Baukunst - Pianos Weltstadthaus: Wie Köln einen gescheiterten Konsumtempel retten will
Köln © Henki/Unsplash

Pianos Weltstadthaus: Wie Köln einen gescheiterten Konsumtempel retten will

25.05.2025
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Claudia Grimm

Kölner Weltstadthaus: Renaissance eines Walfischs

Ein Walfisch lernt schwimmen

Zwanzig Jahre nach seiner umstrittenen Geburt erhält Kölns gläserner Walfisch eine zweite Chance. Das Weltstadthaus von Renzo Piano, jenes organisch geschwungene Gebilde aus Glas und sibirischer Lärche, das seit 2005 die Schildergasse prägt, steht vor seiner größten Transformation. Was einst als reines Kaufhaus konzipiert wurde, soll nun zum Multi-Use-Komplex werden – ein Paradigmenwechsel, der weit über die Rheinmetropole hinaus Beachtung verdient.

Der italienische Stararchitekt, mittlerweile 85 Jahre alt, übernimmt erneut das Ruder. Sein Renzo Piano Building Workshop plant eine behutsame Erweiterung entlang der Antonsgasse, die das ursprüngliche Konzept nicht verrät, sondern weiterentwickelt. Ein architektonisches Déjà-vu mit Mehrwert, könnte man spöttisch anmerken – doch die Umstände haben sich grundlegend gewandelt.

Nordrhein-Westfalens Planungskultur im Wandel

Das Projekt spiegelt exemplarisch die veränderte Planungskultur in Nordrhein-Westfalen wider. Während die Bauordnung des bevölkerungsreichsten Bundeslandes traditionell eher restriktiv agiert, zeigt sich bei innenstadtrelevanten Projekten zunehmend Flexibilität. Der Kölner Stadtentwicklungsausschuss leitete bereits im Februar das Bebauungsplanverfahren ein – ein Tempo, das in anderen Bundesländern undenkbar wäre.

„Mit dem beschleunigten Verfahren nach § 13a BauGB setzen wir bewusst auf Pragmatismus“, erklärt ein Vertreter der Stadtplanung. Diese Haltung entspricht dem rheinischen Motto: „Et hätt noch immer joot jejange“ – es ist noch immer gut gegangen. Doch diesmal geht es um mehr als rheinische Gelassenheit.

Transformation als Überlebensstrategie

Das ursprüngliche Weltstadthaus verkörperte den Höhepunkt einer Ära, in der Peek & Cloppenburg mit Stararchitekten wie Piano, Richard Meier und Josef Paul Kleihues monumentale Handelstempel errichtete. 14.400 Quadratmeter Verkaufsfläche, verpackt in 6.800 Glasscheiben und 66 Holzleimbinder – ein technisches Meisterwerk, das 2006 mit dem MIPIM-Award ausgezeichnet wurde.

Heute wirkt diese Konzeption wie ein Fossil aus der Zeit vor dem digitalen Handelswandel. Die Corona-Pandemie, explodierende Energiekosten und veränderte Konsumgewohnheiten haben dem stationären Modehandel zugesetzt. Was einst als „Architektur auf höchstem internationalem Niveau“ galt, droht zum kostspieligen Denkmal einer vergangenen Epoche zu werden.

Multi-Use als Rettungsanker

Projektentwickler Midstad verspricht Abhilfe durch radikale Nutzungsdiversifizierung. Büroflächen, Hotel, Gastronomie und Veranstaltungsräume sollen das Gebäude zu einem „vielseitigen und lebendigen Zentrum“ transformieren. Besonders verlockend: die geplante Öffnung des bisher unzugänglichen Kuppelsaals und eine neue Dachterrasse mit Gastronomie.

