Baukunst-Olympia in München: Betonträume und Bürgerprotest
München © Christoph Keil/Unsplash

Olympia in München: Betonträume und Bürgerprotest

22.05.2025
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Chet Becker

München und Olympia – wiederholt sich der Traum?

Zwischen Nostalgie und Neuanfang

Wenn München vom olympischen Feuer spricht, lodert unweigerlich das Echo von 1972 auf – jenen Spielen, die sowohl Glanz als auch Tragödie in die Stadt brachten. Fünf Jahrzehnte später wagt München erneut den Blick auf das weltgrößte Sportereignis – mit einem Konzept, das Tradition, Nachhaltigkeit und Beteiligung miteinander verknüpfen will. Doch der Traum von Olympia 2036 steht unter anderen Vorzeichen als damals: Er muss erst die Herzen der Bürgerinnen und Bürger gewinnen.

Rückgriff mit Weitblick: Das Konzept

Das Besondere an Münchens Bewerbung ist nicht der Gigantismus, sondern seine Zurückhaltung. Rund 90 Prozent der geplanten Sportstätten existieren bereits – ein Novum im oft überbordenden olympischen Kontext. Das ikonische Olympiastadion, der Eiskanal in Augsburg, die Schießanlage in Garching oder die Reitanlage in Riem sollen erneut als Schauplätze dienen. Neu gebaut würde lediglich dort, wo es unumgänglich ist: beispielsweise ein temporäres Schwimmstadion am Münchner Flughafen. Dieses Prinzip der Wiederverwendung ist kein ästhetischer Zufall, sondern Ausdruck eines Paradigmenwechsels. Statt glänzender Architekturutopien steht heute eine olympische Demut im Vordergrund, die nicht zuletzt dem wachsenden Bewusstsein für Nachhaltigkeit geschuldet ist.

Die Stadt als Bühne: Infrastruktur im Wandel

Olympia wird zur Projektionsfläche für Münchens infrastrukturelle Zukunft. Die Bewerbung versteht sich auch als Katalysator für lange geplante Großprojekte: die neue U-Bahnlinie U9, die zweite S-Bahn-Stammstrecke und der Nordring für die S-Bahn sollen mit Hilfe des olympischen Rückenwinds endlich Realität werden. Herzstück des Konzepts ist das geplante olympische Dorf im Nordosten der Stadt – in einem Gebiet zwischen Daglfing und Englschalking. Hier sollen 16.000 Athletinnen, Athleten und Offizielle temporär wohnen, ehe die Unterkünfte in reguläre Wohnungen umgewandelt werden. Rund 4000 Wohnungen könnten so entstehen – ein Hoffnungsschimmer im angespannten Münchner Wohnungsmarkt.

Chancen, die verpflichten

Olympische Spiele erzeugen Magnetismus – für Menschen, Kapital und Aufmerksamkeit. München erhofft sich wirtschaftliche Impulse, einen touristischen Schub und die Möglichkeit, sich erneut als internationale Sport- und Kulturmetropole zu positionieren. Ministerpräsident Markus Söder und Oberbürgermeister Dieter Reiter betonen die Stärke Münchens im internationalen Wettbewerb: Erfahrung, Bekanntheit und Effizienz. Gleichzeitig setzt man bewusst auf ein „sympathisches“ Format: ökologisch durchdacht, sozial verankert, transparent gestaltet. In Zeiten von globaler Klimakrise und gesellschaftlicher Polarisierung wäre dies ein bewusster Gegenentwurf zu früheren Spielen – eine Olympia der Besonnenheit.

Der Haken im Konzept: Beteiligung und Widerstand

Trotz des offenen Charakters bleibt der Weg zur Bewerbung steinig. Ein Bürgerentscheid im Oktober 2025 entscheidet über das Schicksal des Projekts. Die Erinnerung an das Scheitern der Winterspiel-Bewerbung 2022 sitzt tief – damals sagte die Bevölkerung „Nein“, trotz großem politischen Willen. Auch jetzt regt sich Widerstand, vor allem gegen die Bebauung des geplanten Olympia-Dorfes. Die Initiative „Heimatboden“ kritisiert mangelnde Beteiligung und fürchtet um die gewachsene Struktur des Daglfinger Ortskerns. Ihr juristischer Widerstand ist bereits angekündigt. Die Stadt bemüht sich zwar um Kooperation mit Grundeigentümerinnen und Eigentümern, doch die Konfliktlinien sind offensichtlich.

Ein Spiel mit der Geschichte

Nicht zuletzt steht die Bewerbung auch in einem symbolischen Spannungsfeld. 100 Jahre nach den Spielen in Berlin 1936 und 64 Jahre nach dem Attentat von 1972 will München zeigen, dass Olympische Spiele auch anders gehen – demokratisch legitimiert, respektvoll gegenüber der Geschichte, richtungsweisend für die Zukunft.

Fazit: Ein realistischer Traum?

München träumt erneut – aber anders. Nicht von Prunk und Protz, sondern von einer nachhaltigen, integrierten und legitimierten Olympiade. Der Weg ist lang, der Ausgang offen. Aber das Konzept ist durchdacht, geerdet und zeitgemäß. Ob sich der Traum erfüllt, liegt diesmal nicht nur in den Händen der Funktionäre – sondern in denen der Stadtgesellschaft.