
Ein Paradigmenwechsel in der Planungskultur
Das WIA Festival 2025 markiert mehr als nur eine Veranstaltungsreihe – es symbolisiert einen längst überfälligen gesellschaftlichen Wandel. Vom 19. bis 29. Juni 2025 präsentieren mehr als 200 Akteurinnen und Akteure in ganz Deutschland rund 265 Veranstaltungen, die sich für mehr Vielfalt in der Baukultur einsetzen. Diese Dimension macht deutlich: Frauen in der Architektur sind nicht mehr länger eine vernachlässigbare Größe, sondern eine treibende gesellschaftliche Kraft.
In der Architektur ist besonders auffällig, dass die Frauenquote zum Zeitpunkt des Studiums sehr hoch ist. Später jedoch, in den Mitgliedschaften der Architektenkammern und Berufsverbänden, den Führungsebenen der Architekturbüros, in der Lehre und in leitenden Positionen sieht das Geschlechterverhältnis plötzlich ganz anders aus. Diese Diskrepanz offenbart strukturelle Barrieren, die weit über individuelle Karriereentscheidungen hinausreichen und tief in gesellschaftliche Machtstrukturen eingreifen.
Gesellschaftliche Infrastrukturen neu denken
Die Bedeutung des Festivals liegt in seinem Ansatz, Architektur als gesellschaftliches Gestaltungsinstrument zu begreifen. Frauen bringen andere Perspektiven in die Raumplanung ein – Perspektiven, die sich aus jahrhundertelanger Erfahrung mit Ausgrenzung und alternativen Lebensentwürfen speisen. Diese Sichtweise ist nicht nur ergänzend, sondern fundamental transformativ für urbane Entwicklungen.
Architektinnen stehen häufig im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Und das obwohl heute mehr Frauen Architektur studieren als Männer. Dieser Widerspruch zwischen Ausbildungsrealität und Berufspraxis spiegelt gesellschaftliche Machtasymmetrien wider, die durch das Festival systematisch aufgebrochen werden.
Partizipative Planungskultur als demokratisches Prinzip
Das dezentrale Konzept des WIA 2025 mit seinen 13 regionalen Openings verkörpert bereits die Planungsphilosophie, die Architektinnen vermehrt vertreten: partizipativ, vernetzt und gemeinschaftsorientiert. Ziel der dreizehn regionalen Eröffnungsveranstaltungen ist es, engagierte Akteurinnen und Akteure aus verschiedenen Bereichen der Baukultur aktiv einzubinden und den Austausch auf lokaler Ebene zu fördern.
Diese Herangehensweise reflektiert weibliche Führungsstile, die Kooperation vor Konkurrenz stellen und nachhaltige Netzwerke schaffen. Solche Ansätze sind für die Lösung komplexer urbaner Herausforderungen – von demografischem Wandel bis hin zu Klimawandel – essentiell.
Historische Korrektur und ihre gesellschaftlichen Folgen
Die Geschichte der Architektur muss neu geschrieben werden. Die Arbeit von Charlotte Perriand und Lilly Reich haben maßgeblichen Einfluss auf die Entwicklung der modernen Architektur genommen, mit denen aber Le Corbusier und Mies van der Rohe berühmt geworden sind. Diese Korrektur ist mehr als eine akademische Übung – sie ist ein Akt gesellschaftlicher Gerechtigkeit mit direkten Auswirkungen auf zeitgenössische Planungsprozesse.
Wenn junge Architektinnen endlich weibliche Vorbilder erhalten, verändert sich nicht nur ihr Selbstverständnis, sondern auch ihre Gestaltungsansätze. Sie entwickeln Mut für experimentelle Konzepte, die gesellschaftliche Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen.
Neue Qualitäten für urbane Herausforderungen
Architektinnen bringen häufig andere Schwerpunkte in ihre Entwürfe ein: Sie denken an Sicherheit für Kinder und ältere Menschen, schaffen Räume für informelle Begegnungen und berücksichtigen den Alltag von Pflegenden und Erziehenden. Diese Perspektiven sind angesichts alternder Gesellschaften und veränderter Familienstrukturen von enormer gesellschaftlicher Relevanz.
Das WIA Festival macht sichtbar, wie sich diese verschiedenen Ansätze in konkreten Bauwerken und Stadtentwicklungskonzepten niederschlagen. Dadurch entsteht eine Diskussion über die gesellschaftlichen Werte, die in unserer gebauten Umwelt materialisiert werden.
Netzwerke als Infrastruktur der Zukunft
Mit dem Festival eine breite, bundesweite Aktivierung und Vernetzung mit Institutionen im Bereich der Baukultur erreicht werden. Diese Vernetzung ist mehr als professioneller Austausch – sie schafft neue Allianzen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und Interessensvertreterinnen.
Durch die Zusammenarbeit von Architektenkammern, Hochschulen, Initiativen und politischen Akteurinnen entstehen alternative Strukturen zur traditionellen „old boys network“. Diese neuen Netzwerke haben das Potential, Planungsprozesse demokratischer und inklusiver zu gestalten.
Ein kultureller Aufbruch mit politischer Dimension
Das WIA 2025 findet zu einem kritischen Zeitpunkt statt: Gesellschaftliche Spaltungen nehmen zu, Wohnraum wird knapper und Klimawandel erfordert radikale Umbrüche im Bauwesen. Gleichzeitig entstehen neue Bewegungen für Gemeinwohlorientierung und Bürgerbeteiligung. Architektinnen sind in vielen dieser Bewegungen führend aktiv.
Das WIA 2025 wird von Bundesbauministerin Klara Geywitz (BMWSB) und der Präsidentin der Bundesarchitektenkammer, Andrea Gebhard, als Schirmfrauen unterstützt und begleitet. Diese politische Unterstützung zeigt: Das Thema ist in der politischen Mitte angekommen.
Ausblick: Architektur als Gesellschaftsgestaltung
Das WIA Festival 2025 könnte zum Katalysator für eine grundlegende Transformation der Planungskultur werden. Wenn es gelingt, die verschiedenen Initiativen zu vernetzen und nachhaltige Strukturen zu schaffen, entstehen neue Standards für partizipative Stadtentwicklung.
WIA 2025 setzt sich dafür ein, den Diskurs über Frauen in Architektur, Stadt- und Freiraumplanung sowie Baukunst zu fördern und die Gleichstellung von Planerinnen sowie die Diversität in der Baukultur zu stärken. Dieser Anspruch geht weit über die Architekturbranche hinaus und berührt fundamentale Fragen gesellschaftlicher Teilhabe.
Die Sichtbarmachung weiblicher Baukultur ist letztendlich ein Projekt der Demokratisierung des Raums. Wenn verschiedene gesellschaftliche Gruppen gleichberechtigt an der Gestaltung ihrer Umwelt teilhaben können, entstehen lebenswertere Städte für alle. mehr…

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