Baukunst - Der Maiskolben in Augsburg - ein würdiges Denkmal
Bild: unsplash/hoch3media

Der Maiskolben in Augsburg – ein würdiges Denkmal

22.05.2025
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Claudia Grimm

Der Maiskolben in Augsburg – ein würdiges Denkmal

Wenn Beton Geschichte schreibt

Der Augsburger Hotelturm polarisiert seit über fünf Jahrzehnten. Seine markante Silhouette prägt das Stadtbild wie kaum ein anderes Bauwerk, seine volkstümliche Bezeichnung als „Maiskolben“ verrät die ambivalente Beziehung der Bevölkerung zu diesem architektonischen Zeugnis der Nachkriegsmoderne. Am 3. Dezember 2024 erhielt das 115 Meter hohe Hochhaus eine besondere Würdigung: Das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege nahm den Turm in die Denkmalliste auf und machte ihn damit zum höchsten bewohnten Baudenkmal Bayerns.

Diese Entscheidung mag auf den ersten Blick überraschen. Schließlich gehört der Betonkoloss nicht gerade zu jenen Bauwerken, die spontan Denkmalschutz-Gefühle auslösen. Doch genau hier liegt die Bedeutung dieser Unterschutzstellung: Sie dokumentiert einen Wandel im Denkmalbewusstsein, der längst überfällig war.

Olympisches Erbe in Stahlbeton

Die Entstehungsgeschichte des Turms liest sich wie ein Lehrstück der deutschen Nachkriegsarchitektur. Zwischen 1971 und 1972 entstanden nach Plänen der Architekten Reinhard Brockel und Erich R. Müller 35 Geschosse in nur zehn Monaten Rohbauzeit – ein Tempo, das auch heute noch beeindruckt. Der Anlass war pragmatisch: Augsburg benötigte als Austragungsort der Kanu-Slalom-Wettbewerbe während der Olympischen Sommerspiele 1972 zusätzliche Übernachtungsmöglichkeiten für internationale Gäste.

Das architektonische Vorbild fanden die Planer in Chicago: Bertrand Goldbergs Marina City Towers dienten als Inspiration für die charakteristischen halbkreisförmigen Balkone, die dem Gebäude seinen spöttischen Spitznamen einbrachten. Diese formale Anlehne war kein Zufall – sie reflektierte den Optimismus einer Epoche, die sich international orientierte und technologische Innovation mit ästhetischer Modernität zu verbinden suchte.

Konstruktive Meisterleitung der Siebziger

Aus bautechnischer Sicht repräsentiert der Hotelturm den Stand der Technik seiner Zeit. Die Stahlbetonmischbauweise mit vorgefertigten Elementen galt als fortschrittlich und ermöglichte erst die außergewöhnlich kurze Bauzeit. Die Konstruktion demonstriert eindrucksvoll, wie Ingenieurskunst und Architektur in den frühen Siebziger Jahren miteinander verschmolzen.

Bemerkenswert erscheint auch die funktionale Mischung: Das Gebäude war nie ausschließlich Hotel, sondern beherbergte von Beginn an Büros und Privatwohnungen. Diese Nutzungsvielfalt macht es zu einem frühen Beispiel für Mixed-Use-Konzepte, die heute als zeitgemäße Stadtentwicklung gelten.

Identität durch Kontroverse

Die öffentliche Wahrnehmung des Maiskolbens war stets ambivalent. Während Kritiker und Kritikerinnen das Gebäude als Schandfleck bezeichneten, entwickelte es sich paradoxerweise zu einem Wahrzeichen der Stadt. Diese Dualität charakterisiert viele Bauwerke der Nachkriegsmoderne: Sie provozieren Widerspruch und schaffen dadurch Identität.

Bayerns Kunstminister Markus Blume bezeichnete den Hotelturm als „herausragendes Beispiel deutscher Nachkriegsarchitektur“ – eine Einschätzung, die architekturhistorisch durchaus berechtigt erscheint. Das Gebäude dokumentiert eine Epoche, in der Deutschland seinen Platz in der internationalen Architektur suchte und dabei eigene Interpretationen moderner Baukunst entwickelte.

Denkmalschutz als gesellschaftlicher Auftrag

Die Unterschutzstellung des Augsburger Hotelturms markiert einen wichtigen Moment in der deutschen Denkmalpflege. Sie zeigt, dass Denkmalschutz nicht nur historische Schönheit bewahrt, sondern auch unbequeme Geschichte würdigt. Die Nachkriegsarchitektur der Sechziger und Siebziger Jahre prägte deutsche Städte nachhaltig – oft kontrovers, aber immer zeitgeschichtlich relevant.

Der Denkmalschutz verpflichtet nun Eigentümerinnen und Eigentümer zu genehmigungspflichtigen Eingriffen bei baulichen Veränderungen. Diese Regulierung mag zunächst als Beschränkung erscheinen, bietet jedoch auch ChancenSteuerliche Vorteile und Fördermöglichkeiten für denkmalgerechte Maßnahmen können Sanierungen und Modernisierungen unterstützen.

Nachhaltigkeit durch Bestandserhaltung

Aus nachhaltiger Perspektive erweist sich die Denkmalwürdigung des Maiskolbens als vorausschauend. Bestandserhaltung ist Ressourcenschonung – ein Aspekt, der in Zeiten des Klimawandels besondere Relevanz gewinnt. Statt Abriss und Neubau ermöglicht denkmalgerechte Sanierung die Weiternutzung vorhandener Bausubstanz bei gleichzeitiger Modernisierung.

Die 35 Geschosse des Turms bieten zudem verdichtetes Wohnen in zentraler Lage – ein Konzept, das heutigen Stadtentwicklungszielen entspricht. Die Nähe zum Hauptbahnhof macht das Gebäude zu einem nachhaltigen Wohnstandort mit optimaler Verkehrsanbindung.

Ein Denkmal mit Strahlkraft

Der Augsburger Maiskolben verdient seinen Denkmalstatus. Er repräsentiert eine architekturgeschichtlichbedeutsame Epoche, dokumentiert technische Innovation und prägt als städtebauliches Wahrzeichen das Stadtbild. Seine Unterschutzstellung signalisiert einen reifen Umgang mit der Nachkriegsmoderne – jenseits von nostalgischer Verklärung oder pauschaler Ablehnung.

Die Denkmalwürdigung des 115-Meter-Turms zeigt: Architektur wird nicht durch Alter oder Schönheit allein zum Kulturgut. Entscheidend sind geschichtliche Bedeutungkünstlerischer Wert und städtebauliche Relevanz. Der Maiskolben erfüllt alle diese Kriterien – und ist damit ein würdiges Denkmal für eine Epoche, die deutsche Städte bis heute prägt.

Bayerns höchstes bewohntes Baudenkmal steht nun unter besonderem Schutz – und das ist gut so.