Baukunst-Elitäre Ruinen: Warum wir über die wahren Kosten der Opernhäuser reden müssen
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Elitäre Ruinen: Warum wir über die wahren Kosten der Opernhäuser reden müssen

20.03.2025
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Claudia Grimm

Sanierungsstau oder Neubauwahn? Deutschlands Opernhäuser am Scheideweg

In Deutschland steht ein kulturelles Erbe von unschätzbarem Wert auf dem Prüfstand. Die rund 140 öffentlich finanzierten Theater samt 130 Orchester- und Opernensembles bilden ein dichtes Netz kultureller Infrastruktur, das weltweit seinesgleichen sucht. Doch dieses architektonische und kulturelle Vermächtnis bröckelt – im wahrsten Sinne des Wortes. Nicht wenige der prestigeträchtigen Häuser wurden in der Nachkriegszeit errichtet, manche nach Bombenschäden notdürftig repariert. Nach Jahrzehnten intensiver Nutzung steht nun eine Welle von Sanierungen an, die die öffentlichen Haushalte an ihre Grenzen bringt.

Wenn Sanierungen zur Kostenfalle werden

Die Zahlen sind alarmierend. In Köln stiegen die Kosten für die Sanierung der Bühnen von ursprünglich 250 Millionen auf knapp 1,5 Milliarden Euro – bei einer Verzögerung von mindestens zehn Jahren. Das Augsburger Theater, seit 2016 geschlossen, wird voraussichtlich erst 2030 wiedereröffnet, wobei die Kosten von anfänglich 186 auf derzeit 417 Millionen Euro explodiert sind. Die Beethovenhalle in Bonn hat es mit fünf zusätzlichen Jahren und einer Steigerung von 60 auf 220 Millionen Euro „fast gepackt“. In Berlin wurde für die Sanierung der Komischen Oper ein Betrag von 470 Millionen Euro veranschlagt – ohne dass verborgene Schäden berücksichtigt wurden. Für die Stuttgarter Oper werden mittlerweile sogar bis zu zwei Milliarden Euro diskutiert.

Was besonders ins Gewicht fällt: Während der oft jahrelangen Bauarbeiten müssen temporäre Spielstätten errichtet werden, die ihrerseits hohe Kosten verursachen. In Nürnberg werden für die Interimsspielstätte 211 Millionen Euro veranschlagt, in Stuttgart sogar 224 Millionen Euro. Diese Summen kommen zu den eigentlichen Sanierungskosten noch hinzu.

Der Elphi-Effekt bleibt aus

Als die Hamburger Elbphilharmonie 2017 nach jahrelangen Verzögerungen und einer Kostenexplosion von 77 auf 866 Millionen Euro endlich eröffnet wurde, war die Erleichterung groß. Trotz aller Widrigkeiten entwickelte sich das Konzerthaus zum neuen Wahrzeichen der Stadt und wurde von den Hamburgerinnen und Hamburgern mit Stolz angenommen. Dieser „Elphi-Effekt“ – der Bürgerstolz auf ein neues kulturelles Leuchtturmprojekt – bleibt bei Sanierungen jedoch meist aus. Nach jahrelangen Bauarbeiten sieht das renovierte Gebäude oft fast genauso aus wie vorher – nur dass Millionen oder gar Milliarden an Steuergeldern darin verschwunden sind.

Die Neubaualternative: Frischer Wind oder kulturelles Harakiri?

Vor diesem Hintergrund erscheint es naheliegend, dass immer mehr Städte über Neubauten nachdenken. Frankfurt hat dem Abriss der Theaterdoppelanlage zugestimmt und plant einen Neubau der Oper. Düsseldorf hat ein Kaufhof-Grundstück erworben, auf dem die neue Deutsche Oper am Rhein entstehen soll. In Hamburg liebäugelt man mit dem Umzug der Staatsoper auf eine Mole in der Hafencity – ein Projekt, für das der Unternehmer Klaus-Michael Kühne finanzielle Unterstützung angeboten hat.

Die Befürworterinnen und Befürworter von Neubauten führen ins Feld, dass die Kosten und Zeitpläne kalkulierbarer seien als bei Sanierungen. Zudem könnten moderne Arbeitsbedingungen für die Ensembles geschaffen werden, ohne dass man sich durch den Denkmalschutz eingeschränkt fühle. Nicht zuletzt entfällt die Notwendigkeit für teure Interimslösungen, wenn der Neubau an einem anderen Standort erfolgt.

