Baukunst - Poldern statt Pöbeln: Holländische Hippie-Architekten entern Mitte
Berlin?©Baukunst.art

Poldern statt Pöbeln: Holländische Hippie-Architekten entern Mitte

24.10.2025
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Claudia Grimm

Vom Polder zum Preußenpark

Wenn am kommenden Freitag im Berliner Aedes Architekturforum die Ausstellung “Optimistic Activism Architecture, Urbanism and the Power of Generosity” eröffnet, markiert dies mehr als nur eine weitere Werkschau eines renommierten Büros. De Zwarte Hond, vor vier Jahrzehnten in Groningen gegründet, präsentiert sich als Bewegung, die bewusst über nationale Grenzen hinweg agiert – mit Standorten in Rotterdam, Köln und Berlin hat sich das heute über 120 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter starke Kollektiv längst als deutsch-niederländischer Brückenbauer etabliert.

Die Wahl des Ausstellungsortes ist dabei alles andere als zufällig. Berlin, mit seiner fragmentierten Stadtstruktur und den ungezähmten Brachen, bietet einen spannenden Kontrast zur durchgeplanten niederländischen Polderlandschaft. Hier, wo städtebauliche Experimente auf preußische Bauordnungen treffen, entfaltet sich die Relevanz der “großzügigen” Planungsphilosophie von De Zwarte Hond besonders deutlich.

Großzügigkeit als Gegengift zur Verdichtungshysterie

Der Begriff der Großzügigkeit, den die Architektinnen und Architekten ins Zentrum ihrer Arbeit stellen, wirkt in Zeiten maximaler Nachverdichtung fast schon subversiv. Während in deutschen Metropolregionen jeder Quadratmeter umkämpft ist und Landesbauordnungen immer neue Mindeststandards definieren, plädiert De Zwarte Hond für räumliche und soziale Qualität jenseits bloßer Effizienzkriterien. Diese Haltung ist tief in der niederländischen Planungskultur verwurzelt, wo konsensorientierte Verfahren und integrative Konzepte eine lange Tradition haben.

Ellen Schindler und Matthias Rottmann, die das Büro bei der Vernissage vertreten werden, verkörpern diese grenzüberschreitende Arbeitsweise. Schindlers Engagement für baukulturelle Bildung, manifestiert in der Graphic Novel “METRO O1O” über Rotterdams Stadtgeschichte, zeigt exemplarisch, wie niederländische Vermittlungskonzepte auch für deutsche Kontexte fruchtbar gemacht werden können. Das Buch, kostenlos an Rotterdamer Schulen verteilt, könnte durchaus als Blaupause für ähnliche Initiativen in Berlin oder Köln dienen.

Regionale Übersetzungsleistungen

Die in der Ausstellung präsentierten Projekte – vom Wohnquartier Grunobuurt über das multifunktionale Superhub bis zum Bahnhof in Assen – mögen auf den ersten Blick typisch niederländisch erscheinen. Doch der zweite Blick offenbart Prinzipien, die sich durchaus auf deutsche Verhältnisse übertragen lassen. Das Superhub etwa, eine Kombination aus Einkaufszentrum und Gemeindehaus, antwortet auf Herausforderungen peripherer Lagen, wie sie auch in ostdeutschen Plattenbausiedlungen oder westdeutschen Großwohnsiedlungen der 1960er Jahre anzutreffen sind.

Besonders interessant wird es, wenn man die Arbeitsweise von De Zwarte Hond mit regionalen deutschen Planungskulturen kontrastiert. Während in Bayern die kommunale Planungshoheit sakrosankt ist und in Nordrhein-Westfalen die Internationale Bauausstellung als Format regionaler Entwicklung gepflegt wird, bringen die Niederländerinnen und Niederländer ihre eigene Tradition des “Poldern” mit – jenes konsensorientierten Verhandelns, das in den Niederlanden überlebenswichtig war und ist.

