Ist eine gewerkschaftliche Organisation eine Lösung?
Architekten, die bis über beide Ohren verschuldet sind und zwei Drittel ihres Einkommens für die Miete ausgeben, sich aber dennoch als „Mittelschicht“ bezeichnen – ein vertrautes Bild. Der Beruf des Architekten ist schon lange kein Garant für Wohlstand mehr. Doch ist gewerkschaftliche Organisation die Lösung?
Die Realität hinter der Fassade
Obwohl in Spitzenpositionen oft gut vernetzte Absolventen privater Schulen dominieren, sind die meisten Architekten gewöhnliche Staatsabsolventen ohne Ersparnisse und mit hoher Arbeitslast. Viele würden schnell verarmen, wenn sie ihre Arbeit nicht mehr verkaufen könnten. Die Wahrheit ist: Architekten sind Arbeitnehmer. Doch die gewerkschaftliche Organisierung in der Architekturbranche ist gering.
Gewerkschaften in der Architektur: Ein Blick in andere Länder
In Großbritannien gründete sich 2019 die Section of Architectural Workers (SAW), die sich kürzlich mit Unite zusammenschloss. In den USA können Architekten verschiedenen Gewerkschaften beitreten. Trotz der Vorteile – wie rechtliche Unterstützung – sind die meisten Architekten auf beiden Seiten des Atlantiks nicht gewerkschaftlich organisiert.
Einige Architekten entscheiden sich für die teurere Mitgliedschaft beim Royal Institute of British Architects (RIBA), obwohl sie keine kostenlose Rechtsberatung bietet, im Gegensatz zur günstigeren Mitgliedschaft bei SAW. Hier stellt sich die Frage: Warum ziehen Architekten eine teure, weniger schützende Mitgliedschaft vor?
Die historische Bürde der Architektur
Die Architekturbranche hat eine lange Geschichte des Wohlstands und der elitären Netzwerke. Dies beeinflusst noch heute, wie Architekten sich selbst wahrnehmen und welche Organisationen sie unterstützen. Andrew Daley, Architekt und Gewerkschaftsorganisator, betont: „Viele Architekten sehen sich nicht als Arbeitnehmer, weil sie glauben, zu gebildet und zu elitär für eine Gewerkschaft zu sein.“
Die Vorteile von Anerkennungsvereinbarungen
Einzelgewerkschaftsmitgliedschaften bieten Schutz vor schlechter Behandlung durch Arbeitgeber, sind aber meist nur als letzte Rettung nützlich. Effektiver ist es, wenn mehrere Mitarbeiter einer Praxis einer Gewerkschaft beitreten und eine Anerkennungsvereinbarung anstreben. Diese Vereinbarungen legen fest, wie Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammenarbeiten und kommunizieren, um Arbeitsbedingungen proaktiv zu verbessern.
In Großbritannien haben Arbeitsplätze mit Anerkennungsvereinbarungen durchschnittlich acht Prozent höhere Löhne. Jake Arnfield von SAW erklärt: „Anerkennung ermöglicht es den Arbeitnehmern, proaktiver zu sein und die Bedingungen langfristig zu verbessern.“ Diese Vereinbarungen bieten eine strukturierte Möglichkeit zur Mitbestimmung und fördern eine nachhaltige Arbeitsplatzkultur.
Die Hürden der Akzeptanz
Trotz der Vorteile hinkt die Architekturbranche anderen Sektoren hinterher. Nur ein Architekturbüro in den USA hat eine Anerkennungsvereinbarung getroffen, und in Großbritannien gab es noch nie eine solche Vereinbarung zwischen einer privaten Architekturpraxis und einer Gewerkschaft. Einige Manager befürchten, dass dies ihren Mitarbeitern zu viel Einfluss geben könnte. Dabei haben alle Angestellten ein Interesse am Erfolg ihres Arbeitgebers, und eine stärkere Mitbestimmung kann dieses Interesse nur fördern.
Ein Schritt in die Zukunft?
Während viele Praktiken gute Arbeitgeber sind, leiden zu viele Architekten unter langen Arbeitszeiten, unbezahlten Überstunden und anderen Problemen. Eine Gewerkschaftsmitgliedschaft kann helfen, diese Bedingungen zu verbessern. In 2022 machte Bernheimer Architecture in New York Geschichte, indem es als erstes privates Architekturbüro in den USA eine Anerkennungsvereinbarung mit seinen Mitarbeitern traf. Dies brachte dem Büro positive Medienberichterstattung und eine Reputation als guter Arbeitgeber.
Die Frage bleibt: Ist gewerkschaftliche Organisation in Architekturbüros sinnvoll? Gewerkschaften sind nicht nur eine Absicherung, sondern auch eine Möglichkeit, die Architekturbranche nachhaltiger und gerechter zu gestalten. Architekten sollten die Realität ihres Berufs anerkennen und sich organisieren, um gemeinsam für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Denn eine nachhaltige und faire Architekturbranche ist letztlich eine Investition in die Zukunft unserer Gesellschaft.