Baukunst - Wer baut die Zukunft? Warum architektonisches Denken auf dem Mond fehlt
Die Faszination des Machbaren

Wer baut die Zukunft? Warum architektonisches Denken auf dem Mond fehlt

25.10.2025
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Ignatz Wrobel

Mondarchitektur ohne Erdenökonomie?
Wie Lasertechnologie die Grenzen zwischen Innovation und Illusion verwischt

Eine grüne Plüschfigur schwebt in der Kabine eines Airbus A310 – während eines Parabelflugs über dem Golf von Biskaya demonstrieren Berliner Materialforscher der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), wie sich Mondstaub mit hochintensiven Laserstrahlen zu stabilen Bausteinen verschmelzen lässt. Das Experiment besticht durch seine Eleganz: Was die Raumfahrtagenturen seit Jahrzehnten erfolglos zu lösen versuchen – die Konstruktion permanenter Strukturen auf dem Mond ohne massive Materialtransporte von der Erde – könnte durch eine relativ einfache Technologie realisierbar werden. Die BAM-Forscher erhitzen EAC-1A, einen Mondstaub-Simulanten, auf 1400 Grad Celsius und erzeugen dabei Layer für Layer stabile Oberflächen. Der Gedanke ist bestechend: aus lokalen Ressourcen, mit minimalem Erdenaufwand, vor Ort Struktur schaffen.

Doch genau hier offenbaren sich die ersten kritischen Fragen. Was Ingenierinnen und Ingenieure für einen technologischen Durchbruch halten, könnte für Architektinnen und Architekten bereits der Anfang einer problematischen Reduktion sein. Die Faszination für das technisch Machbare hat in der Raumfahrtforschung historisch oft dazu geführt, dass architektonische Fragen sekundär behandelt werden.

Regolith als Material: Die unbequemen Wahrheiten

Der Mondstaub ist kein gewöhnliches Baumaterial. Seine Körner sind scharfkantig, entstanden über Millionen Jahre ohne Wind- oder Wassererosion. Sie laden sich elektrostatisch auf, haften an jeder Oberfläche und durchdringen, wie Apollonaut Gene Cernan berichtete, bereits nach Stunden die menschlichen Atemwege und Gelenke. Ein 3D-Druck-Verfahren, das diese Eigenschaften ignoriert, schafft möglicherweise zwar oberflächliche Stabilität, aber nicht automatisch bewohnbare Architektur.

Die Forschungen zeigen: Mit hohen Binderanteilen (30-40 Gewichtsprozent) erreichen Verfahren Druckfestigkeiten um 25 MPa. Solar-sinternde Systeme liefern dagegen nur 2-5 MPa – deutlich unter dem, was tragfähige Konstruktionen erfordern würden. Das Laser-Schmelz-Verfahren der BAM bewegt sich in diesem Spektrum. Die Verfahren funktionieren unter Laborbedingungen, nicht unter den extremen Bedingungen des Mondes: Vakuum, Temperaturschwankungen zwischen -173 und +127 Grad Celsius, kosmische Strahlung, Mikrometeoriten, häufige Mondbeben. Ein Material, das im Parabelflug stabil ist, muss es nicht im Permafrost des Mondpols sein.

Innovation im leeren Raum: Ein ökonomisches Paradoxon

China interessiert sich für die deutsche Lasertechnologie. Die USA und Südkorea planen permanente Forschungsstationen bis 2045. Für alle gilt die gleiche wirtschaftliche Realität: Jedes Kilogramm Nutzlast vom Mond oder zum Mond kostet zwischen 50.000 und 100.000 Euro. Ein innovatives Verfahren, das diese Kosten nicht radikal senkt, sondern nur umverteilt, mag technisch interessant sein, wirtschaftlich aber marginal.

Die Berechnung ist zwingend: Die Laser-Druckköpfe müssen selbst zum Mond transportiert werden. Die Solarpanels zur Stromversorgung, die Steuerungssysteme, die Schutzkonstruktionen gegen kosmische Strahlung für die Maschinenteile – sie alle wiegen etwas und kosten entsprechend. Ein konventioneller Ansatz mit vorgefertigten, auf der Erde hergestellten und zum Mond gebrachten Modulen könnte unter Umständen tatsächlich kostengünstiger sein. Hier haben die innovativen Technologien eine ungewöhnliche Bürde: Sie müssen nicht nur funktionieren, sondern wirtschaftlicher sein als das Einfache.