Köln als Labor

Die Kölner Dependance von De Zwarte Hond fungiert dabei als besonders spannendes Labor für diese Kulturtransfers. Die rheinische Metropole mit ihrer eigenwilligen Mischung aus römischem Erbe, mittelalterlicher Kleinteiligkeit und Nachkriegsmoderne bietet ideale Bedingungen für Experimente mit “optimistischem Aktivismus”. Hier treffen niederländische Pragmatik auf rheinische Gelassenheit, Poldermentalität auf kölschen Klüngel.

Das aktuelle Projekt in Grevenbroich, die Transformation des Frimmersdorf Kraftwerks, zeigt exemplarisch, wie De Zwarte Hond regionale Transformationsprozesse begleitet. Im rheinischen Braunkohlerevier, wo der Strukturwandel nicht nur räumliche, sondern auch identitätsstiftende Dimensionen hat, entwickeln sie Strategien, die über bloße Flächenkonversion hinausgehen. Die Integration von Stadtstrategie, Masterplanung und Freiraumgestaltung folgt dabei einem ganzheitlichen Ansatz, der in deutschen Planungsbüros oft an disziplinären Grenzen scheitert.

Berliner Realitäten

In Berlin wiederum, wo De Zwarte Hond ebenfalls präsent ist, treffen sie auf eine Planungskultur, die zwischen Bestandsschutz und Wachstumsdruck oszilliert. Die Berliner Bauordnung mit ihren spezifischen Anforderungen an Brandschutz und Barrierefreiheit, die fragmentierte Eigentümerstruktur und die politisch aufgeladene Wohnungsfrage schaffen einen Kontext, der sich fundamental von der niederländischen Situation unterscheidet. Dennoch – oder gerade deshalb – können die Impulse aus Groningen und Rotterdam hier besonders produktiv wirken.

Die Ausstellung im Aedes, kuratiert in Zusammenarbeit mit der Stiftung Berliner Leben, wird diese Transferleistungen hoffentlich sichtbar machen. Die zweigliedrige Struktur – “How” und “What” – verspricht dabei mehr als nur Projektpornografie. Wenn die kollaborative Arbeitsweise mittels Filmen und Diagrammen transparent gemacht wird, könnte dies durchaus Impulse für die oft noch hierarchisch organisierten deutschen Büros liefern.

Ausblick: Grenzüberschreitende Baukultur

De Zwarte Honds “optimistischer Aktivismus” kommt zur rechten Zeit. In einer Phase, in der die Europäische Union mit dem New European Bauhaus kulturelle und klimatische Transformation zusammendenkt, in der grenzüberschreitende Metropolregionen wie die Euregio Rhein-Maas neue Governance-Modelle erproben, braucht es Akteure, die national tradierte Planungskulturen produktiv irritieren.

Ob die “Power of Generosity” allerdings in deutschen Kommunen mit klammen Kassen und unter dem Druck von Wohnungsnot und Klimaanpassung tatsächlich Resonanz findet, bleibt abzuwarten. Die Ausstellung im Aedes bietet jedenfalls Gelegenheit, diese Fragen zu diskutieren – idealerweise mit jenem “Raum für Diskussion, Experiment und kollektives Lernen”, den De Zwarte Hond propagiert.

Veranstaltungsinformationen

AUSSTELLUNG “Optimistic Activism Architecture, Urbanism and the Power of Generosity” De Zwarte Hond

WANN Vernissage: Freitag, 24. Oktober 2025, 18:30 Uhr Ausstellungsdauer: 25. Oktober bis 3. Dezember 2025

WO Aedes Architekturforum Christinenstraße 18-19 10119 Berlin-Mitte

ERÖFFNUNG Sprechen werden:

  • Hans-Jürgen Commerell und Mathias Schnell (Aedes)
  • Anne Schmedding (Stiftung Berliner Leben)
  • Ellen Schindler und Matthias Rottmann (De Zwarte Hond)

WEITERE INFORMATIONEN www.aedes-arc.de