Baukunst- Baden-Württembergs Architekten zeigen, wie Nachhaltigkeit funktioniert
Stuttgart ©Jan Böttinger/Unsplash

Baden-Württembergs Architekten zeigen, wie Nachhaltigkeit funktioniert

25.05.2025
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Claudia Grimm

Ressourcenwende vor der Haustür

Wenn der Südwesten Maßstäbe setzt

Am 8. April 2025 verwandelte sich das Internationale Congresszentrum Stuttgart zum Epizentrum der deutschen Architekturszene. Mit über 1.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern verzeichnete der ARCHIKON einen Besucherrekord – ein Beleg dafür, dass Baden-Württemberg seine Position als Innovationstreiber im nachhaltigen Bauen konsequent ausbaut.

Der Themenschwerpunkt „RESSOURCENWENDE: Mit neuen Strategien planen!“ traf den Nerv der Zeit. Während andere Bundesländer noch über Klimaneutralität diskutieren, präsentiert der Südwesten bereits konkrete Lösungsansätze. Die Architektenkammer Baden-Württemberg (AKBW) nutzte ihren alle zwei Jahre stattfindenden Landeskongress geschickt als Plattform, um regionale Expertise überregional zu positionieren.

Stuttgarter Know-how mit bundesweiter Ausstrahlung

Prof. Stephan Birk vom Stuttgarter Büro Birk Heilmeyer und Frenzel Architekten demonstrierte exemplarisch, wie Baden-Württembergs Planungskultur funktioniert: Seine Forschung zur Werkhalle Diemerstein der RPTU Kaiserslautern zeigt ein Tragwerk aus Baubuche und neuartigen Ringknoten, das dank Verschraubungen komplett rückbaubar ist. Hier manifestiert sich der für die Region typische Pragmatismus – Nachhaltigkeit nicht als ideologisches Programm, sondern als handwerklich-technische Herausforderung.

Prof. Dr. Jörn Birkmann von der Universität Stuttgart verkörpert die zweite Säule regionaler Stärke: die enge Verzahnung zwischen Wissenschaft und Praxis. Baden-Württembergs Hochschullandschaft – von Stuttgart über Karlsruhe bis zu den Fachhochschulen in Konstanz und Nürtingen-Geislingen – hat sich längst als Motor für innovative Planungsansätze etabliert.

Regionale Besonderheiten als Innovationstreiber

Die Landesbauordnung Baden-Württemberg ermöglicht experimentelle Ansätze, die andernorts an bürokratischen Hürden scheitern würden. Prof. Dirk Hebel vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) nutzte diese Spielräume konsequent für seine Forschung zu kreislauffähigen Baumaterialien. Das KIT als eine der führenden Technischen Universitäten Deutschlands profitiert dabei von der regionalen Clusterbildung zwischen Forschung, mittelständischer Wirtschaft und innovativen Planungsbüros.

Dieter Grau vom Architekturbüro Henning Larsen mit Standort in Überlingen zeigt, wie internationale Kompetenz und regionale Verankerung sich gegenseitig befruchten. Am Bodensee, der Schnittstelle zwischen Deutschland, Österreich und der Schweiz, entstehen Planungsansätze, die von grenzüberschreitender Zusammenarbeit profitieren.

Keynote mit regionaler Erdung

Prof. Dr. Sandra Venghaus von der RWTH Aachen formulierte als Keynote-Speakerin das Motto: „Die Ressourcenwende im Bauwesen gelingt, wenn Akteure kreativ integrierte Visionen verfolgen. Wir müssen Nachhaltigkeit global und als Ganzes denken, aber umgesetzt wird sie lokal.“ Diese Maxime spiegelt die baden-württembergische Planungsphilosophie wider: Weltoffenheit gepaart mit regionaler Verwurzelung.

