
Der Himmel über dem Bau wird technisch
Die Bauindustrie erlebt gerade ihren „Tesla-Moment“: Nach Jahrzehnten der Beharrung auf bewährte Methoden drängen fliegende Roboter in eine Branche, die Innovationen traditionell skeptisch betrachtet. Was nach Science-Fiction klingt, nimmt in den Laboren des Imperial College London und der Schweizer Empa bereits konkrete Formen an. Forscher haben Drohnen entwickelt, die während des Fluges 3D-drucken und dabei Strukturen errichten, die menschliche Arbeiter nie erreichen könnten.
Das „Aerial Additive Manufacturing“ (Aerial-AM) System arbeitet nach einem faszinierenden Prinzip: Zwei spezialisierte Drohnentypen – die materialauftragende „BuilDrone“ und die qualitätskontrollierende „ScanDrone“ – agieren wie ein eingespieltes Bauteam. Inspiriert von Bienen und Wespen, die kooperativ komplexe Strukturen errichten, haben die Ingenieurinnen ein System geschaffen, das menschliche Baumeister in puncto Präzision und Ausdauer übertrifft.
Millimetergenau in 120 Metern Höhe
Die technischen Herausforderungen schienen zunächst unlösbar: Wie stabilisiert man eine Drohne beim Materialauftrag? Wie kompensiert man Windböen und Vibrationen? Die Lösung fanden die Wissenschaftler in einem raffinierten Druckkopf mit aktiver Stabilisierung. Das Ergebnis: millimetergenaue Materialaufträge selbst bei turbulenten Bedingungen.
In Testläufen entstanden bereits Zylinder von über zwei Metern Höhe aus Polyurethan-Schaum und 18 Zentimeter hohe Strukturen aus zementähnlichem Material. Die Genauigkeit beträgt beeindruckende fünf Millimeter – ein Wert, der manchen Handwerker beschämen dürfte. Professor Mirko Kovac, Projektleiter am Imperial College, arbeitet bereits an der Kommerzialisierung: „Erste Anwendungen für Reparatur- und Scanning-Aufgaben werden in zwei bis drei Jahren marktreif sein.“
Schweizer Präzision trifft Drohnentechnik
Am Empa-Forschungsstandort NEST entsteht derzeit der „DroneHub“ – Europas erste Testinfrastruktur für Baudrohnen unter realen Bedingungen. Hier sollen theoretische Konzepte in marktfähige Technologien überführt werden. Der Ansatz ist pragmatisch: Statt perfekte Allzwecklösungen zu entwickeln, konzentrieren sich die Forscher auf spezifische Einsatzszenarien wie Hochhäuser, Brücken oder Katastrophengebiete.
Yusuf Furkan Kaya, Hauptautor der wegweisenden Studie in „Science Robotics“, betont die Vorteile gegenüber konventionellen Baumaschinen: „Bodengebundene Robotersysteme wiegen oft mehrere Tonnen und benötigen aufwändige Infrastruktur. Baudrohnen sind leicht, mobil und flexibel – genau das, was die Branche braucht.“
Zwischen Versprechen und Realität
Doch bei aller Euphorie: Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen. Der Energieverbrauch ist hoch, die Nutzlast begrenzt. Dennoch zeigen aktuelle Marktanalysen beeindruckende Wachstumsprognosen: Der globale Markt für Baudrohnen soll von 5,1 Milliarden US-Dollar in 2024 auf 9,86 Milliarden US-Dollar bis 2033 anwachsen.
Bereits heute nutzen Bauunternehmen Drohnen für Vermessung, Baufortschrittskontrolle und Inspektionen. Die Kostenersparnisse sind erheblich: Präzise photogrammetrische Aufnahmen ersetzen teure Vermessungstrupps, Thermografieaufnahmen decken Baumängel auf, bevor sie kostspielig werden.
Rechtliche Turbulenz bremst Innovation
Die größten Hürden sind jedoch nicht technischer, sondern regulatorischer Natur. Die deutsche und europäische Drohnenverordnung schränkt kommerzielle Einsätze erheblich ein: Genehmigungspflichten, Flugbeschränkungen und Datenschutzbestimmungen verzögern die Markteinführung. Eine Studie mit 423 Vermessungsfachleuten im deutschsprachigen Raum zeigt: Wetterbedingungen und rechtliche Beschränkungen sind die Haupthindernisse für den praktischen Einsatz.
„Die Überadministrierung der Drohnenregulierung führt zu immensen Compliance-Kosten und kann das Problem langwieriger Genehmigungsverfahren nicht lösen“, kritisiert ein aktueller Branchenbericht. Während sich Länder wie Australien, Norwegen und China durch progressive Frameworks profilieren, kämpft Europa noch mit bürokratischen Hürden.
Die Vision einer hybriden Bauindustrie
Die Zukunft liegt nicht in der Verdrängung menschlicher Arbeitskraft, sondern in intelligenter Ergänzung. Kombinierte Bauprozesse, bei denen bodengebundene Systeme die Grobarbeit erledigen und Drohnen ab einer bestimmten Höhe übernehmen, gelten als Erfolgsmodell. In Deutschland entstand 2024 bereits das erste öffentlich geförderte 3D-Druck-Mehrfamilienhaus in Lünen – allerdings noch mit stationären Systemen.
Internationale Pioniere wie die texanische Firma ICON drucken bereits 2.000 Quadratmeter große Eigenheime und arbeiten an ganzen Siedlungen für einkommensschwache Familien. Der Schritt zu fliegenden 3D-Druckern ist nur konsequent.
Nachhaltigkeit als Innovationstreiber
Der ökologische Aspekt könnte zum entscheidenden Faktor werden: 3D-Druck mit Drohnen gilt als umweltfreundlicher als traditionelle Baumethoden, da er die Biodiversität weniger beeinträchtigt und natürliche Ressourcen schont. Gleichzeitig ermöglichen Drohnen Bauprojekte in sensiblen Gebieten, ohne schwere Maschinen und Infrastruktur.
Die ersten Feldversuche sind für dieses Jahr geplant. Sie könnten den Beginn einer neuen Ära markieren – einer Epoche, in der der Himmel nicht mehr die Grenze, sondern der Arbeitsplatz der Bauindustrie ist. Die Frage ist nicht mehr, ob Drohnen Häuser bauen werden, sondern wann die erste Architektin ihr Büro in 50 Metern Höhe einrichtet.

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