Baukunst - La Biennale 2025 "Wenn Roboter bauen"
“A Robots Dream” © Gramazio Kohler Research, ETH Zurich. Photo: Micahel Lyrenmann

La Biennale 2025 „Wenn Roboter bauen“

24.05.2025
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Ignatz Wrobel

Die technologische Zukunft der Architektur

Der träumende Roboter von Venedig

Im Herzen des Arsenale steht ein Roboter und träumt. Zumindest möchten uns das die Forscherinnen und Forscher von Gramazio Kohler Research glauben machen. „A Robot’s Dream“ heißt ihre Installation – ein Humanoid, der zwischen Stahlgittern posiert, gelegentlich eine Bewegung macht und dabei aussieht, als würde er über die Zukunft des Bauens nachdenken.

Das Projekt ist mehr als nur Spektakel. Hinter dem träumenden Roboter steckt ausgefeilte Technologie: Motion Capture erfasst menschliche Bewegungen, Sprachsynthese verleiht der Maschine eine Stimme, physische Gesten überbrücken die Kluft zwischen digitaler Logik und haptischer Realität. „Das System verbindet Computerlogik, Architektur und taktile Qualitäten“, erklärt Matthias Kohler vom weltweit ersten architektonischen Robotiklabor an der ETH Zürich.

Doch warum träumt der Roboter nur, statt zu arbeiten? Die Installation wirft grundlegende Fragen auf: Werden Maschinen eines Tages nicht nur bauen, sondern auch träumen? Und was bedeutet das für eine Disziplin, die bislang von menschlicher Kreativität geprägt war?

Revolutionäre Materialien aus dem Labor

Während der Roboter träumt, experimentieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Materialien, die das Bauen revolutionieren könnten. Im Projekt „Matter Makes Sense“ arbeiten Professorin Ingrid Paoletti und Professor Stefano Capolongo zusammen mit Nobelpreisträger Konstantin Novosëlov an einer Materialbank der Zukunft: Biobeton, der sich selbst repariert, Bananenfasern, die Stahl ersetzen, Graphen, das Gebäude zu Sensoren macht.

„Diese molekularen Innovationen könnten die Grundlagen der Architektur verändern“, prophezeit Paoletti. Die Materialbank vereint Dutzende Experimente aus aller Welt – von Unterwasser-Algen-Ziegeln bis zu DNA-kodiertem Garn. Jedes Material erzählt die Geschichte einer anderen Zukunft des Bauens.

Besonders faszinierend ist das Projekt „Geological Microbial Formations“: Hier nutzen Forscherinnen die Microbial-induced Calcite Precipitation (MICP), einen Prozess, bei dem Mikroorganismen Kalkstein produzieren. Roboter stapeln Sand, Bakterienkulturen und Minerallösungen zu Strukturen, die nicht gebaut, sondern gezüchtet werden. Der Vergleich zu Stromatolithen – jenen urzeitlichen Gesteinsformationen, die durch Millionen Jahre des Algenwachstums entstanden – ist beabsichtigt. Architektur wird zu einem biologischen Prozess.

Künstliche Intelligenz trifft traditionelles Handwerk

Eines der ambitioniertesten Projekte der Biennale verbindet scheinbar Unvereinbares: „Living Structure“ von Kengo Kuma and Associates nutzt KI, um traditionelle japanische Holzverbindungstechniken zu optimieren. Das Forschungsteam von Sekisui House, dem Kuma Lab und dem Iwasawa Lab der Universität Tokio sowie Ejiri Structural Engineers hat ein System entwickelt, das unregelmäßige Holzstücke durch intelligente Algorithmen zu tragfähigen Strukturen fügt.

„Die Zukunft liegt ebenso in der Ehrfurcht vor der Natur wie in der Innovation“, erklärt Kuma. Seine Vision: KI als Werkzeug, um das Wissen von Generationen von Zimmerleuten zu bewahren und weiterzuentwickeln. Die Technologie dient nicht der Rationalisierung, sondern der Verfeinerung handwerklicher Traditionen.

