
Zwischen Platte und Poesie: Die DDR als baukulturelles Erbe
„Diese Gebäude sind jetzt einfach dran“, sagt Christine Onnen vom Landesdenkmalamt Brandenburg. Gemeint sind Bauten der späten DDR – Plattenbauten, Schulen, Gemeindezentren, ja sogar Windkraftanlagen. Lange übersehen, beginnt eine stille Revolution in der Denkmalpflege. Die DDR-Architektur wird – oft verspätet – als wertvolles Zeitzeugnis anerkannt. Und das nicht aus nostalgischer Verklärung, sondern aus bau- und kulturhistorischer Notwendigkeit.
Denkmalwert im Betonkleid
Der Denkmalreport Brandenburg 2023/24 legt offen, was sich längst ankündigte: Die sogenannte Ostmoderne – lange Zeit Symbol monotoner Massenware – rückt ins Zentrum einer neuen Betrachtung. Es sind nicht nur die prominenten Bauten wie der Berliner Fernsehturm oder die Frankfurter Allee, die geschützt werden sollen. Es sind Pflegeheime, Gemeindezentren, Schulen und Wohnblöcke, die als Teil eines vielschichtigen architektonischen Kosmos gelten. So wurde etwa das Gemeindehaus Pater Maximilian Kolbe in Frankfurt (Oder) als Denkmal eingetragen – ein differenziert gestalteter Bau aus den 1970er-Jahren, mit Betonstrukturplatten und Glaskunst. Ein typisches Beispiel für das, was die Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger als „baubezogene Kunst“ der DDR beschreiben – oft unterschätzt, aber kulturgeschichtlich wertvoll.
Selbsthilfegruppe mit Auftrag
Der späte Blick auf die DDR-Bauten ist auch Folge eines strukturellen Dilemmas. „Wir reagieren eigentlich nur auf Anfragen“, so Onnen. Es fehlt an Personal für aktive Bestandsaufnahmen. In Ostdeutschland hat sich daher das Denkmalforum Ostmoderne gegründet – ein Netzwerk der Landesämter in Brandenburg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Thüringen. Ein Zusammenschluss, der wirkt wie eine Selbsthilfegruppe für missverstandene Architektur. In diesem Rahmen werden derzeit gezielt Kunstwerke im öffentlichen Raum dokumentiert – von Cottbus bis Potsdam. Die Initiative soll helfen, den abrissbedrohten Bauwerken einen letzten Schutzschild entgegenzusetzen. Denn oft ist der Abriss schneller als das Eintragungsverfahren.
Kritisch gesehen – und dennoch bewahrenswert
Der Umgang mit DDR-Architektur polarisiert: Während Kritikerinnen und Kritiker monotone Formen und ideologische Überformungen betonen, entdecken Fachleute zunehmend gestalterische Vielfalt. Selbst der oft geschmähte Plattenbau wird neu bewertet. In Neubrandenburg stehen inzwischen ganze Wohnblöcke unter Schutz. Die Argumente: städtebauliche Integration, handwerkliche Besonderheiten und die graue Energie, die in diesen Bauten gebunden ist. Gerade unter ökologischen Gesichtspunkten bekommt Denkmalpflege eine neue Relevanz. Der Report betont: Denkmalschutz ist Klimaschutz. Das Weiterbauen im Bestand spart Ressourcen und verhindert die Verschwendung historisch gewachsener Bausubstanz. Mit der Novelle des Denkmalschutzgesetzes in Brandenburg wurde dies nun auch gesetzlich verankert.
Verluste im letzten Moment
Doch es gibt auch Rückschläge. Die alte Stadthalle von Falkensee wurde abgerissen – ein Hinweis kam zu spät. In Finsterwalde entpuppte sich ein unscheinbares Fachwerkhaus kurz vor dem Abriss als bauhistorischer Schatz. Solche Fälle zeigen: Die Zeit drängt. Erschwerend kommt hinzu, dass das Bundesprogramm zur Förderung national bedeutender Denkmale 2024 eingestellt wurde. Für das Land Brandenburg ein herber Rückschlag. Viele Projekte wie das Kulturhaus in Rüdersdorf oder das Joachimsthalsche Gymnasium in Templin müssen nun um neue Mittel kämpfen.
Ein neuer Blick – auch für kommende Generationen
In dieser Gemengelage wird deutlich: Denkmalpflege ist keine rückwärtsgewandte Nischenarbeit, sondern zukunftsorientierte Kulturpolitik. Die Architektur der DDR erzählt von einem Kapitel deutscher Geschichte, das noch lange nicht abgeschlossen ist. Sie ist sperrig, widersprüchlich – aber gerade darin liegt ihr Wert. Was heute als unattraktiv gilt, kann morgen schon ein geschätztes Zeugnis kollektiven Bauens sein. Vielleicht braucht es wirklich eine Generation Abstand, wie Christine Onnen sagt. Doch für viele Bauten aus der DDR könnte es dann zu spät sein.

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