Baukunst-Zwischen Anklage und Ästhetik: Der Dokumentarfilm "Architecton" als Abgesang auf den Beton
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Zwischen Anklage und Ästhetik: Der Dokumentarfilm „Architecton“ als Abgesang auf den Beton

25.11.2024
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stu.ART

Die Last des Leichten – Warum unser Umgang mit Beton neu gedacht werden muss

Der russische Regisseur Victor Kossakovsky hat sich mit seinem neuesten Werk „Architecton“ einem der umstrittensten Baustoffe unserer Zeit gewidmet: dem Beton. Seine Dokumentation ist dabei weit mehr als eine simple Anklageschrift gegen die Bauindustrie – sie ist ein visuelles Manifest, das durch seine ästhetische Kraft besticht und gleichzeitig verstört.

 

Die Macht der Bilder

Die ersten Sequenzen des Films offenbaren sofort Kossakovskys meisterhafte Bildsprache: Verlassene Plattenbautenstehen wie Mahnmale einer gescheiterten Architektur, ihre rußgeschwärzten Fassaden erzählen stumm von menschlicher Hybris. Die Kamera schwebt durch diese Geisterstädte, als wolle sie dokumentieren, was von unseren Bauwerkenbleibt, wenn der Mensch sie verlässt.

Zwischen Vergänglichkeit und Ewigkeit

Besonders eindrucksvoll kontrastiert Kossakovsky moderne Betonbauten mit jahrtausendealten Steinarchitekturen. In edlem Schwarz-Weiß gefilmt, demonstrieren antike Bauwerke ihre zeitlose Beständigkeit, während daneben Betonstrukturen bereits nach wenigen Jahrzehnten zu bröckeln beginnen. Diese Gegenüberstellung wirft fundamentale Fragen zur Nachhaltigkeit unserer gegenwärtigen Baukultur auf.

Die Wunde im Berg

Die bildgewaltigsten Momente des Films entstehen in den Steinbrüchen. Hier zeigt Kossakovsky in erschütternden Zeitlupenaufnahmen, wie Felswände gesprengt werden. Das Dröhnen der Explosionen, das Bersten des Gesteins – diese Sequenzen entwickeln eine fast körperlich spürbare Wucht. Sie verdeutlichen die Gewalt, mit der der Mensch in natürliche Kreisläufe eingreift.

Der Preis der Moderne

Michele De Lucchi, ein renommierter Designer und Architekt, artikuliert im Film die zentrale Kritik: „Warum bauen wir Gebäude, die nur 40 Jahre halten?“ Diese Frage steht exemplarisch für die Kurzsichtigkeit unserer Baupraxis. Während De Lucchi in seinem Garten einen „magischen“ Steinkreis als Symbol für den respektvollen Umgang mit der Naturanlegt, surrt im Hintergrund ein Mähroboter – eine subtile Ironie, die Kossakovsky nicht entgeht.

Kritische Reflexion

Der Film vernachlässigt allerdings wichtige Aspekte der aktuellen Baudebatte. Die Suche der Bauindustrie nach klimafreundlicheren Alternativen findet ebenso wenig Erwähnung wie die Frage nach bezahlbarem Wohnraum. Auch die historische Tatsache, dass in der von Kossakovsky verklärten Antike die Mehrheit der Menschen in einfachen Lehmbauten lebte, wird ausgeblendet.

Fazit

„Architecton“ ist ein visuell überwältigendes Werk, das wichtige Fragen zur Zukunft des Bauens aufwirft. Kossakovsky verzichtet dabei bewusst auf journalistische Ausgewogenheit zugunsten einer künstlerischen Vision. Der Film mag keine Lösungen anbieten, aber er zwingt sein Publikum, über die Konsequenzen unserer Baukultur nachzudenken – und das ist vielleicht sein größtes Verdienst.