
Wenn Treppen zum Trauma werden: Heatherwicks Prager Paradoxon
Eine glitzernde Shopping-Mall im Herzen der goldenen Stadt – Thomas Heatherwick hat seine neueste architektonische Visitenkarte abgegeben, und die internationale Fachwelt reagiert mit seltener Einmütigkeit: Das Savarin-Projekt ist eine ästhetische Katastrophe, die das historische Zentrum Prags mit kommerzieller Beliebigkeit kontaminiert.
Die Ironie der “Humanisierung”
Es ist eine bittere Pointe, dass ausgerechnet jener Designer, der mit seinem Manifest “Humanize” gegen seelenlose Architektur zu Felde zieht, nun selbst zum Schöpfer eines Projekts wird, das die Seele einer Stadt zu ersticken droht. Die Renderings zeigen ein Interieur, das mit seinen geschwungenen Balkonen und üppigen Pflanzarrangements wie die generische Lobby eines Flughafenhotels wirkt – austauschbar, belanglos, tot.
Die obsessive Wiederholung des Treppen-Motivs, das Heatherwick bereits beim gescheiterten “Vessel” in New York zur fragwürdigen Perfektion trieb, erreicht in Prag neue Dimensionen der Geschmacklosigkeit. Wie Zickzack-Narben durchschneiden die Stiegenkonstruktionen den öffentlichen Raum, schaffen visuelle Unruhe statt der versprochenen Lebendigkeit. Es ist, als hätte M.C. Escher einen Albtraum in Beton gegossen – nur ohne dessen mathematische Eleganz.
Der historische Kontext als Kollateralschaden
Prag, diese steinerne Symphonie aus Gotik, Barock und Jugendstil, erhält mit Heatherwicks Intervention eine dissonante Note, die das gesamte Ensemble aus dem Gleichgewicht bringt. Die umgebenden historischen Gebäude werden zu bloßen Statisten degradiert, die hilflos zusehen müssen, wie ein architektonischer Eindringling ihre jahrhundertealte Harmonie zerstört.
Was besonders schmerzt: Die Fassaden zur Straße hin bleiben merkwürdig stumm, als schäme sich das Projekt seiner eigenen Existenz. Erst im Inneren entfaltet sich dann jene Orgie aus Treppen und Terrassen, die weniger an menschliche Maßstäbe als an eine dystopische Interpretation von Piranesis Carceri erinnert.
Die kommerzielle Seele hinter der grünen Fassade
Heatherwick predigt Menschlichkeit und liefert Kommerz. Das Savarin-Projekt ist im Kern nichts anderes als eine Shopping-Mall der 1980er Jahre, aufgehübscht mit ein paar Pflanzen und verschnörkelten Treppen. Die kleinen, charaktervollen Geschäfte, die dem historischen Zentrum Prags seine Identität verleihen, werden durch diese Konsumkathedrale bedroht – ein architektonischer Kolonialismus, der lokale Strukturen durch globale Einheitsware ersetzt.
Die Renderings zeigen eine merkwürdige Welt: Menschen liegen auf dem Boden, während eine Band spielt, die niemand zu hören scheint. Geschäftsleute plaudern casual auf Treppen, die im Winter zu Rutschbahnen werden dürften. Es ist eine Fantasie von Urbanität, die mit der Realität städtischen Lebens so wenig zu tun hat wie Heatherwicks Rhetorik mit seiner Praxis.
Das Vessel-Trauma wiederholt sich
Man hätte hoffen können, dass Heatherwick aus dem Debakel des “Vessel” in New York gelernt hätte – jener Treppenstruktur, die nach mehreren Suiziden geschlossen werden musste. Doch stattdessen recycelt er das gescheiterte Konzept, zerschneidet es in Fragmente und verteilt diese wie architektonische Landminen über den Prager Stadtblock.
Die Kritiker sprechen von “Despair Stairs™” – Treppen der Verzweiflung, Teil von Heatherwicks “Humanize Collection™”. Der Sarkasmus trifft ins Schwarze: Was als menschenfreundliche Geste intendiert ist, wird zur Karikatur seiner selbst, zur hohlen Geste eines Designers, der seine eigene Formensprache nicht mehr hinterfragt.
Ein Plädoyer für architektonische Demut
Prague ist keine Leinwand für eitle Selbstdarstellung. Die Stadt hat Kriege, Regime und Jahrhunderte überdauert – sie braucht keine “Humanisierung” durch einen britischen Designer, der offenbar glaubt, dass ein paar zusätzliche Treppen und Pflanzkübel ausreichen, um urbane Lebensqualität zu schaffen.
Was Prag bräuchte, wäre ein Architekt mit der Sensibilität eines David Chipperfield, der Demut eines O’Donnell + Tuomey, die Raffinesse eines Caruso St John. Stattdessen bekommt die Stadt Heatherwick – und mit ihm eine Lektion darüber, was passiert, wenn Marketing-Rhetorik auf architektonische Realität trifft.
Das Tragische an diesem Projekt ist nicht nur seine ästhetische Minderwertigkeit, sondern die verpasste Chance. Ein internationaler Wettbewerb hätte Prag eine zeitgenössische Intervention bescheren können, die den Dialog zwischen Alt und Neu respektvoll und innovativ führt. Stattdessen wird die Stadt nun mit einem Monument der Beliebigkeit leben müssen – einem Mahnmal dafür, was passiert, wenn Städte ihre Seele an den Meistbietenden verkaufen.

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