
Wettbewerbskrisen in Spanien offenbaren strukturelle Mängel im Architekturwesen
Der Fall Madrid beschäftigt die spanische Architektenschaft in diesem Herbst wie kaum ein anderer: Beim Wettbewerb für das neue Museo de la Empresa Municipal de Transportes (EMT) im Stadtteil Arganzuela hat das Preisgericht knapp ein Drittel der sechzig eingereichten Arbeiten wegen formaler Mängel abgelehnt, eine beispiellose Quote. Der Grund ist schnell genannt: In den PDF-Metadaten der Wettbewerbsbeiträge sollen digitale Wasserzeichen entdeckt worden sein, die es der Jury ermöglichten, die eigentlich anonymen Verfasserinnen und Verfasser zu identifizieren. Neunzehn Büros wurden disqualifiziert. Und damit ist ein Grundprinzip des modernen Wettbewerbswesens beschädigt: das Anonymitätsgebot.
In Deutschland kennt man diese Regel gut, sie ist in den RPW-Verfahren seit langem etabliert. Auch in Spanien sollen Wettbewerbe blind ausgeschrieben werden, damit ausschließlich die Qualität der Arbeiten zählt, nicht die Reputation der Büros. Das ist das Versprechen. Dass dieses Versprechen so systematisch verletzt worden sein soll, ob mit böser Absicht oder unbeabsichtigt, wirft ein scharfes Licht auf die praktische Umsetzung des Verfahrens in Spanien. Die Frage ist nicht nur technisch: Sie ist fundamental für das Vertrauen der Architektenschaft in öffentliche Wettbewerbe.
Die spanische Architektenkammer und insbesondere der Verband Nexocoam haben mit bemerkenswerter Verhandlungsmilde reagiert. Der Sprecher Jesús San Vicente argumentierte, die Metadaten seien “ohne böse Absicht” automatisch eingefügt worden. Folglich fordert Nexocoam, das Verfahren auszusetzen und allen Entwürfen eine zweite Chance zu geben. San Vicente verpackte diese Position in einen Satz, der in der Architektenschaft Schmunzeln auslöste: Es gebe “viel bessere und weniger schädliche Möglichkeiten, eine Jury zu bestechen”. Ein Scherz, der den Ernst der Situation eher unterstreicht als zu entschärfen.
Doch dies ist nicht der erste Vorfall dieser Art. Wenige Monate zuvor hatte ein ähnlich verstörendes Szenario die Madrider Architekturszene in Aufruhr versetzt: Beim Umgestaltungswettbewerb für die historische Plaza del Dos de Mayo im Stadtteil Malasaña wurden nachträglich sowohl der Siegerentwurf als auch das drittplatzierte Projekt disqualifiziert. Der Grund: Sie bewegten das denkmalgeschützte Skulpturenensemble der Helden des Dos de Mayo, ein Verstoß gegen die Wettbewerbsbedingungen. Das ist kein administrativer Husten. Das ist organisatorisches Versagen mit durchsichtigen Konsequenzen: Der Wettbewerb verlor Glaubwürdigkeit, die Jury-Entscheidung wurde öffentlich angezweifelt, Anwohnerinnen und Anwohner beschwerten sich über mangelnde Partizipation.
Nexocoam kommentierte damals mit einer bitter-spöttischen Feststellung: Da zwei der sechs Preise nicht finanziell dotiert waren, werde in Zukunft niemand mehr an Madrider Wettbewerben teilnehmen wollen. Der Vorwurf war präzise: Die Stadt habe das Preisgeld sparen wollen, auf Kosten der Büros, die ihre Ressourcen investiert haben. Es ist die Anschuldigung, dass Einsparungen die Integrität des Verfahrens unterminieren.
Beide Fälle deuten auf systemische Probleme hin, die über Madrid hinausreichen. Erstens: Die technische Vorbereitung von Wettbewerben scheint unzureichend. Wer PDFs einreicht, ohne die Metadaten zu säubern, ist fahrlässig, egal ob Büro oder Auslobungsinstanz. Zweitens: Die Jury-Prozesse weisen Lücken auf. Wie kann es sein, dass erst nach der Urteilsfällung klar wird, dass Arbeiten die Bedingungen verletzen? Sollte nicht die formale Prüfung vorangestellt sein? Drittens: Die Kommunikation von Architektenkammern und Verbänden wirkt oft reaktiv statt proaktiv. Der Dialog mit der Stadt, die Klärung von Standards, das sollte vorgelagert stattfinden, nicht erst im Krisenmanagement.
Die Architektenkammer hat hier eine berufspolitische Verantwortung: Sie sollte nicht nur die Interessen ihrer Mitglieder wahren, sondern auch die institutionelle Glaubwürdigkeit des Wettbewerbswesens verteidigen. Das gilt für Kammerarbeit genauso wie für Verbandslobbyarbeit gegenüber der Politik. Wenn ein Drittel der Einreichungen wegen Metadaten-Verstöße disqualifiziert werden, ist das nicht nur ein “Management-Fehler”, es ist ein Signal für tiefere Defizite. Verbesserte Checklisten, verpflichtende Workshops für Auslobende und Büros, standardisierte PDF-Aufbereitungsprotokolle, solche Maßnahmen wären längst überfällig.
Die Hoffnung liegt nun darauf, dass die aktuellen Skandale zu einer gründlichen Debatte über Wettbewerbsstandards führen. Nicht nur in Spanien, sondern im ganzen deutschsprachigen Raum sollte diese Frage gestellt werden: Sind unsere Verfahren robust genug für die digitale Realität? Und haben die Architektenkammern den Mut, hier echte Veränderungen einzufordern, statt mit Humor über systemische Mängel hinwegzusetzen?

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