Autonome Baustellen der Zukunft

Während „Living Structure“ Tradition und Innovation versöhnt, zeigen andere Projekte der ETH Zürich die radikale Automation des Bauens. Im Circularity Park in Oberglatt arbeiten Roboter autonom mit vor Ort gefundenen Materialien. Keine vorgefertigten Bauteile, keine standardisierten Abläufe – die Maschinen adaptieren sich an das, was sie vorfinden.

„Wir erforschen autonome Bauprozesse mit recycelten Materialien und lokalem Boden“, erklärt Projektleiterin Lauren Vasey. Vier Roboter arbeiten gleichzeitig, koordiniert durch Algorithmen, die aus der Schwarmforschung stammen. Das Ergebnis: Strukturen, die nicht geplant, sondern emergent entstehen.

Die Technologie dahinter ist komplex: Künstliche Intelligenz plant die Bewegungen, Sensoren erfassen die Umgebung, Algorithmen optimieren die Abläufe in Echtzeit. Was nach Science Fiction klingt, funktioniert bereits heute. Die Frage ist nicht mehr, ob Roboter bauen können, sondern wie gut sie es tun.

Die Eggshell-Revolution

Besonders elegant zeigt sich die Verschmelzung von digitaler Planung und physischer Realität in der „Eggshell“-Technologie von Gramazio Kohler. Anstatt schwere Schalungen zu verwenden, drucken 6-Achsen-Roboter ultradünne Formen aus Kunststoff, die anschließend mit schnell härtendem Beton gefüllt werden. Das Ergebnis: komplexe Geometrien bei minimalem Materialverbrauch.

„Der Eggshell-Prozess ermöglicht die Herstellung strukturell optimierter Betonkonstruktionen bei gleichzeitiger Integration von Standardbewehrung und Minimierung des Schalungsabfalls“, erklärt das Forschungsteam. Was technisch klingt, hat poetische Qualitäten: Die dünnen Schalen erinnern tatsächlich an Eierschalen – fragil wirkende Formen, die dennoch enormen Kräften standhalten.

Zero-Energy-Lösungen aus London

Während die Schweizer Universitäten die Baurobotik vorantreiben, entwickelt das Royal College of Art in London Zero-Energy-Verdunstungskühlungstürme. Die Technologie nutzt die natürliche Verdunstungskälte, um Gebäude ohne Stromverbrauch zu kühlen – ein simples, aber wirkungsvolles Prinzip in Zeiten explodierender Energiekosten.

Das britische Kollektiv Material Cultures zeigt parallel dazu bio-basierte Wohnexperimente, die organische Materialien zu tragfähigen Strukturen formen. Myzel wird zu Dämmmaterial, Algen zu Fassadenelementen, Bakterien zu Produktionshelfern. Die Grenze zwischen gewachsen und gebaut verschwimmt.

Venedigs intelligente Kanäle

Besonders spektakulär ist das Projekt der Norman Foster Foundation, das gemeinsam mit Michael Mauer von Porsche, Miguel Kreisler von Empty+Bau und Christopher Hornzee-Jones von Aerotrope entwickelt wurde. Ihr Ziel: die Neugestaltung der Beziehung zwischen Venedig und seinen Kanälen durch nachhaltige Mobilitätslösungen.

Autonome Wasserfahrzeuge, die sich selbst durch die komplexen Wasserwege navigieren, könnten die Logistik der Lagunenstadt revolutionieren. Sensoren erfassen Wasserstand und Strömung, Algorithmen berechnen optimale Routen, elektrische Antriebe reduzieren Emissionen und Wellenschlag. Venedig wird zum Testlabor für die Mobilität der Zukunft.

Die Grenze zwischen Künstlich und Natürlich

Was alle diese Innovationen verbindet, ist die Auflösung der Grenze zwischen künstlicher und natürlicher Intelligenz. Roboter ahmen biologische Prozesse nach, KI lernt von traditionellem Handwerk, Algorithmen simulieren evolutionäre Entwicklungen. „Artificial Intelligence“ bedeutet nicht mehr die Ersetzung der Natur, sondern deren Nachahmung und Verstärkung.

