Baukunst - Planen ohne Netz: Wie Österreichs Architektinnen und Architekten um ihre Existenz kämpfen
Wie die Architekturpolitik zwischen Klimazielen, Bürokratieabbau und Honorarfragen laviert

Planen ohne Netz: Wie Österreichs Architektinnen und Architekten um ihre Existenz kämpfen

27.11.2025
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Ignatz Wrobel

Berufspolitische Weichenstellungen: Zwischen Stellplatzstreit, EU-Richtlinien und Honorarunsicherheit

Wien, November 2025 – Die berufspolitische Landschaft für Architektinnen und Architekten in Österreich ist derzeit von drei zentralen Spannungsfeldern geprägt: der Reform der Stellplatzverpflichtung in Wien, der Umsetzung ambitionierter EU-Klimavorgaben und der anhaltenden Unsicherheit um Honorarregelungen. Während die Wiener Bauordnungsnovelle 2023 Bauträgern Erleichterungen bei der Stellplatzpflicht verspricht, um bezahlbaren Wohnraum zu fördern, warnen Expertinnen und Experten vor den Folgen für Verkehrswende und Stadtqualität. Gleichzeitig zwingt die neue EU-Gebäuderichtlinie (EPBD) die Branche zu radikalen Sanierungszielen – doch die Umsetzung stockt. Und während in Deutschland die HOAI-Novelle 2025 auf Nachhaltigkeit und Digitalisierung setzt, fehlt in Österreich ein vergleichbares verbindliches Regelwerk. Die Frage lautet: Wie kann die Architekturpolitik diese Herausforderungen meistern, ohne die Planungsqualität zu opfern?


1. Wiener Stellplatzdebatte: Weniger Parkplätze, mehr Konflikte

Die jüngste Novelle der Wiener Bauordnung reduziert die Verpflichtung zur Schaffung von Kfz-Stellplätzen bei Neubauten. Statt wie bisher pro 100 m² Wohnnutzfläche einen Stellplatz vorzusehen, gilt nun ein flexibleres Zonenmodell, das sich an der Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln orientiert. Bauträger begrüßen die Entlastung, da Stellplätze bis zu 30.000 Euro pro Einheit kosten und die Baukosten treiben. Doch die Architektenkammer und Verkehrsexpertinnen kritisieren, dass die Lockerung ohne flankierende Maßnahmen zur Verkehrswende kommt. „Weniger Stellplätze allein führen nicht automatisch zu weniger Autos“, gibt Robert Jansche vom Österreichischen Institut für Bautechnik (OIB) zu bedenken. Die Gefahr: Statt klimafreundlicher Mobilität droht eine Zunahme des Parkdrucks im öffentlichen Raum – auf Kosten von Grünflächen und Aufenthaltsqualität.

Kritikpunkte:

  • Fehlende Alternativen: Ohne massiven Ausbau von Radinfrastruktur und ÖV-Anbindungen könnte die Reform zu mehr Wildparkern führen.

  • Soziale Ungleichheit: Geringverdienerinnen und Geringverdiener in Randbezirken sind auf das Auto angewiesen, während Innenstadtbewohnerinnen und -bewohner von der Regelung profitieren.

  • Planungsunsicherheit: Kommunen und Planerinnen fordern klare Vorgaben, wie frei werdende Flächen sinnvoll genutzt werden können – etwa für Gemeinschaftsgärten oder Sozialwohnungen.

Die Wiener Architektenkammer pocht darauf, die Stellplatzreduktion mit verbindlichen Mobilitätskonzepten zu verknüpfen. Bisher fehlt jedoch ein entsprechender Rechtsrahmen.


2. EU-Gebäuderichtlinie: Sanierungszwang ohne Plan

Ab 2026 müssen alle EU-Mitgliedsstaaten die verschärfte Gebäuderichtlinie (EPBD) umsetzen. Für Österreich bedeutet das: Bis 2030 müssen 3 % des Gebäudebestands jährlich saniert werden, um die Klimaziele zu erreichen. Die OIB-Richtlinien werden derzeit überarbeitet, doch die Branche warnt vor überstürzten Lösungen. „Die Ziele sind ehrgeizig, aber ohne ausreichende Förderung und Fachkräfte wird die Umsetzung scheitern“, betont Peter Maydl von der Kammer der Ziviltechnikerinnen und Ziviltechniker. Besonders problematisch: Die Richtlinie sieht vor, dass ab 2025 alle Energieausweise auf einer harmonisierten Skala (A bis G) beruhen müssen – doch viele Bundesländer hinken bei der Umsetzung hinterher.

