
Wenn Wolken Architektur werden
Es braucht eine gewisse Kühnheit, um auf einem Parkplatz aus schwarzem Asphalt einen Ort der Schönheit entstehen zu lassen. Doch hier liegt das Lucas Museum of Narrative Art in Los Angeles – auf jenem Gelände des Exposition Park, das einst nur Autos beherbergte. Jetzt entsteht in diesem urbanen Raum South Angelinos eine architektonische Geste, die sowohl futuristisch als auch tiefgründig wirkt: eine fünfstöckige Struktur, die sich selbst scheinbar schwebend über die Landschaft erhebt, als hätte ein Wolkenbild aus einem Träumwerk die Erde berührt.
Die Vision stammt von Ma Yansong, dem Gründer des chinesischen Büros MAD Architects, der sich in seiner Arbeit einer zeitgenössischen Interpretation östlicher Philosophien verschrieben hat. Der 50-jährige Architekt spricht von der »Shanshui City« – eine Philosophie, die sich der klassischen chinesischen Malerei verdankt und davon ausgeht, dass die beste Architektur die Natur nicht dominiert, sondern mit ihr in Dialog tritt. Hier zeigt sich keine Arroganz des Rationalen, sondern eine Demut gegenüber dem Organischen.
Material als Poesie: 1.500 Einzelschicksale aus Kunststoff
Die äußere Hülle des Museums besteht aus über 1.500 individuell geformten Panels aus faserarmiertem Kunststoff (FRP). Jedes Panel ist einzigartig – keine zwei sind gleich. Dies ist nicht nur eine technische Leistung, sondern auch eine konzeptuelle: Die Oberfläche entsteht durch die Summation von Unterschieden, ähnlich wie eine Gesellschaft aus vielen unterschiedlichen Stimmen besteht. Die durchschnittliche Größe dieser Panels liegt bei etwa 2,4 mal 9,7 Metern. Sie sind so konstruiert, dass sie eine nahtlose, fließende Oberfläche ergeben – als hätte eine Hand diese Gestalt in einem kontinuierlichen Zug gezogen.
Das Material selbst ist bedeutsam: Kunststoff, das Massenprodukt unserer Zeit, wird hier zur edlen Substanz veredelt. Es ermöglicht jene Leichtigkeit und jene Organik, die eine konventionelle Betonstruktur nie hätte erreichen können. Die Kurven sind keine Laune, sondern Notwendigkeit – sie ermöglichen es der Struktur, sich mit seismischen Bewegungen um bis zu 107 Zentimeter zu verschieben. Los Angeles liegt im Erdbebengebiet; die Architektur antwortet darauf mit Eleganz statt Widerstand.
Ein Museum hebt sich ab: Die emotionale Geographie
Das Gebäude ruht auf Stützen, die es mehrere Meter über den Boden anheben. Dies schafft einen Freiraum darunter – ein Platz des menschlichen Verkehrs, der sozialen Begegnung. Ma Yansong inspiriert sich dabei von den großen Bäumen des Exposition Park: Sie bieten Schatten und Zuflucht, schaffen natürliche Versammlungsorte. So wird die Architektur zur Erweiterung der Natur, nicht zu deren Gegenspieler.
Im Innern erstrecken sich 100.000 Quadratmeter Galerienraum über drei Ebenen – genug Platz für Georges Lucas’ Sammlung von 40.000 Kunstobjekten, die er seit seiner Studienzeit zusammentragen hat. Comics gehören dazu, Werke von Frida Kahlo, Diego Rivera, auch Illustrationen für Science-Fiction. Es ist eine Sammlung, die keinen klassischen Kanon respektiert; sie ehrt stattdessen die narrative Kraft der Bilder, deren Vermögen, Geschichten zu erzählen.
Die Landschaft als Künstler: 200 Bäume und ein Park ohne Parkplätze
Neben dem Museum selbst ist die Transformation des Ortes bemerkenswert. Über 200 neue Bäume werden gepflanzt – heimische Arten, die an das Klima des südlichen Kaliforniens angepasst sind. Dort, wo einst Asphalt lag, entsteht eine Parklandschaft mit Wiesen, Höhenveränderungen, einem künstlichen Wasserfall namens »The Rain«, der zugleich als Kühlsystem fungiert. Die Landschaftsarchitektin Mia Lehrer von Studio-MLA hat einen Ort entworfen, der sich mit den Jahreszeiten verändert – ein Garten im Sinne der klassischen chinesischen Gartenkunst, bei dem jeder Ort die Zeit anders erfährt.
