Baukunst - Späte Genugtuung: Dortmunder U rehabilitiert Künstlerinnen zweier Epochen
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Späte Genugtuung: Dortmunder U rehabilitiert Künstlerinnen zweier Epochen

22.12.2024
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stu.ART

Kunsthistorische Revision: Expressionismus und Fluxus aus weiblicher Perspektive

Die architektonische Metamorphose des Dortmunder U vom industriellen Gär- und Lagerkeller zu einem vitalen Kunstzentrum spiegelt sich in der aktuellen Ausstellung „Künstlerinnen in Expressionismus und Fluxus“ auf bemerkenswerte Weise wider. Wie das markante Gebäude selbst einen Transformationsprozess durchlaufen hat, vollzieht auch diese Schau einen Paradigmenwechsel in der Kunstbetrachtung.

Industriearchitektur als Bühne für künstlerische Emanzipation

Die 70 Meter aufragende Industriekathedrale des ehemaligen Brauereigebäudes bietet mit ihrer charakteristischen Stahlbeton-Konstruktion einen würdigen Rahmen für diese geschichtliche Neubewertung. Auf der sechsten Etage entfaltet sich ein faszinierender Dialog zwischen Architektur und Kunst, der die Werke von 30 Künstlerinnen in einen zeitgemäßen Kontext setzt.

Zwei Epochen, eine Mission

Die Ausstellung gliedert sich in zwei komplementäre Bereiche: Der erste Teil „…ein selbstverständliches inneres Müssen“ widmet sich acht Expressionistinnen, deren innovative Materialexperimente den Kunstbegriff ihrer Zeit erweiterten. Die Bildhauerin Renée Sintenis etwa, deren Werk trotz ihres Erfolgs in der Weimarer Republik oft herablassend kommentiert wurde, steht exemplarisch für die Situation vieler Künstlerinnen ihrer Generation.

Materialvielfalt als Statement

Besonders beeindruckend ist die Bandbreite der künstlerischen Ausdrucksformen: Lotte Reiniger revolutionierte den Animationsfilm, während Madame d’Ora neue Wege in der Fotografie beschritt. Die keramischen Arbeiten von Kitty Rix und Vally Wieselthier sowie die textilen Werke von Marta Worringer demonstrieren, wie diese Pionierinnen traditionelle Handwerkstechniken in zeitgenössische Kunstformen transformierten.

Fluxus: Freiheit mit Einschränkungen

Der zweite Ausstellungsteil „Fluxus und Feminismus“ offenbart die ambivalente Situation der Künstlerinnen in den 1970er Jahren. Carolee Schneemanns ironische Bemerkung über die männerdominierte Fluxus-Bewegung entlarvt die Grenzen der vermeintlichen künstlerischen Freiheit. Ana Mendietas provokante Performance „Untitled (Facial Hair Transplant)“ hinterfragt gesellschaftliche Geschlechterrollen mit bestechender Aktualität.

Architektur als Resonanzraum

Die räumliche Inszenierung im Museum Ostwall nutzt die industrielle Architektur des Dortmunder U geschickt als neutralen Resonanzraum. Die hohen Decken und die charakteristische Fensterfront schaffen eine kontemplative Atmosphäre, die den Werken ihre verdiente Würde verleiht. Die ursprüngliche Funktionalität des Gebäudes tritt in einen spannungsreichen Dialog mit der künstlerischen Avantgarde.

Fazit: Mehr als eine Revision

Diese Ausstellung ist mehr als eine kunsthistorische Korrektur – sie ist ein architektonisches Statement. Wie das Dortmunder U seine industrielle Vergangenheit transzendiert hat, überwindet diese Schau überkommene Geschlechtergrenzen in der Kunst. Die Transformation des Brauereigebäudes zum Kunstzentrum wird zur Metapher für den Wandel in der Kunstrezeption – von der männlich dominierten Vergangenheit zu einer inklusiveren Gegenwart.

Die Ausstellung „Künstlerinnen in Expressionismus und Fluxus“ läuft seit dem 25. Oktober im Museum Ostwall und beweist eindrücklich, dass architektonische und gesellschaftliche Transformation Hand in Hand gehen können.