Baukunst-Steinerne Stadtlandschaft: Wie der Gendarmenmarkt zum Symbol für Berlins städtebaulichen Diskurs wurde
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Steinerne Stadtlandschaft: Wie der Gendarmenmarkt zum Symbol für Berlins städtebaulichen Diskurs wurde

25.03.2025
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Stuart Rupert

Der Gendarmenmarkt und Berlins ewiger Planungskonflikt

Nach zweijähriger Umgestaltung präsentiert sich der Gendarmenmarkt in Berlin-Mitte wieder der Öffentlichkeit – und löst prompt eine heftige Debatte aus. Die Kritik am Ergebnis der 21-Millionen-Euro-Sanierung ist vielsagend: Während die einen eine „Steinwüste“ beklagen, verteidigen andere die historische Authentizität des neugestalteten Platzes. Der Fall ist paradigmatisch für die tiefgreifenden Konflikte in der Berliner Stadtplanung.

Kahl und karg oder historisch korrekt?

Der Vorwurf ist simpel und schmerzhaft: Der renovierte Platz sei zu karg, zu steinern, es fehle das Grün. In sozialen Medien firmiert der Gendarmenmarkt inzwischen als „Stadtglatze„. Tatsächlich zeigt die gekrümmte Oberfläche des Platzes eine auffallende Kahlfläche zwischen den beiden Domen und dem Konzerthaus. Was die Kritiker jedoch übersehen: Die heutige Gestaltung orientiert sich bewusst an der historischen Platzanlage aus DDR-Zeiten.

Bausenator Christian Gaebler (SPD) verteidigt den Umbau: „Man kann da immer unterschiedlicher Meinung sein“, räumt er ein, besteht aber auf der Richtigkeit des Gesamtkonzepts. Dem liegt eine fundamentale Planungsentscheidung zugrunde: Nicht die wilhelminische Bepflanzung sollte wiederhergestellt werden – wie etwa CDU-Politiker Armin Laschet mit historischen Postkarten fordert – sondern die multifunktionale Nutzbarkeit des Platzes.

Geschichte eines wandelbaren Stadtraums

Die wenigsten Kritiker scheinen sich der komplexen Geschichte des Platzes bewusst zu sein. Ursprünglich im 17. Jahrhundert als Marktplatz angelegt, durchlief der Gendarmenmarkt zahlreiche Metamorphosen: Er diente als Friedhof, war kurzzeitig ein Experimentierfeld wilhelminischer Gartenkunst, wurde unter den Nationalsozialisten zum Parkplatz degradiert und erhielt in der DDR jene quadratische Pflasterstruktur, die heute restauriert wurde.

Diese Reminiszenz an die DDR-Gestaltung wurde bereits 2010 in den Planungen festgelegt – keine spontane Entscheidung der aktuellen Sanierung. Kritiker verkennen zudem die praktischen Anforderungen: Der Platz muss flexibel für Open-Air-Konzerte, den Weihnachtsmarkt und andere Veranstaltungen nutzbar bleiben, was durch zu dichte Bepflanzung verhindert würde.

Symptom eines tieferen Konflikts

Die erregte Debatte um den Gendarmenmarkt ist mehr als ein ästhetischer Disput – sie spiegelt einen fundamentalen städtebaulichen Konflikt wider, der Berlin seit Kriegsende prägt. In einem bemerkenswerten historischen Parallellauf entwickelten sowohl Albert Speer in den letzten Kriegsjahren als auch Hans Scharoun in der Nachkriegszeit ähnliche Visionen: die parkartige Auflockerung der Stadtlandschaft.

Während Speer eine luftkriegsgerechte Stadt plante, sah Scharoun die Chance, den Traum des „Neuen Bauens“ zu verwirklichen. Sein „Kollektivplan“ von 1945 ging von einer restlos zerstörten Stadt aus, die „bis in den Grund auszuradieren sei“, um auf bereinigter Fläche eine neue Stadt zu errichten. Zwar scheiterte dieser Plan, doch seine Ideen wirken bis heute nach – sichtbar in der anti-urbanen Tendenz vieler Berliner Planungen.