Herausforderungen:

  • Fachkräftemangel: Bereits jetzt fehlen qualifizierte Planerinnen und Handwerker für die anstehende Sanierungswelle.

  • Kostenexplosion: Ohne staatliche Subventionen sind viele Eigentümerinnen und Eigentümer überfordert.

  • Bürokratie: Die neuen Vorgaben erfordern komplexe Nachweise, die kleine Büros überlasten.

Die Bundesarchitektenkammer Deutschland zeigt in einem Positionspapier, wie Sanierungen sozialverträglich gestaltet werden können – etwa durch gestaffelte Fristen und niedrigschwellige Beratungsangebote. In Österreich sucht man vergleichbare Konzepte bisher vergeblich.


3. Honorarordnung: Freier Fall ohne Netz

Während in Deutschland die HOAI 2025 aktuell novelliert wird, um Nachhaltigkeit und Digitalisierung (BIM) stärker zu verankern, gibt es in Österreich keine verbindlichen Honorarregeln mehr. Die Folge: Ein Preiswettbewerb, der vor allem kleine Büros unter Druck setzt. „Ohne Mindesthonorare droht eine Abwärtsspirale bei der Planungsqualität“, warnt eine Sprecherin des Ausschusses der Verbände und Kammern der Ingenieure und Architekten (AHO). In Deutschland sollen die neuen Leistungsbilder der HOAI 2025 zumindest als Orientierungshilfe dienen – in Österreich fehlt selbst das. Hier setzen viele Büros auf freiwillige Leitfäden, doch diese bieten keine Rechtssicherheit.

Forderungen der Branche:

  • Verbindliche Honorarempfehlungen für öffentliche Aufträge, um Dumpingpreise zu verhindern.

  • Anpassung der Leistungsphasen an die Anforderungen von BIM und Kreislaufwirtschaft.

  • Mehr Planungssicherheit durch klare Vergütungsregeln für Umbauten und Sanierungen.


4. Lobbyarbeit und Kammerpolitik: Wer spricht für die Architekturschaffenden?

Die berufspolitische Interessenvertretung steht vor einem Dilemma: Einerseits muss sie die Belange der Mitglieder – von Einzelkämpferinnen bis zu Großbüros – unter einen Hut bringen. Andererseits gilt es, in Brüssel und Wien Gehör zu finden. Die Bayerische Architektenkammer zeigt, wie es gehen kann: Mit gezielten Positionspapieren und Bündnissen mit Ingenieurverbänden gelingt es, Einfluss auf die EU-Gesetzgebung zu nehmen. In Österreich agieren die Kammern dagegen oft isoliert. „Hier braucht es mehr Zusammenarbeit, um gemeinsam Standards zu setzen“, fordert Stefan Wagmeister von Austrian Standards.

Erfolgsbeispiele aus Deutschland:

  • Gebäudetyp E: Ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren für standardisierte Neubauten, das Bürokratie abbauen soll.

  • Digitalisierungsoffensive: Die BAK hat eine Taskforce eingerichtet, um BIM in der Lehre und Praxis zu verankern.


Fazit: Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Die aktuellen Entwicklungen zeigen: Die Architekturpolitik steht an einem Scheideweg. Einerseits bieten die Stellplatzreform und die EU-Richtlinien Chancen für mehr Klimaschutz und bezahlbares Wohnen. Andererseits drohen ohne klare Regulierung und ausreichende Ressourcen Qualitätsverluste und soziale Verwerfungen. Die Kammern sind gefordert, ihre Rolle als Mittler zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zu stärken – und endlich gemeinsame Lösungen zu erarbeiten. Sonst bleibt die Branche zwischen Klimazielen, Kostendruck und Bürokratie auf der Strecke.