Besonders deutlich wird dies bei den Seegras-Dämmplatten des griechischen Kollektivs Vessel. Das Material kombiniert jahrhundertealtes Wissen über die isolierenden Eigenschaften von Meerespflanzen mit modernsten Fertigungsverfahren. Das Ergebnis übertrifft konventionelle Dämmstoffe bei einem Bruchteil des CO2-Ausstoßes.

Kritische Stimmen zur Tech-Euphorie

Nicht alle Beobachterinnen und Beobachter teilen die Begeisterung für die technologische Wende. „A claustrophobic mess of bio and techno theatrics“, kritisierte ArtReview scharf und warf der Biennale vor, auf „expensive machines to solve problems that didn’t need fixing“ zu setzen.

Die Kritik trifft einen Nerv: Löst komplexe Technologie wirkliche Probleme oder schafft sie neue? Brauchen wir träumende Roboter oder einfach bessere Handwerkerinnen und Handwerker? Die Antwort liegt vermutlich irgendwo dazwischen.

Effizienz vs. Eleganz

Ein Beispiel für diese Spannung ist Rattis eigenes Projekt aus der Biennale 2014: Anstatt Räume zu heizen, entwickelte er infrarotgesteuerte Deckenlampen, die Menschen direkt anstrahlen und so Energie sparen sollen. Ein technologisches Meisterwerk – aber war es notwendig? Ein warmer Pullover hätte denselben Effekt gehabt.

Diese Ambivalenz durchzieht die gesamte Innovationssektion der Biennale 2025. Manche Lösungen wirken zwingend – wie die Mikroorganismen, die Beton heilen, oder die KI, die Holzverbindungen optimiert. Andere erscheinen als elegante Spielerei für eine Welt, die sich gerne selbst übertrifft.

Die Industrie 4.0 des Bauens

Doch bei allem Skeptizismus ist unübersehbar: Das Bauen wird digitaler, automatisierter, intelligenter. Die Projekte der Biennale sind keine Science Fiction mehr, sondern Forschung und Entwicklung für eine Industrie, die 40 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verursacht. Wenn Technologie diese Bilanz verbessern kann, ist jeder Versuch gerechtfertigt.

Die Baurobotik von Gramazio Kohler wird bereits kommerziell genutzt. Die Materialinnovationen von „Matter Makes Sense“ finden ihren Weg in die Produktion. Die KI-gestützten Planungstools werden zum Standard in Architekturbüros. Was heute noch experimentell wirkt, könnte morgen alltäglich sein.

Fazit: Träumen oder Bauen?

Zurück zum träumenden Roboter im Arsenale. Vielleicht ist es kein Zufall, dass er nur träumt statt zu arbeiten. In einer Zeit rasanter technologischer Entwicklung braucht es auch Momente der Reflexion. Die Frage ist nicht nur, was Technologie kann, sondern was sie soll.

Die Biennale 2025 zeigt beide Seiten: die euphorische Vision einer vollautomatisierten Bauindustrie und die nachdenkliche Reflexion über die Grenzen der Technologie. Zwischen Träumen und Bauen liegt ein weites Feld – und genau dort findet die Zukunft der Architektur statt.

Die Roboter kommen. Die Frage ist nur, ob sie träumen werden oder einfach nur effizienter bauen. In Venedig bekommen wir eine Vorahnung auf beide Varianten.

Die 19. Internationale Architekturausstellung – La Biennale di Venezia „Intelligens. Natural. Artificial. Collective.“ läuft noch bis zum 23. November 2025.

Öffnungszeiten:

  • Mai bis 28. September: 11:00 – 19:00 Uhr (Freitag/Samstag im Arsenale bis 20:00 Uhr)
  • 29. September bis 23. November: 10:00 – 18:00 Uhr
  • Geschlossen: Montags (außer 12. Mai, 2. Juni, 21. Juli, 1. September, 20. Oktober, 17. November)

Veranstaltungsorte: Giardini und Arsenale, Venedig

Eintrittspreise:

  • Einzelticket: 25€ (gültig für beide Venues)
  • Ermäßigt: 22€ (Studierende, Senioren 65+, Gruppen ab 10 Personen)
  • Familienticket: Kinder bis 6 Jahre frei

Weitere Informationen: www.labiennale.org/en/architecture/2025