Dr. Kevin Meyer, Geschäfsführer von Midstad, betont den nachhaltigen Anspruch: „Das Projekt kombiniert innovative Architektur mit nachhaltiger Stadtentwicklung.“ Eine Modernisierung der Haustechnik soll Energieverbrauch und CO₂-Emissionen senken – ein überfälliger Schritt bei einem Gebäude, dessen Glasfassade thermisch alles andere als optimal ist.

Architektonische Diplomatie

Pianos Entwurf für die dreigeschossige Erweiterung entlang der Antonsgasse zeugt von architektonischer Diplomatie. Die Höhenbeschränkung unter 40 Meter respektiert die Sichtbeziehungen zum Dom, jenen steinernen Konkurrenten, der seit Jahrhunderten die Kölner Skyline dominiert. Hier zeigt sich die besondere Sensibilität rheinischer Planungskultur für historische Kontexte.

Die Nachbarschaft zur romanischen Antoniterkirche war schon beim ursprünglichen Entwurf eine heikle Angelegenheit. Dass Piano nun erneut diese städtebauliche Quadratur des Kreises versucht, zeugt von Respekt vor dem genius loci – oder von der Erkenntnis, dass radikale Gesten in Köln selten dauerhaft überleben.

Regionale Signalwirkung

Das Weltstadthaus-Projekt könnte Modellcharakter für andere nordrhein-westfälische Städte entwickeln. Düsseldorf, Essen oder Dortmund kämpfen mit ähnlichen Herausforderungen: übergroße Einzelhandelsimmobilien, die ihre ursprüngliche Bestimmung überlebt haben. Die flexible Umnutzung bestehender Strukturen entspricht sowohl klimapolitischen Zielen als auch den knappen Kommunalhaushalten.

Ob Pianos zweiter Anlauf gelingt, hängt von mehr ab als nur architektonischer Brillanz. Die Akzeptanz der Kölner Bevölkerung, die schon den ursprünglichen „Walfisch“ skeptisch beäugte, muss erst gewonnen werden. Die Öffentlichkeitsbeteiligung bis Mai 2025 wird zeigen, ob die Rheinländer dem transformierten Meeressäuger eine zweite Chance geben.

Zukunftsfähige Architektur oder teure Kosmetik?

Kritische Stimmen fragen zu Recht, ob die geplante Transformation mehr ist als teure Kosmetik an einem grundsätzlich problematischen Konzept. Ein Gebäude, das ursprünglich für 15.000 Menschen täglich konzipiert wurde, lässt sich nicht beliebig umprogrammieren. Die thermischen Eigenschaften der Glasfassade bleiben problematisch, unabhängig davon, ob dahinter Mode verkauft oder Meetings abgehalten werden.

Dennoch verdient der Mut zur radikalen Umnutzung Respekt. In Zeiten knapper Ressourcen und klimapolitischer Dringlichkeit ist die Weiterentwicklung bestehender Bausubstanz der richtige Weg. Das Weltstadthaus könnte zum Testfall werden für eine neue Generation adaptiver Architektur – Gebäude, die sich wandelnden Nutzungsanforderungen flexibel anpassen.

Lehrstück rheinischer Pragmatik

Am Ende bleibt das Weltstadthaus ein Lehrstück rheinischer Pragmatik: Wenn etwas nicht funktioniert, wird es eben anders gemacht. Diese unaufgeregte Haltung könnte anderen Regionen als Vorbild dienen. Statt in nostalgischer Verklärung der Vergangenheit nachzutrauern oder in visionärer Überheblichkeit Tabula rasa zu machen, wählt Köln den Mittelweg der behutsamen Evolution.

Ob aus dem gestrandeten Walfisch ein schwimmfähiger Organismus wird, entscheidet sich in den kommenden Jahren. Renzo Piano jedenfalls scheint gewillt, seinem Kölner Kind eine zweite Chance zu geben. Für die deutsche Innenstadtentwicklung könnte das Weltstadthaus zum wichtigen Präzedenzfall werden – oder zur teuren Lektion in den Grenzen architektonischer Transformation.