Baukunst - Das Drama um Deutschlands teuerstes Museum
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Das Drama um Deutschlands teuerstes Museum

16.06.2025
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Stuart Rupert

Das Humboldt Forum: Zwischen Vollendung und Verantwortung

Die Fertigstellung des rekonstruierten Stadtschlosses naht – Zeit für eine kritische Bilanz

Ein Schloss wird fertig – die Gesellschaft diskutiert weiter

Bis Ende Juni 2025 soll die Fassadenrekonstruktion des Humboldt Forums vollständig abgeschlossen sein. Den letzten baulichen Schritt bildet die Installation von 19 Balustradenfiguren, die an der Nord- und Südfassade angebracht werden. Was als visionäres Kulturprojekt begann, mündet nun in eine der kontroversesten architektonischen Vollendungen der Bundesrepublik. Die Montage der über drei Meter hohen Skulpturen markiert mehr als nur das Ende einer Bauphase – sie symbolisiert den Abschluss eines jahrzehntelangen gesellschaftlichen Ringens um Identität, Erinnerung und kulturelle Repräsentation.

Das Projekt, das 677 Millionen Euro kostete und ursprünglich 595 Millionen Euro veranschlagt war, steht exemplarisch für die Herausforderungen urbaner Erinnerungskultur im 21. Jahrhundert. Während Kulturstaatsminister Wolfram Weimer das Humboldt Forum als „Schatzkistlein unserer Nation“ bezeichnet, formiert sich weiterhin Widerstand gegen das, was Kritikerinnen und Kritiker als anachronistische Machtdemonstration betrachten.

Die sozialen Sprengkräfte eines Kulturprojekts

Die gesellschaftlichen Dimensionen des Humboldt Forums offenbaren sich besonders in der Finanzierungsstruktur. Die modernen Gebäudeteile wurden mit 572 Millionen Euro überwiegend durch Bundesmittel finanziert, die historischen Gebäudeteile durch über 105 Millionen Euro private Spenden. Diese Zweiteilung spiegelt eine fundamentale gesellschaftliche Frage wider: Wer bestimmt über das kulturelle Gedächtnis einer demokratischen Gesellschaft?

Der Förderverein Berliner Schloss, der die Spendensammlung organisierte, wurde wiederholt kritisiert. Eine kürzlich veröffentlichte „Gemeinsame Erklärung“ von Jürgen Zimmerer und Philipp Oswalt wirft Fragen nach der Finanzierung der Rekonstruktion und die symbolische Ausrichtung des Projekts auf. Kritik üben Zimmerer und Oswalt an der Finanzierung der Steinskulpturen alttestamentlicher Propheten durch Spendengelder von Rechtsradikalen, sowie an der christlich-völkischen Aufladung der Palastrekonstruktion.

Diese Entwicklung verdeutlicht ein strukturelles Problem partizipativer Stadtentwicklung: Wenn private Akteure über erhebliche finanzielle Ressourcen Einfluss auf öffentliche Kulturinstitutionen nehmen, entstehen demokratische Legitimationsdefizite. Der Deutsche Kulturrat fordert Politik und Verwaltung auf, einer weiteren Einflussnahme des Fördervereins Berliner Schloss in die bauliche Gestaltung und inhaltliche Arbeit des Humboldt Forums entschieden entgegenzutreten.

Kolonialismus als gesellschaftlicher Lernprozess

Das Humboldt Forum fungiert unfreiwillig als Katalysator für überfällige gesellschaftliche Debatten. Kulturstaatsministerin Monika Grütters geht davon aus, dass die Kolonialismusdebatte weiter Fahrt bekommt. „Das Humboldt Forum ist zu einem Katalysator geworden und wird daran gemessen werden, wie es mit diesem Thema umgeht“, konstatierte sie. Die Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit wird damit von einer akademischen Spezialdebatte zu einer gesellschaftlichen Aufgabe.

Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Der Bestand des Ethnologischen Museums Berlin umfasste vor der Kongokonferenz 1884/85 nicht mehr als 3.361 afrikanische Artefakte, zum Ende der Kolonialzeit 1919 hingegen bereits mehr als 50.000 (heute etwa 75.000). Diese dramatische Steigerung in der deutschen Kolonialzeit verdeutlicht die systematische Aneignung kultureller Güter.

Besonders die Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy, die bis 2017 dem Expertenteam des Humboldt Forums zum Umgang mit kolonialem Raubgut angehörte und nach Zerwürfnissen austrat, kritisiert die jahrelange Vernachlässigung der Provenienzforschung. Sie kritisiert, dass in den knapp 20 Jahren Planungszeit des Humboldt Forums jahrelang die Aufarbeitung der kolonialen Vergangenheit und der Herkunft der Exponate ignoriert wurde, bis der Druck von außen dies nicht weiter zuließ.

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Die Herausforderung der Vermittlung

Das Humboldt Forum steht vor der komplexen Aufgabe, eine Brücke zwischen historischer Aufarbeitung und zeitgemäßer Kulturvermittlung zu schlagen. Generalintendant Hartmut Dorgerloh sieht das Humboldt Forum in der Pflicht. „Die Aufarbeitung des Kolonialismus ist ein klarer Auftrag“, betont er. Die praktische Umsetzung gestaltet sich jedoch schwieriger als theoretische Bekenntnisse.