Über 60 Expertinnen und Experten aus Planung, Wirtschaft und Politik verdeutlichten in drei Dialogrunden die Bandbreite regionaler Kompetenz. Von Flächenkreislaufwirtschaft über Biodiversität bis zu Suffizienz, Naturbaustoffen und Materialkreisläufen – der Südwesten präsentierte sich als Vollsortimenter nachhaltiger Planungsansätze.

Landesspezifische Förderlandschaft als Katalysator

Baden-Württembergs differenzierte Förderkultur unterscheidet sich deutlich von anderen Bundesländern. Die Orientierung am Leitfaden Green Event BW für klimaneutrale Veranstaltungen verdeutlicht, wie systematisch das Land nachhaltige Standards durchsetzt. Während Bayern auf Tradition und Nordrhein-Westfalen auf Industriekultur setzen, positioniert sich Baden-Württemberg als Labor für zukunftsfähige Planungsstrategien.

Die Teilnahmegebühren von 365 Euro, ermäßigt 165 Euro, sowie Gruppenrabatte mit jedem vierten Ticket kostenfrei spiegeln die mittelständische Prägung des Landes wider. Hier dominieren nicht Konzernstrukturen, sondern inhabergeführte Planungsbüros, die auf kontinuierliche Weiterbildung angewiesen sind.

Praxistransfer als regionale DNA

Zwei Seminarblöcke zu Biodiversität in der Stadt, neuen und alten Baumaterialien sowie seriellem Bauen verdeutlichten den regionalen Ansatz: Theorie und Praxis verschmelzen nahtlos. Die neue EU-Taxonomie und Nachhaltigkeitsaspekte bei Wettbewerb und Vergabe wurden nicht als bürokratische Last, sondern als Marktchance diskutiert.

Florian Nagler, bekannt für seine reduzierten Wohnhäuser, und Anja Rosen mit ihrem Urban-Mining-Konzept für das Korbacher Rathaus zeigten exemplarisch, wie sich baden-württembergische Planungskultur auszeichnet: durch die Verbindung von technischer Innovation und sozialer Verantwortung.

Regionale Stärken ohne Selbstbeweihräucherung

Das straffe Programm von 10:00 bis 18:30 Uhr mit drei Plenumsrunden (IMPULS, DIALOG, FAZIT) und zwei Seminarblöcken spiegelt schwäbische Effizienz wider. Keine endlosen Grundsatzdiskussionen, sondern praxisorientierte Lösungsansätze standen im Mittelpunkt.

Die regionale Clusterbildung zwischen Universität Stuttgart, Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und dem KIT Karlsruhe schafft Synergien, die andere Bundesländer mühsam imitieren. Prof. Dr. Nicole Pfoser von der HfWU Nürtingen-Geislingen verkörpert diese Vernetzung zwischen angewandter Forschung und regionaler Wirtschaft.

Transferpotenzial für andere Regionen

Baden-Württembergs Erfolgsmodell liegt nicht in spektakulären Einzelprojekten, sondern in der systematischen Vernetzung regionaler Akteure. Die AKBW fungiert dabei als Moderatorin zwischen unterschiedlichen Interessen – ein Modell, das andere Länderkammern durchaus übernehmen könnten.

Mit 1.400 Teilnehmenden einen Besucherrekord zu erzielen, gelingt nur durch kontinuierliche Qualitätsarbeit. Der alle zwei Jahre stattfindende Rhythmus ermöglicht es, aktuelle Entwicklungen aufzugreifen, ohne in Aktionismus zu verfallen.

Ausblick: Vom Modell zur Bewegung

Das Archikon 2025 bewies, dass regionale Verankerung und überregionale Ausstrahlung sich nicht widersprechen müssen. Baden-Württembergs Planungskultur – pragmatisch, innovativ und vernetzt – könnte zum Vorbild für andere Regionen werden. Die nächste Auflage 2027 wird zeigen, ob es gelingt, die in Stuttgart entwickelten Visionen in messbare Erfolge umzumünzen.

Die Ressourcenwende beginnt vor der eigenen Haustür – Baden-Württemberg hat vorgemacht, wie es geht.