Dies ist eine stille kritische Geste gegenüber Los Angeles selbst: ein autozentrisches Gebilde wird zurückerobert für das Menschliche, für das Grüne, für das Verweilende. Es ist nicht weniger als eine Umgestaltung der sozialen Geographie eines Stadtteils.
George Lucas und die Demütigung durch Schönheit
Lucas, 81 Jahre alt, kann eine lange Reise hinter sich: Zwei Jahrzehnte Verhandlungen, fehlgeschlagene Standorte in San Francisco und Chicago, endlose Verzögerungen. Dass er nun an der Comic-Con San Diego sein Projekt vorstellt, ist eine Form der Beharrlichkeit, die dem Werk selbst entspricht: Es gibt nicht auf. Es verändert sich, passt sich an, aber es kapituliert nicht.
Lucas hat sein Museum als einen »Tempel für die Kunst des Volkes« bezeichnet. Dies ist eine bewusste Umkehrung der Hierarchien: Nicht die Hochkultur wird geheiligt, sondern die narrative Kraft, die sich in Comics manifestiert, in Kinokünstlern wie Ralph McQuarrie, der die visuelle Welt von Star Wars erschaffen hat. Das Museum wird ein Ort sein, an dem diese Werke nicht als Zugeständnis an die Massenkultur behandelt werden, sondern als das erkannt werden, was sie sind: echte künstlerische Ausdrücke.
Verdacht und Kritik: Das Problem der monumentalen Visionen
Doch ist hier auch Kritik angebracht. Eine Milliarde Dollar Bau- und Betriebskosten – finanziert vollständig aus Lucas’ Privatvermögen. Dies ist ein Akt der philanthropischen Macht, der auch als Ausdruck von Kontrolle gelesen werden kann. Dass ein einzelner Mensch ein Kulturinstitut dieser Größenordnung nach seinem eigenen Geschmack gestalten kann, ist ein Privileg, das in demokratischer Optik bedenklich stimmt.
Die Architektur selbst könnte auch als Hybris interpretiert werden – diese überwältigende Geste der organischen Form, die sich über die Landschaft erhebt wie ein Monument des Individuellen. Ma Yansong arbeitete bereits an einem Entwurf für Chicago, der ebensolche Kritik erhielt. Der Architekt Blair Kamin nannte den damaligen Vorschlag needlessly massive und forderte mehr restraint. Hat sich in Los Angeles wirklich etwas geändert, oder wurde das Konzept lediglich an einen weniger widerspenstigen Ort verlegt?
Die Zukunft der Narrative
Und doch: Wenn das Museum 2026 öffnet, wird es anders aussehen als die meisten Kunstinstitute. Die Grenzen zwischen Außen und Innen sind fließend. Die Landschaft ist nicht Beiwerk, sondern Protagonist. Die Sammlung selbst – diese bunte, ungefilterte Sammlung aus Hochkunst und populären Narrativen – wird einen Ort haben, der sie ernst nimmt.
Ma Yansongs Philosophie der Shanshui City impliziert, dass die Zukunft der Städte darin liegt, dass sie wieder zu Orten der Kontemplation, der menschlichen Begegnung, der Nähe zur Natur werden. Das Lucas Museum ist ein Experiment in diesem Sinne. Es fragt: Kann ein Museum mehr sein als ein Container für Kunst? Kann es selbst eine narrative Kraft werden? Kann es den öffentlichen Raum heilen, der von Jahrzehnten der Autophilie verwüstet wurde?
Die Antwort wird sich zeigen, wenn die Türen öffnen. Was sicher ist: Mit diesem Gebäude hat Los Angeles ein Projekt bekommen, das weiter spricht als mit den üblichen Bedeutungsebenen. Es ist ein Werk, das Fragen stellt, mehr als es Antworten gibt. Und manchmal ist dies genau das, was Architektur sein sollte: ein Vorschlag für eine bessere Welt, gebaut aus Hoffnung und FRP-Panels.

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