Ein gemeinsames Konzept oder Verständnis, was zu einer gemeinsamen Identität als Humboldt Forum führt, ist nicht zu erkennen, konstatiert der Deutsche Kulturrat. Diese strukturelle Schwäche offenbart ein grundlegendes Problem: Vier Institutionen müssen in einem Haus zusammenarbeiten, in dem keine zuhause ist.

Die Besucherzahlen zeigen dennoch großes öffentliches Interesse: Mit 3,3 Millionen Besuchern im Jahr 2024 belegt es den 1. Platz der meistbesuchten Museen Deutschlands und den 16. Platz der meistbesuchten Museen der Welt. Diese Popularität verpflichtet zu einer verantwortungsvollen Darstellung komplexer historischer Zusammenhänge.

Urbane Demokratie und kulturelle Teilhabe

Das Humboldt Forum exemplifiziert die Spannungen zwischen repräsentativer Architektur und demokratischer Teilhabe. Wohl kaum ein Neubau wurde in Berlin stärker diskutiert als das Berliner Stadtschloss. Die Rekonstruktion einer preußischen Herrschaftsarchitektur im demokratischen Deutschland wirft grundlegende Fragen zur symbolischen Ordnung auf.

Berlins Kultursenator Klaus Lederer bringt das Dilemma auf den Punkt: „Warum eine demokratische Republik im Herzen Europas sich mit den Insignien des Gottesgnadentums auf einer Kulturinstitution von Bund und Ländern schmückt“, werde hoffentlich weiterhin intensiv diskutiert.

Diese Debatte berührt essenzielle Fragen urbaner Demokratie: Wie können Bürgerin und Bürger an der Gestaltung ihrer kulturellen Infrastruktur partizipieren? Welche Geschichten sollen im öffentlichen Raum erzählt werden? Das Humboldt Forum zeigt exemplarisch, dass solche Entscheidungen nicht technokratisch, sondern nur durch breite gesellschaftliche Aushandlungsprozesse legitimiert werden können.

Gesellschaftliche Transformation durch kulturelle Infrastruktur

Eine Kulturinstitution, die sich den Prozessen der Aufarbeitung des Kolonialismus stellt, die Kolonialität der Gegenwart aktiv verändern will, braucht die Zivilgesellschaft. Und die Zivilgesellschaft braucht Kultureinrichtungen als ein Spiegel für zivilgesellschaftliche Transformationen. Diese Erkenntnis verweist auf das transformative Potenzial kultureller Infrastruktur.

Das Humboldt Forum kann als Labor für postkoloniale Erinnerungsarbeit fungieren – wenn es gelingt, die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure einzubinden. Die intensive Zusammenarbeit im Bereich Kultur und kulturelles Erbe eröffne die Chance, „ein gänzlich neues Verhältnis zum globalen Süden zu entwickeln“, wie es optimistisch heißt.

Doch die Realität bleibt komplex: Auch wenn seitens des Humboldt Forums mittlerweile eine deutlich offenere Haltung gegenüber der Aufarbeitung der Provenienzen, sprich der Herkunft ihrer Sammlungsbestände, vertreten wird, bemängeln einige Kritiker:innen, dass viele Exponate nur intern zu ihrer Herkunft untersucht werden.

Programmatische Perspektiven

Anlässlich der Baufertigstellung ist Ende Juni ein Programm mit Vorträgen, Sonderführungen und Gesprächsrunden geplant. Diese Veranstaltungsreihe „Fertig!“ bietet die Chance für eine kritische Zwischenbilanz. Das Programm umfasst diverse Formate von der Fête de la Musique bis zu spezialisierten Führungen zur Geschichte des Ortes.

Besonders die geplanten Dialogveranstaltungen könnten Räume für die notwendige gesellschaftliche Aushandlung schaffen. Die Herausforderung liegt darin, nicht nur über sondern mit den betroffenen Communities zu sprechen und deren Perspektiven gleichberechtigt einzubeziehen.

Fazit: Ein Spiegel gesellschaftlicher Transformation

Das Humboldt Forum in seiner baulichen Vollendung spiegelt die Ambivalenzen einer Gesellschaft im Transformationsprozess wider. Es verkörpert sowohl den Mut zu großen kulturellen Visionen als auch die Schwierigkeiten demokratischer Entscheidungsfindung in komplexen Fragen kultureller Repräsentation.

Die wahre Bewährungsprobe steht dem Humboldt Forum noch bevor: Kann es von einem umstrittenen Prestigeprojekt zu einem Ort werden, der gesellschaftliche Vielfalt reflektiert und demokratische Teilhabe ermöglicht? Die Antwort hängt davon ab, ob es gelingt, die bauliche Vollendung als Ausgangspunkt für eine inhaltliche Demokratisierung zu nutzen.

Das Humboldt Forum bleibt ein gesellschaftliches Experiment – mit offenem Ausgang. Seine Vollendung markiert nicht das Ende der Debatte, sondern deren Transformation in die praktische Kulturarbeit. Die nächsten Jahre werden zeigen, ob aus dem „Schloss der Kontroversen“ ein „Forum der Verständigung“ werden kann.

Hinweis: Spezifische Termine und detaillierte Programmpunkte werden zeitnah auf der Website des Humboldt Forums (www.humboldtforum.org) veröffentlicht. Interessierte sollten sich über den Newsletter oder die Programmankündigungen informieren.