
Die Albertina: Zwischen barocker Pracht und moderner Metamorphose
Die aktuelle Ausstellung der Albertina inszeniert Tod und Vanitas in einem schwarzen Kirchenraumszenario – ein bemerkenswerter Kontrast zu Hans Holleins 64 Meter langem Aluminiumdach, das ursprünglich als Titankonstruktion geplant war. Diese Dialektik zwischen düsterer Thematik und glänzender Architektur charakterisiert ein Haus, dessen Baugeschichte exemplarisch für Wiens ambivalente Beziehung zum eigenen architektonischen Erbe steht.
Das Palais als politisches Statement
Als Maria Theresia 1744 das Palais Taroucca errichten ließ, entstand mehr als nur eine aristokratische Residenz. Herzog Albert von Sachsen-Teschen transformierte das Gebäude ab 1794 zu einem architektonischen Machtstatement: Die 150 Meter lange Fassade des zwischen 1802 und 1804 von Louis Montoyer erweiterten Repräsentationsflügels demonstrierte der nebenan in der Hofburg residierenden kaiserlichen Verwandtschaft unmissverständlich die finanzielle Potenz und das Selbstbewusstsein des kunstsinnigen Herzogs. Diese bauliche Provokation auf der Augustinerbastei etablierte ein Spannungsfeld zwischen höfischer Etikette und bürgerlichem Kunstanspruch, das bis heute nachwirkt.
Wiener Bauordnung trifft auf internationale Ambitionen
Die Metamorphose der Albertina zwischen 1998 und 2003 illustriert paradigmatisch die Herausforderungen der Wiener Bauordnung im Umgang mit historischer Substanz. Die Entdeckung der mittelalterlichen Grundmauern des Augustinerturms während der Bauarbeiten – ein Relikt der babenbergischen Ringmauer – zwang zur Umplanung und offenbarte die Komplexität innerstädtischer Bauprojekte in einer Stadt, deren Untergrund ein archäologisches Palimpsest darstellt. Die beteiligten Architekturbüros – Steinmayr & Mascher für die Gesamtplanung, Hans Hollein für den Eingangsbereich, Arkan Zeytinoglu für das Restaurant und Callum Lumsden für den Shop – navigierten zwischen den strengen Auflagen des Bundesdenkmalamts und den Anforderungen eines modernen Museumsbetriebs.
Der “Soravia Wing”: Zwischen Vision und Pragmatik
Holleins ikonisches Flugdach, nach den Sponsoren als “Soravia Wing” bezeichnet, materialisiert die ewige Wiener Diskrepanz zwischen architektonischem Anspruch und ökonomischer Realität. Die Substitution von Titan durch Aluminium aus Kostengründen mag pragmatisch erscheinen, symbolisiert jedoch die strukturellen Limitierungen öffentlicher Kulturbauten in Österreich. Dennoch erfüllt die Konstruktion ihre funktionale Bestimmung – Witterungsschutz und visuelle Landmarke – mit einer Eleganz, die den Eingang von der ehemaligen Stiegenanlage auf Parterreniveau verlegt und damit demokratisiert.
Regionale Handwerkstradition trifft auf globale Architektursprache
Die Restaurierung zwischen 2017 und 2020 unter der Ägide der hauseigenen Architektursammlung demonstriert vorbildlich die Synthese aus lokaler Handwerkskunst und internationalen Konservierungsstandards. Die Rekonstruktion der originalen Wandmalereien und Terrazzo-Böden durch spezialisierte Wiener Restauratorinnen und Restauratoren belegt die Kontinuität regionaler Kunstfertigkeiten. Gleichzeitig etabliert die barrierefreie Erschließung aller Galerien internationale Standards, die in der österreichischen Museumslandschaft noch keineswegs selbstverständlich sind.
Das Studiengebäude: Ein unsichtbares Meisterwerk
Steinmayr & Maschers Studiengebäude verkörpert eine spezifisch österreichische Variante zeitgenössischer Architektur: formal klar, konstruktiv reduziert, materiell zurückhaltend. Diese “stille Moderne” – dem Publikum weitgehend verborgen – kontrastiert bewusst mit der repräsentativen Geste des Haupthauses und etabliert einen Dialog zwischen öffentlicher Präsentation und wissenschaftlicher Kontemplation. Die geometrisch heitere Dachlandschaft über der Basteiterrasse formuliert eine eigenständige architektonische Sprache, die weder historisierend kopiert noch provokant negiert.
Nachhaltigkeit als unvollendete Aufgabe
Die energetische Bilanz des Albertina-Komplexes bleibt ambivalent. Während die unterirdischen Depoterweiterungen klimatechnisch optimiert wurden, repräsentieren die historischen Bauteile energetische Herausforderungen, die charakteristisch für Wiens denkmalgeschützten Baubestand sind. Die Spannung zwischen konservatorischen Anforderungen – konstante Temperatur und Luftfeuchtigkeit für die Graphische Sammlung – und ökologischen Imperativen bleibt unaufgelöst. Hier manifestiert sich ein strukturelles Dilemma der österreichischen Kulturpolitik: Wie lassen sich historische Museumsbauten nachhaltig transformieren, ohne ihre Authentizität zu kompromittieren?
Die Albertina als Spiegel Wiener Kulturpolitik
Mit über einer Million Besucherinnen und Besuchern jährlich hat sich die Albertina von einer elitären Studiensammlung zu einem touristischen Magneten entwickelt. Diese Transformation – von 60 auf 300 Mitarbeiter, von marginalen zu millionenschweren Ankaufsetats – reflektiert die Neupositionierung Wiens als internationale Kulturmetropole. Doch die Expansion birgt Risiken: Die Balance zwischen wissenschaftlichem Anspruch und populärer Vermittlung, zwischen regionaler Identität und globalem Marketing bleibt prekär.
Fazit: Ein Palimpsest architektonischer Zeitschichten
Die Albertina verkörpert exemplarisch die Wiener Methode des architektonischen Umgangs mit Geschichte: weder radikale Tabula rasa noch museale Erstarrung, sondern kontinuierliche Überschreibung und Adaption. Von Valmagginis barockem Palais über Montoyers klassizistische Erweiterung, die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs bis zu Holleins postmoderner Intervention – jede Epoche hinterließ ihre Spuren, ohne die vorhergehenden vollständig zu tilgen. Diese architektonische Vielschichtigkeit korrespondiert mit der aktuellen Ausstellung, die mittelalterliche Vanitas-Motive mit moderner Kunst verschränkt. In dieser Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen manifestiert sich eine spezifisch Wienerische Kulturtechnik: die produktive Spannung zwischen Tradition und Innovation als permanenter Prozess.

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