Die Verantwortung der Baukunst im globalen Kontext
Architektur ist ein mächtiges Werkzeug, das weit über das bloße Errichten von Gebäuden hinausgeht. Sie formt Lebensräume, beeinflusst Gemeinschaften und hat das Potenzial, tiefgreifende soziale und politische Veränderungen zu bewirken. Doch welche moralischen Maßstäbe sollten in dieser Branche gelten? Diese Frage erörtert der Architekturtheoretiker Martin Düchs im Gespräch mit dem SPIEGEL und stellt dabei einige der drängendsten ethischen Herausforderungen der modernen Baukunst heraus.
Architektur als moralische Praxis
Architektur ist keine neutrale Disziplin. Laut Düchs beantwortet sie philosophische und moralische Fragen in praktischer Form und verhandelt grundlegende Überlegungen des Menschseins. „Architektur ist die Bühne, auf der das Stück des Lebens gespielt wird“, erklärt er. Dabei kritisiert er, dass die Moralphilosophie in der Architektur oft vernachlässigt wird, obwohl sie unser Leben maßgeblich prägt.
Ethische Dilemmata im Bauwesen
Ein besonders brisantes Thema sind die moralischen Implikationen von Großprojekten in autoritären Regimen. Beispielsweise berichtete die BBC über Saudi-Arabien, wo angeblich tödliche Gewalt angewendet wird, um Bewohner für neue Bauprojekte umzusiedeln. Düchs argumentiert, dass Architekten ihre Verantwortung nicht einfach ablegen können, selbst wenn sie für umstrittene Auftraggeber arbeiten. Architekten wie Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au, der für Putin auf der Krim baute, oder Rem Koolhaas, der für das chinesische Staatsfernsehen tätig war, rechtfertigen ihre Projekte oft mit dem Argument, dass sie für die Menschen bauen, nicht für die Machthaber. Doch diese Argumentation hält Düchs für problematisch.
Technik und Fortschritt: Ein zweischneidiges Schwert
Die gigantomanischen Projekte wie das Wüstenprojekt „Neom“ in Saudi-Arabien sind für Düchs ein Beispiel für naiven Fortschrittsglauben. Diese Projekte versprechen eine neue, bessere Welt, ignorieren aber die sozialen und ökologischen Kosten. Er zieht Parallelen zur dystopischen Vision von Fritz Langs „Metropolis“, wo eine Zweiklassengesellschaft durch futuristische Architektur zementiert wird.
Ein hippokratischer Eid für Architekten?
Die Frage nach einer Selbstverpflichtung für Architekten, ähnlich einem hippokratischen Eid, wird diskutiert. Der legendäre Architekt Frei Otto hat einst einen solchen Eid gefordert. Doch Düchs bezweifelt die Wirksamkeit solcher Gelöbnisse, da viele Stararchitekten wahrscheinlich unterschreiben würden, ohne ihr Verhalten zu ändern.
Hoffnung auf neue Ansätze
Trotz der vielen Herausforderungen sieht Düchs auch positive Entwicklungen. Innovative Ansätze wie das Bauen mit Lehm oder das Umbauen statt Neubauen zeigen, dass es möglich ist, zukunftsfähige und ethisch verantwortungsvolle Architektur zu entwickeln. Diese bescheidenen, aber intelligenten Projekte sind ein Lichtblick und ein Gegenentwurf zu den gigantomanischen Visionen, die oft im Vordergrund stehen.
Architektur hat die Macht, unsere Welt zu gestalten – im Guten wie im Schlechten. Daher müssen Architekten ihre moralische Verantwortung ernst nehmen und sich aktiv mit den ethischen Implikationen ihrer Arbeit auseinandersetzen. Die Zukunft der Baukunst liegt in nachhaltigen, sozial verantwortungsvollen Projekten, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen. mehr…