Der wahre Preis eines Neubaus

Doch auch diese Rechnung könnte einen Haken haben. Der Abriss eines bestehenden Gebäudes und der Neubau an anderer Stelle bedeuten einen enormen Ressourcenverbrauch und eine schlechte Ökobilanz. Die Architektenverbände weisen zu Recht darauf hin, dass sanierte Altbauten in dieser Hinsicht besser abschneiden als Neubauten. Zudem geht mit dem Abriss unwiederbringlich kulturelles und architektonisches Erbe verloren – insbesondere bei Bauten der Nachkriegsmoderne, deren Wertschätzung erst in jüngerer Zeit gestiegen ist.

Ein weiteres Risiko: Die Verlagerung an einen neuen Standort kann die gewachsenen Bindungen zum angestammten Publikum kappen. Die Hamburger Staatsoper würde bei einem Umzug in die Hafencity weiter von der Innenstadt entfernt liegen als bisher. Und auch in Düsseldorf stellt sich die Frage, ob die Opernbesucherinnen und -besucher den neuen Standort am Wehrhahn gleichermaßen annehmen werden.

Zwischen kultureller Identität und finanzieller Realität

Die Deutschen schätzen ihre Theater. Laut dem „Relevanzmonitor Kultur“ gehören die Theaterangebote für 82 Prozent zur kulturellen Identität. 91 Prozent wollen sie für die kommenden Generationen erhalten, 76 Prozent sie weiter öffentlich finanzieren. Doch die wirtschaftliche Situation Deutschlands hat sich verändert. Die öffentlichen Kassen leeren sich zusehends, insbesondere bei den Ländern und Kommunen, die die Hauptlast bei den Kulturinstitutionen tragen.

Die Verteilungskämpfe werden härter, wie das Beispiel Berlin zeigt: Dort hat der Senat soeben einen Baustopp für die Sanierung der Komischen Oper verfügt, um in den kommenden zwei Jahren zehn Millionen Euro einzusparen – obwohl dadurch langfristig Mehrkosten von geschätzten 250 Millionen Euro entstehen könnten.

Neue Finanzierungsmodelle gefragt

In dieser Situation gewinnen alternative Finanzierungsmodelle an Bedeutung. Die von Klaus-Michael Kühne angeregte Idee eines Opernneubaus in der Hamburger Hafencity mit privater Beteiligung ist dafür ein Beispiel. Doch solche Kooperationen müssen sorgfältig ausgestaltet werden, um nicht zu einer versteckten Privatisierung öffentlicher Kultur zu führen oder private Geschäftsinteressen über das Gemeinwohl zu stellen.

Als Vorbild könnte die vor 20 Jahren fertiggestellte Oper in Kopenhagen dienen, die der Reeder Møller dem dänischen Staat schenkte. Ihr Bau kostete damals umgerechnet 355 Millionen Euro. Zum Vergleich: Die neue Düsseldorfer Oper wird aktuell mit etwa 700 Millionen Euro kalkuliert. Die Preisspirale dreht sich weiter.

Die Zukunft der Opernhäuser: Eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Die Frage, ob Sanierung oder Neubau das geringere Übel ist, lässt sich nicht pauschal beantworten. Jeder Fall muss einzeln betrachtet werden, wobei neben den finanziellen Aspekten auch der kulturhistorische Wert, die Nachhaltigkeitund die städtebauliche Einbindung berücksichtigt werden müssen.

Bemerkenswert ist, dass die enormen Kosten für die Kulturbauten bisher erstaunlich wenig öffentliche Debatten ausgelöst haben. Das könnte sich ändern, wenn die schwache wirtschaftliche Entwicklung voll auf die öffentlichen Haushalte durchschlägt. Die Entscheidung der bayerischen Landesregierung, die Kosten für den neuen Münchner Konzertsaal unter eine Milliarde Euro zu drücken und dafür eine abgeschlossene Planung über den Haufen zu werfen, deutet an, was kommen könnte: Es wird um Zahlensymbolik gehen, die ihrerseits immense Kosten und Zeitverluste verursacht.

Die größte Gefahr besteht darin, dass am Ende nur noch geplant und nicht mehr gebaut wird – eine existenzielle Bedrohung für die betroffenen Institutionen und letztlich für Deutschlands kulturelle Identität als weltweites Herzzentrum der klassischen Musik.