Baukunst - Peinlich! Hamburg versenkt 2 Millionen in Klo
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Peinlich! Hamburg versenkt 2 Millionen in Klo

24.10.2025
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Claudia Grimm

HAMBURG: DIE MILLIONEN-LEKTION IM UNTERGRUND

Wie eine öffentliche Toilette zur Parabel für Planungsfehler wurde

Hamburg investierte über zwei Millionen Euro in ein unterirdisches „Ort der Stille”, das nach nur drei Monaten schloss – und nun verfüllt wird. Die Katastrophe offenbart strukturelle Probleme in der regionalen Planungskultur.

Der Ort der fehlgeschlagenen Eleganz

Am Gerhart-Hauptmann-Platz in Hamburgs Innenstadt sollte ein Ort der Erleichterung entstehen. Ein unterirdisches Bauwerk, barrierefreie Zugänge, ein Aufzug, moderne Ausstattung – die „Toilette für alle” war als Leuchtturmprojekt gedacht. Doch im Oktober 2023, drei Monate nach feierlicher Eröffnung, wurde das Edel-WC bereits dichtgemacht. Heute wird es verfüllt. Die Schlagzeile ist nicht nur für Hamburg beschämend; sie ist eine Mahnung für regionale Planungskultur in ganz Deutschland.

Die Genese des Scheiterns beginnt nicht bei den 2,1 Millionen Euro Kosten – diese Summe war für ein solches Projekt nachvollziehbar. Schließlich arbeitete die Stadt mit einem fast 100 Jahre alten Gebäude, dessen unterirdische Strukturen denkmalschutzgerecht erhalten bleiben mussten. Hier zeigt sich bereits eine klassische Herausforderung regionaler Stadtentwicklung: Hamburg muss seine Innenstadt kontinuierlich modernisieren, darf sie aber nicht zerstören. Ein klassisches Spannungsfeld zwischen Bestand und Fortschritt.

Planung nach Plan – ein Scheitern nach Plan

Die tragische Ironie liegt in der Genese der Planung. Wie Stadtreinigungssprecher Kay Goetze offenbarte, waren „Planung und Ausführung der ursprünglichen Sanierung nicht fachgerecht”. Das ist eine diplomatische Formulierung für ein fundamentales Problem: Die ausführende Baufirma vergaß – oder ignorierte – eine wasserdichte Wanne einzubauen. Ein Konstruktionsfehler von solcher Elementarität, dass er in Lehrbüchern stehen könnte.

Doch wie konnte ein solcher Fehler überhaupt passieren? Die Ausschreibung erfolgte „standardisiert” für öffentliche Unternehmen. Goetze konnte nicht einmal aussagen, ob das Bauunternehmen vergleichbare Projekte realisiert hatte. Dies ist exemplarisch für eine weit verbreitete Schwachstelle in regionalen Vergabeverfahren: Billig statt kompetent, Standard statt Spezialisierung. Die Hamburger Stadtreinigung vertraut auf ein System, das Fachkompetenz nicht ausreichend gewichtet – ein Problem, das in ähnlicher Form in vielen deutschen Gemeinden anzutreffen ist.

Wenn die Statik lügt

Nach dem Wasserschaden musste die gesamte Anlage geleert werden. Dann zeigte sich das zweite Desaster: Die Statik des fast Jahrhundert alten Gebäudes hatte sich verändert. Ein Wiederaufbau wäre „nur mit erschwerten Bedingungen möglich” gewesen. Das bedeutet im Klartext: neue Sicherungsmaßnahmen, zusätzliche Kosten, lange Sperrungen in der belebten Hamburger Innenstadt, Beeinträchtigungen für Anwohner und Gewerbetreibende. Der Geduldsfaden war gerissen.

Hier wird eine weitere regionale Spezifität sichtbar: Hamburg verfügt über ein dicht gebautes Zentrum mit historischen Strukturen, die ständig neue Überraschungen bieten. Klimaänderungen, Bodenabsenkungen, nicht dokumentierte ältere Einbauten – dies sind ständige Herausforderungen für die Hamburger Stadtentwicklung, nicht Besonderheiten. Sie hätten in der Risikoabschätzung eine prominentere Rolle spielen können und müssen.

Die unbequeme Wahrheit

Obwohl die Stadt und die Stadtreinigung nun versuchen, die Verantwortung dem Bauunternehmen zuzuweisen – eine laufende Klärung -, bleibt ein systemisches Versagen offensichtlich. Die Hamburger Umweltbehörde stellte Mittel bereit und entschied nach „enger Beratung”, welche Projekte realisiert werden. Doch wer beaufsichtigt die Beaufsichtiger? Wer prüft die Fachgerechtigkeit, wenn „standardisierte Ausschreibungen” zum Einsatz kommen?

Für andere Bundesländer und Kommunen ist dies eine ernstzunehmende Warnung. Regionale Besonderheiten – historische Bauten, klimatische Bedingungen, Bodenbeschaffenheiten – erfordern spezialisierten Sachverstand, nicht Standardlösungen. Der Wunsch, Kosten zu sparen, führt zu noch höheren Kosten, wenn Projekte scheitern.

Hamburg macht’s nächstes Mal anders – hoffentlich

Immerhin: Aus der Niederlage lernt die Stadt. Die Stadtreinigung prüft nun eine oberirdische Lösung in Containerform. Mit Genehmigungen und Standortsuche rechnet man mit etwa vier Monaten. Dies ist pragmatisch und ehrlich. Gleichzeitig betont Goetze mit Nachdruck: Die Angebotsvielfalt für öffentliche Toiletten in der Hamburger Innenstadt sei „grundsätzlich nicht schlecht” – es gibt Alternativen am Rathaus, im Hauptbahnhof, bei Karstadt.

Doch dies ist auch das Problem: Hamburgs Innenstadt braucht solche vielen Einzellösungen, weil es an einer umfassenden, strategischen Planung fehlt. Die Verfüllung der Toilette kostet zusätzlich im „unteren sechsstelligen Bereich” – mehr Geld, das vorher hätte vermieden werden können.

Die Lektion für Hamburg und für alle regionalen Bauherren ist deutlich: Nicht jeder Zentner Gewinn liegt darin, auf Billigangebote einzugehen. Fachkompetenz, regionale Kenntnis und ehrliche Risikobewertung sind nicht Luxus, sondern Notwendigkeit. Die zwei Millionen Euro sind ein teurer Unterricht in dieser Wahrheit.