Architektur und Gravitation: Das vergessene Maß

Ein fundamentales Problem wird in den Fachdiskussionen häufig übersehen: Die Mondgravitation beträgt nur 1/6 der Erdgravitation. Das bedeutet, dass Materialfestigkeitsanforderungen völlig anders aussehen. Strukturen, die auf der Erde unter ihrem eigenen Gewicht kollabieren würden, können auf dem Mond halten. Dies öffnet architektonische Möglichkeiten – erfordert aber völlig andere Designprinzipien, als sie auf terrestrischen Großbaustellen entstanden sind.

Die deutschen und chinesischen Ansätze setzen auf industrielle Fertigungsmechaniken von der Erde. Sie optimieren für Prozessgeschwindigkeit und Automatisierung. Selten wird gefragt: Was ist die architektonisch sinnvolle Strukturtypen unter Mondbedingungen? Nicht gekapselte Module, sondern vielleicht Wölbkonstruktionen, Kuppeln, Pilzstrukturen – Formen, die in der reduzierten Gravitation mit geringeren Materialfestigkeiten auskommen? Ein Bionikaansatz, wie ihn chinesische Forscherinnen und Forscher inzwischen verfolgen, deutet in diese Richtung – bleibt aber noch unterentwickelt.

Das Scheitern der Imagination

Was beunruhigt, ist nicht die Technologie selbst, sondern ihre konzeptionelle Umklammerung. Dass ein Laser Mondstaub sintert, ist tatsächlich bemerkenswert. Aber die Frage, ob dieser Prozess architektonisch notwendig ist, wird kaum gestellt. Es gibt einen kulturhistorischen Grund für diese Blindheit: Die Raumfahrt ist militärischen und ingenieurwissenschaftlichen Denkweisen entsprungen. Bauen ist hier Funktionalisierung, nicht Gestalten. Architektinnen und Architekten, Gestalterinnen und Gestalter werden erst hinzugezogen, wenn die technischen Parameter fest stehen.

Das führt zu einer merkwürdigen Inversion: Statt dass Architektur die technischen Mittel bestimmt, bestimmt die verfügbare Technologie die architektonischen Möglichkeiten. Wer zuerst fragt ‘Was können wir bauen?’, statt ‘Was sollten wir bauen?’, hat bereits verloren. Auf dem Mond, in der extraterrestrischen Architektur, müsste dieser Prozess umgekehrt werden.

Perspektiven: Wo die echte Innovation liegen könnte

Das ist nicht als Kritik an der BAM-Forschung gemeint, sondern als strukturelle Kritik an der Orientierung des Feldes. Es gibt Ansätze, die vielversprechender sind: Regolith-Polymer-Mischungen mit minimierten Binderanteilen, solar-getriebene Sintertechnologie, die die vorhanden Energieressourcen des Mondes nutzt, biomimetische Strukturformen, die aus niedrigen Gravitationsbedingungen Gewinn schlagen.

Die wirkliche Innovation wird nicht darin bestehen, Laserstrahlen auf Mondstaub zu richten, sondern darin, fundamentale neue architektonische Typologien zu entwickeln – Gebäudeformen, Materiallogiken, Konstruktionsprinzipien, die nicht von der Erde importiert, sondern aus den Mondbedingungen heraus konzipiert sind. Das erfordert eine Zusammenarbeit zwischen Raumfahrttechnik, Material science und architektonischem Denken, die heute noch nicht stattfindet. Deutschland und China entwickeln parallel; sie sollten konvergent arbeiten – und dabei endlich Architektinnen und Architekten an die Tische holen, nicht nur als Gestalterinnen von Fassaden, sondern als Konzeptdenkerinnen.

Fazit: Technologie braucht Sinn

Der Parabelflug der BAM ist eine technische Meisterleistung und ein Moment, um stolz auf deutsche Ingenieur*innen zu sein. Aber es ist auch ein Moment zur Demut: Vor Fragen nämlich, die die Technologie allein nicht beantworten kann. Was ist eine Stadt auf dem Mond? Wie leben Menschen dort? Welche Strukturtypen sind nicht nur konstruktiv sinnvoll, sondern auch existenziell angemessen? Wie wird ein Raum zur Heimat – selbst wenn er 384.000 Kilometer entfernt ist?

Diese Fragen sind nicht marginal. Sie sind zentral für jeden Architekt, jeden Planer, jeden Ingenieur, der an der Zukunft der menschlichen Existenz mitbauen möchte. Das Laser-Sintern-Verfahren kann ein Werkzeug darin sein – aber nur, wenn es in einem größeren architektonischen Zusammenhang gedacht wird. Sonst bleibt es das, was es heute ist: eine technische Lösung auf der Suche nach einem genuinen Problem.