Baukunst - Professionelle Verantwortung: Standards für Doppelhaus-Neuplanungen
Doppelhaushälfte - Wie geht das ?©Depositphotos_566221124_S

Professionelle Verantwortung: Standards für Doppelhaus-Neuplanungen

25.10.2025
 / 
 / 
Ignatz Wrobel

Doppelhäuser: Zwischen Bestand und Verantwortung

Nachbarschaftliche Bauverhältnisse erfordern nicht nur technisches Wissen, sondern auch Sensibilität für städtebauliche Kontinuität. Eine Nachbetrachtung zu einer unterschätzten Aufgabe.

WAS MACHT EIGENTLICH EIN DOPPELHAUS ZUM DOPPELHAUS?

Wer von uns hat nicht schon vor dieser Aufgabe gestanden: Der Bauherr will seine Haushälfte modernisieren, ausbauen, umgestalten – oder gar abreißen und neu bauen. Die Nachbarseite steht noch da, solide, oft jahrzehntealter Bestand. Die Frage ist nicht rechtlich, sondern architektonisch und städtebaulich: Was darf ich tun, ohne dass das Ganze zur Gespensterstadt wird?

Das Doppelhaus ist eines der pragmatischsten Konzepte der deutschen Wohnbaukultur. Zwei Familien teilen sich eine Wand, sparen Kosten, effiziente Versorgung, reduzierte Grundflächennutzung. Seit den 1960ern sind solche Strukturen im Land verankert – in Siedlungen, in Vorstädten, in verdichteten Einfamilienhaus-Quartieren. Nicht elegant, oft nicht spektakulär, aber funktional und territorial klar.

Doch als Planerinnen und Planer erleben wir zunehmend ein Problem: Eigentümerinnen und Eigentümer wollen genau diese Struktur aufbrechen. Sie sehen nicht das Gesamtkontinuum, sondern nur ihr eigenes Grundstück. Und warum auch nicht – es ist ihr Eigentum, ihre Investition, ihre Zukunft.

Hier beginnt unsere professionelle Verantwortung.

WIE WEIT GEHT GESTALTERISCHE FREIHEIT?

Nehmen wir den häufigen Fall: Eine Haushälfte wird zu klein, wird zum Denkmalschutzfall, ist nicht mehr wirtschaftlich. Der Eigentümer plant Abriss und Neubau. Sofort stellt sich die Frage: Darf das neue Gebäude größer sein? Höher? Anders typologisch? Kann ich dort ein Mehrfamilienhaus planen, wenn die andere Seite noch eine Einfamilienhaus-Hälfte ist?

Rechtlich ist die Antwort oft nicht eindeutig. Aber architektonisch sollte sie klarer sein.

Ein Doppelhaus funktioniert als städtebauliche Figur nur dann, wenn es als Einheit erkennbar bleibt. Das bedeutet nicht Identität – aber erkennbare Zugehörigkeit. Die gleiche Firsthöhe ist nicht zwingend, aber eine Überragung von vier oder fünf Metern zerstört das Gleichgewicht. Ein Mehrfamilienhaus neben einer Einfamilienhaus-Hälfte ist nicht mehr Doppelhaus – es ist Kontrastanbau. Und Kontrastanbau ist etwas anderes.

Dies ist nicht eine Frage des Vorschriftenwerks, sondern der architektonischen Ethik. Wenn wir planen, müssen wir nicht nur Gesetze befolgen, sondern auch verstehen, welche städtebauliche Struktur wir verantworten. Wenn ich die Nachbarhälfte optisch zerstöre, habe ich vielleicht legal recht – aber architektonisch versagt.

DIE PRAXIS DER NACHBARSCHAFTLICHEN ABSTIMMUNG

Was tun? Zunächst könnte mehr Kooperation helfen – auch wenn sie nicht erzwingbar ist. In manchen Bundesländern gibt es Regelungen, in anderen nicht. Aber professionelle Planung sollte unabhängig von rechtlichen Zwängen nachdenken: Was ist sinnvoll?

Ein praktischer Weg ist frühe Abstimmung mit dem Nachbarn. Nicht aus sentimentalen Gründen, sondern aus pragmatischer Einsicht: Ein harmonischer Umbau ermöglicht schnellere Genehmigungen, weniger Streit, bessere Atmosphäre in der nachbarlichen Beziehung. Das ist kein Idealismus – das ist Realismus.

