
Industriekultur in die Zukunft: Das Osthaus Museum Hagen und die regionale Baukultur des Ruhrgebiets Wie regionale Initiative und Gestaltungswille ein Industriemuseum zum Leuchtfeuer der westfälischen Kunstszene machen
Ein Museum als Pionier der modernen Kunstidee Das Ruhrgebiet hat der Kunstwelt einiges zu verdanken. Dass sich gerade in einer Industriestadt wie Hagen eines der progressivsten Museen seiner Zeit etablierte, war keine Selbstverständlichkeit. Karl Ernst Osthaus, ein Bankierssohn mit seltener Weitsicht, schuf 1902 mit seinem Folkwang-Museum ein Haus, das sich selbst als Kunstwerk verstand und als erstes Museum weltweit zeitgenössische Kunst ausstellte. Diese regionalen Besonderheiten – die Verbindung von Unternehmertum, Kunstsinn und Verantwortung für die Gemeinschaft – prägen den westfälischen Kulturraum bis heute.
Regionale Industriekultur als kulturelle Gestaltungsaufgabe Osthaus war nicht nur Sammler, er war Gestalter einer Region. Sein Ziel war es, seinen kunstverlassenen Industriebezirk an der Ruhr für das moderne Kunstschaffen zu gewinnen und das Leben der Menschen durch Kunst, gutes Design und Kunsthandwerk zu verschönern. Diese philanthropische Orientierung unterscheidet sich grundlegend von reiner Kunstspekulation. In Hagen entstand ein Modell, bei dem die Vermittlung von Schönheit als stadtentwicklungspolitisches Programm verankert wurde.
Die Folkwang-Idee: Sammlungskonzept mit globalem Blick Mit der Unterstützung des Designers Henry van de Velde transformierte Osthaus sein ursprüngliches Konzept eines naturkundlich-antikenorientierten Museums grundlegend. Der Innenausbau wurde van de Velde anvertraut, und aus dieser Zusammenarbeit entstand eine der epochemachendsten Sammlungen europäischer Moderne. Van Gogh, Matisse, Cézanne, Gauguin, Klimt und Schiele – die Sammlung war im europäischen Maßstab bedeutend, behielt aber auch den Blick auf außereuropäische Kulturen. Das Hagener Folkwang-Museum war das erste seiner Art, das Kunstobjekte aus Afrika ausstellte. Diese regionale Initiative hatte internationale Strahlkraft und begründete einen Bedeutungsüberschuss, der Hagen über Jahrzehnte prägte.
Verluste und Wiederaufbau: Regionalgeschichte im 20. Jahrhundert Der regionale Kontext wird in der Katastrophengeschichte besonders deutlich. Nach Osthaus’ frühem Tod 1921 wurde die grandiose Sammlung nach Essen verkauft – ein Verlust, der bis heute nachwirkt. Die zweite Zäsur erfolgte 1937, als die Nationalsozialisten deutsche Museen plünderten. In Hagen beschlagnahmten sie zahlreiche Werke als „entartete Kunst“, darunter über vierhundert Arbeiten des Moderne-Künstlers Christian Rohlfs, über den ein Malverbot verhängt wurde. Bei Kriegsende stand Hagen weitgehend mit leeren Händen da – ein Schicksal, das für viele regionale Kulturinstitutionen charakteristisch ist.
Museale Wiederaufbaukultur und zielgerichtete Ankaufspolitik Die Wiederaufbaugeschichte Hagens ist ein Beispiel für regionale Handlungsfähigkeit. Bereits im Dezember 1945 eröffnete Museumsdirektorin Herta Hesse-Frielinghaus das Haus für erste Ausstellungen. Über drei Jahrzehnte entwickelte sie eine überaus zielsichere Ankaufspolitik nach dem Motto: die besten Künstler zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Dieses Prinzip setzte lokale Marktkenntnis und strategisches Denken voraus. Viele dieser Ankäufe wurden nur wenig später unerschwinglich. So legte Hesse-Frielinghaus den Grundstock zu einem Bestand, der die doppelten Verluste von 1922 und 1930 beinahe in Vergessenheit geraten ließ. Dies ist nicht bloße Regionalgeschichte, sondern ein Lehrstück über kuratorische Exzellenz unter schwersten Bedingungen.
Regionale Architektur- und Gestaltungskultur heute Osthaus hinterließ Hagen neben der erweiterten Museumsanlage noch weitere prägende Projekte. Die Privatvilla Haus Hohenhof sollte als Nukleus einer Künstlerkolonie Hohenhagen dienen – ein Gedanke, der sich nur in Ansätzen verwirklichte, aber die städtebaulichen Ambitionen der Region belegt. 2009 gesellte sich das Emil-Schumacher-Museum hinzu, das moderner regionaler Kunstförderung verpflichtet ist. Die jüngste Ausstellung Von Renoir bis Warhol zeigt: Hagen besinnt sich nach Jahren der Abweichung wieder auf seine eigenen Bestände und seine wechselvolle Geschichte. Dies ist unter den gegenwärtigen Herausforderungen – demografischer Wandel, Strukturwandel im Ruhrgebiet – eine bewusste kulturelle Selbstvergewisserung.
Modellcharakter für andere Regionen Hagener Museumspraxis hat Modellcharakter. Sie zeigt, wie regionale Kulturinstitutionen in Transformationsprozessen nicht allein Orte des Bewahrens sind, sondern aktive Gestalter regionaler Identität. Die Ankaufspolitik Hesse-Frielinghaus’ ist Ausdruck einer dezentralisierten Kunstförderung, wie sie heute unter Druck gerät. Die aktuelle Ausstellung, kuratiert von Rainer Stamm – einem Osthaus-Biografen – ist somit auch eine Aussage über regionale Verantwortung: Nach der Phase klandestiner Künstler wie Sylvester Stallone oder Dieter Nuhreine Rückbesinnung auf Qualität und Geschichte. Der doppelte Kurswechsel – erst weg von den eigenen Beständen, nun zurück – dokumentiert das Ringen einer Region um ihre kulturelle Orientierung in unsicheren Zeiten.
Ausblick: Industriekultur als Aufgabe der Gestaltungsbeiräte Für Gestaltungsbeiräte und lokale Baukulturgremien im Ruhrgebiet und darüber hinaus bietet Hagen ein instruktives Beispiel: Wie baut man kulturelle Kontinuität in einer Region, deren Grundlagen sich grundlegend wandeln? Die Antwort liegt nicht in nostalgischer Bewahrung, sondern in kreativer Neudeutung. Das Osthaus Museum zeigt Kunstwerke von Renoir bis Warhol – ein Bogen von traditioneller Malerei zur Pop-Art. Dies ist kein Kunsthistoriker-Kitsch, sondern Zeichen einer Region, die ihre Offenheit für Modernes bewahrt hat. In Zeiten, da viele Regionen mit Leerständen und Identitätskrisen ringen, ist dies ein stilles und doch eloquentes Argument für den Wert von Gestaltung, regionaler Initiative und institutioneller Kontinuität.

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