Diese „morbus scharounensis„, wie Kritiker sie nennen, zeigt sich in einer tiefen Abneigung gegen städtische Dichte und klassische Urbanität: der Neigung, Geraden zu brechen, bevor sie zu einer Linie werden; einem Rechteck die Spitze abzuschneiden; einem Würfel eine Delle zu verpassen. Die Angst vor Symmetrie, Regelhaftigkeit, Klassizität scheint in Berlin endemisch.

Blockrandbebauung versus Stadtlandschaft

Der tiefe Konflikt zwischen den Polen Blockrandbebauung und aufgelockerter Stadtlandschaft bestimmt Berlins Planungsdebatten seit Jahrzehnten. Das „Berliner Mietshaus“ – urban, verdichtet, nutzungsgemischt und mit seiner parzellierten Blockstruktur von großer Flexibilität – steht gegen das Scharoun’sche Ideal der Wohnzelle im Grünen.

Die Verfechter der klassischen Stadtgestalt beklagen heute, dass es der modernen Architekturelite in Berlin an Mut zur städtebaulichen Klarheit mangelt, zur Schaffung geordneter und definierter Stadträume. Der Olivaer Platz gilt als Paradebeispiel: ein Nicht-Platz, der weder Park noch urbaner Raum ist, sondern eine diffuse „multifunktionale“ Fläche. Der Walter-Benjamin-Platz hingegen zeigt, wie auch in der Gegenwart ein urbaner Platz mit Kolonnaden, Springbrunnen und Mischnutzung gelingen kann.

Bedarf nach echter urbaner Qualität

Die aktuelle Wohnungskrise intensiviert den Diskurs. Kritiker des gegenwärtigen Planungsparadigmas fordern eine „rigorose Verdichtung“ der Innenstadt im Interesse einer „nachhaltigen Urbanität“. Sie argumentieren, dass die vor 150 Jahren gebauten Gründerzeithäuser die nachhaltigsten Gebäude sind – gerade weil sie nicht abgerissen wurden und sich über Generationen als anpassungsfähig erwiesen haben.

Der Flughafen Tempelhof biete die „letzte Gelegenheit“, einen „weltstädtischen, urbanen Stadtraum“ zu schaffen. Doch statt eines ambitionierten städtebaulichen Projekts wird dort ein „Ideenwettbewerb“ ausgelobt, bei dem vor allem eines gilt: „kein Wohnungsbau“.

Berlins verpasste Chancen

Die erregte Debatte um den Gendarmenmarkt illustriert einen wesentlichen Identitätskonflikt der Hauptstadt: Wie urban will Berlin sein? Die Antwort der modernen Stadtplanerinnen und Architekten bleibt ambivalent und widersprüchlich. Einerseits werden historische Werte beschworen, andererseits scheut man vor der Konsequenz zurück – der Akzeptanz städtischer Dichte und Steinernheit.

Vielleicht ist die „Stadtglatze“ am Gendarmenmarkt genau das, was Berlin verdient – ein steinerner Spiegel der ungelösten Frage, ob die Stadt ihre großstädtische Identität annehmen will oder weiterhin von der grünen Anti-Stadt träumt. Die wahre Schönheit dieses Platzes mag, wie ein Kommentator bemerkt, „nicht Instagram-tauglich“ sein – doch genau darin könnte ihre zeitlose Qualität liegen.


Der umgestaltete Gendarmenmarkt fordert uns heraus, über fundamentale Fragen der Stadtgestaltung nachzudenken. Anstatt nur über fehlende Bäume zu klagen, sollten Architektinnen und Stadtplaner den tieferen Konflikt adressieren: Berlins unentschlossene Haltung zur Urbanität. Der Platz ist nicht nur ein Ort – er ist ein Argument in einer Debatte, die die Hauptstadt seit Kriegsende führt und bis heute nicht abschließen konnte.