Was können wir als Planerinnen und Planer tun? Zunächst: die Nachbarseite analysieren. Nicht nur die technischen Daten, sondern wirklich schauen. In welchem Zustand ist das Gebäude? Welche Gebäudehöhe hat es? Wie sieht die Traufkante aus? Wie wirkt es im Straßenraum?

Dann: Szenarien entwickeln. Was ist das Minimum an Differenzierung? Was könnte visuell noch funktionieren – und was wird zum Bruch? Hier braucht es ehrliche Ansprache zwischen uns und dem Bauherrn. Manchmal muss ich sagen: „Das geht nicht. Nicht weil es verboten ist, sondern weil es falsch ist.”

GESTALTUNG ALS ANTWORT

Ein Ansatz, den mehr Planerinnen und Planer ausprobieren sollten: gesteigerte gestalterische Qualität als Antwort auf Größenunterschiede. Wenn die neue Hälfte größer ist, kann das durch subtile Gliederung, durch Materialsprache, durch Detaillierung ausgeglichen werden. Eine feiner differenzierte Fassade, eine andere Oberflächenbehandlung – das kann visuelle Gewichte verschieben, ohne dass die Größe negiert wird.

Das ist aufwendiger als Standardisierung. Es kostet Gedanken, Zeit, manchmal auch mehr Geld. Aber es ist die Professionalität, die wir schuldig sind.

Ein weiterer Gedanke: Berücksichtigung der Geschossigkeit. Wenn die Nachbarseite zweigeschossig ist, kann ich nicht einfach viergeschossig bauen und hoffen, dass die gemeinsame Wand als Klammer alles zusammenhält. Das funktioniert räumlich nicht. Das wirkt wie zwei Nachbarn in völlig unterschiedlichen Lebenswelten.

WARUM IST DAS WICHTIG?

Es gibt da einen größeren Gedanken dahinter. Unsere Wohnquartiere sind nicht Themeparks. Sie sind organische Strukturen, die über Jahrzehnte gewachsen sind. Wenn jede Parzelle autark optimiert wird, entsteht am Ende Beliebigkeit statt Kontinuität.

Das Doppelhaus ist noch ein Überbleibsel von Regeln, von gegenseitiger Rücksicht, von städtebaulichem Denken jenseits des Einzelgrundstücks. Wenn wir diese Strukturen einfach auflösen – immer rechtskonform, immer individuell optimiert – dann verlieren wir etwas.

Nicht alles muss spektakulär sein. Nicht alles muss neu sein. Manchmal ist es auch Aufgabe von Architekturschaffenden, Kontinuität zu bewahren – nicht konservativ, sondern intelligent. Das bedeutet: Die neue Hälfte kann modern sein, kann andere Maßstäbe setzen, kann kreativ sein. Aber sie sollte noch erkennbar zur anderen Hälfte gehören.

PRAKTISCHE HANDREICHUNG

Was konkret sollten wir im Projektantrag überlegen?

Firsthöhe und Geschossigkeit: Gleich oder minimal abweichend? Differenzierung kann schön sein, aber es gibt Grenzen.

Baumasse und Versatz: Erkennbar zusammenhängend oder deutlich unterschiedlich? Versätze von wenigen Dezimetern sind vermittelbar, Versätze von Metern sind problematisch.

Materialität und Fassade: Kann Gestaltungsqualität Größenunterschiede kompensieren?

Raumkontinuität: Wirken beide Haushälften im Straßenraum noch als zusammenhängende Struktur?

Nachbarschaftsperspektive: Würde ich das Gleiche neben meinem Haus bauen lassen?

Diese Fragen sind nicht juristisch, aber sie sind professionell unverzichtbar.

FAZIT: DIE KULTURELLE VERANTWORTUNG

Am Ende geht es um eine Haltung. Wir sind nicht nur Techniker und Rechtsinterpreten. Wir prägen Wohnquartiere, Nachbarschaften, Stadtteile. Wenn wir jedes Doppelhaus eigenmächtig auseinandernehmen, zerstören wir auch die Struktur, die unter der Nachbarschaft liegt: gegenseitige Rücksicht, urbane Regeln, gemeinsame Räume.

Das klingt großspurig für ein Umbau-Projekt. Aber es ist wahr. Kleine Entscheidungen prägen große Wirklichkeiten.

Deshalb: Lasst uns bei der nächsten Doppelhaus-Umgestaltung nicht nur fragen, ob es legal ist – lasst uns fragen, ob es richtig ist. Und wenn beide Antworten Ja lauten, dann planen wir mit klarem Gewissen.