser schwierigen Zeit. Universitäten in ganz Europa und Nordamerika haben Partnerschaften mit ukrainischen Institutionen geschlossen. Sie bieten Online-Kurse an, stellen Ressourcen zur Verfügung und ermöglichen Austauschprogramme. Diese globale Vernetzung eröffnet den ukrainischen Studierenden neue Perspektiven und bereitet sie auf eine Zukunft vor, die weit über die Grenzen ihres Heimatlandes hinausreicht.

Doch bei aller internationaler Unterstützung bleibt die Frage: Wie wird die ukrainische Architektur der Zukunftaussehen? Wird sie geprägt sein von Bunkermentalität und Verteidigungsanlagen? Oder wird sie ein Symbol des Triumphes des menschlichen Geistes über die Zerstörung sein? Die Antworten auf diese Fragen werden von den jungen Menschen geliefert werden, die heute unter widrigsten Umständen studieren.

Die Herausforderungen sind gewaltig, aber so ist auch die Entschlossenheit der ukrainischen Architekturstudierenden. In ihren improvisierten Studios entwerfen sie nicht nur Gebäude, sondern die Zukunft ihres Landes. Jede Linie, die sie zeichnen, jedes Modell, das sie bauen, ist ein Akt des Widerstands gegen die Zerstörung. Es ist ein Beweis dafür, dass selbst im Angesicht unvorstellbarer Gewalt die Kraft der Kreativität und des menschlichen Geistes ungebrochen bleibt.

Die Architektur hat schon immer die Gesellschaft widergespiegelt, in der sie entsteht. Die zukünftigen Gebäude der Ukraine werden Zeugnisse sein – nicht nur von Krieg und Zerstörung, sondern auch von Widerstandskraft, Innovationund der unerschütterlichen Hoffnung eines Volkes. In den Händen dieser jungen Architektinnen und Architekten liegt mehr als nur die Zukunft der gebauten Umwelt. Sie halten die Seele einer Nation, die sich weigert, gebrochen zu werden.