Baukunst-Die Kunst, Kind zu sein – Francis Alÿs im Museum Ludwig
Köln © Henki/Unsplash

Die Kunst, Kind zu sein – Francis Alÿs im Museum Ludwig

24.04.2025
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Ignatz Wrobel

Kunst mit Kinderblick – Francis Alÿs im Museum Ludwig

Zwischen Drachenspiel und Minenstaub

Wer derzeit das Museum Ludwig in Köln betritt, wird nicht nur mit Kunst, sondern mit einer tiefgreifenden Perspektive auf die Welt empfangen – durch die Augen von Kindern. In der Ausstellung „Kids Take Over“ überlässt der belgische Künstler Francis Alÿs, seit vielen Jahren in Mexiko ansässig, den jüngsten Besucherinnen und Besuchern nicht nur die Betrachtung der Kunst, sondern ihre Auswahl und Präsentation.

Vom Spiel zur Gesellschaftsanalyse

Im Zentrum stehen Alÿs’ filmische Beobachtungen aus aller Welt – Afghanistan, Mexiko, Hongkong, Kuba, Frankreich. Seine „Kinderspiele“ dokumentieren, wie Kinder mit minimalen Mitteln – Kronkorken, Reifen, Plastik – eine eigene Welt erschaffen. Die Filmarbeiten entfalten ihre Wirkung in überhöhten Hochformaten und intimen Querformaten gleichermaßen. Ergänzt durch Skizzenbücher, bieten sie Einblick in eine kindlich-poetische Welt, in der Spiel und Realität untrennbar verschmelzen. Die Ernsthaftigkeit, mit der Alÿs diese Spiele dokumentiert, ist mehr als ein ästhetisches Statement. Es ist ein respektvoller Blick auf das Selbstverständnis von Kindern, ihr Bedürfnis nach Sinnstiftung und Selbstwirksamkeit. Das Museum Ludwig zeigt hier nicht nur Kunst – es demonstriert Haltung.

Kunstvermittlung als Kollaboration

Doch Alÿs bleibt nicht Beobachter. Er schafft Raum – konkret die größte Halle des Museums – für eine dialogische Ausstellungsgestaltung. Schülerinnen und Schüler aus der Region wählten aus der Sammlung Werke aus, die sie mit ihren eigenen Assoziationen verbanden. Diese juxtaposieren sie mit Arbeiten des Künstlers – eine kuratorische Geste, die mehr Offenheit vermittelt als mancher akademische Diskurs. So begegnet man neben Alÿs’ La Roue, in dem ein Junge mit einem Autoreifen eine Kobaltmine hinabrollt, Porträts im Stil Gabriele Münters, frei interpretiert von den Kindern selbst. Henri Matisse’ Sitzendes Mädchen wird zur Figur im Stubenarrest. Ernsthaft, verspielt, kritisch. Und stets auf Augenhöhe.

Die Zumutung der Gegenwart

Gegenwartskunst birgt oft Herausforderungen für junge Menschen: zu viel Katastrophe, zu viel Abgrund. Was bei Alÿs jedoch gelingt, ist die Balance – zwischen Tiefe und Zugänglichkeit. Seine Arbeiten verschrecken nicht, sie fordern heraus. Ein Beispiel: Ein Film zeigt ukrainische Kinder, die Sirenengeräusche nachahmen – beklemmend und bewegend zugleich. Ihre Namen werden genannt. Es ist ein Statement gegen die Anonymität des Schreckens. Alÿs gelingt es, nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene in eine Haltung des Innehaltens zu versetzen. Seine Kunst ist kein moralischer Zeigefinger, sondern ein Fenster – weit geöffnet, auf eine Welt, in der kindliches Spiel und gesellschaftliche Realität miteinander ringen.

Museum neu gedacht

Die Ausstellung ist ein Plädoyer für ein anderes Museum: eines, das nicht belehrt, sondern erlebt wird. Das nicht erzieht, sondern Resonanz erzeugt. Besonders in einer Zeit, in der viele Kulturinstitutionen bei Kinderprogrammen kürzen und sich auf „Exzellenz“ statt auf Inklusion konzentrieren, setzt das Museum Ludwig einen Kontrapunkt. Hier wird Teilhabe nicht simuliert, sondern ermöglicht. Dabei wird die Frage nach dem Platz von Kindern im Museum nicht nur künstlerisch, sondern auch institutionell verhandelt. Was zählt als bedeutungsvoll? Wessen Perspektiven werden sichtbar gemacht? Die Ausstellung liefert eine klare Antwort.

Fazit: Eine Ausstellung mit Strahlkraft

Francis Alÿs – Kids Take Over ist nicht nur eine sehenswerte Schau, sondern eine Standortbestimmung für die Zukunft des Museums. Sie zeigt: Kunst kann Kindern zumuten, was sie ohnehin längst erleben – aber sie muss ihnen auch Wege aufzeigen, damit umzugehen. Diese Ausstellung ist ein solcher Weg. Und ein Geschenk für alle, die Kunst nicht als elitäres Sprachspiel, sondern als zutiefst menschliches Ausdrucksmittel begreifen.