
Wenn Pflanzen Paläste brauchen – Die Wiederentdeckung der Orangerien
Zurück ins Licht: Pomeranzen, Palmen und Poesie
Mit dem Frühling erwacht nicht nur die Natur – auch jene Orte, an denen seit Jahrhunderten mediterrane Pflanzenkunst und aristokratische Gärtnerleidenschaft verschmelzen, öffnen sich dem Publikum: die Orangerien. Ob auf den Hügeln von Weimar, in den Parkanlagen Potsdams oder mitten im Berliner Bezirk Neukölln – die historischen Pflanzenhäuser erleben eine stille Renaissance. Sie sind mehr als bloße Kulisse. Sie sind gebaute Sehnsuchtsräume.
Kultur trifft Klima – die Idee der Orangerie
Ursprünglich waren Orangerien keine Repräsentationsräume, sondern vor allem Schutzräume – botanische Schatzkammern für empfindliche Gewächse. In Weimar etwa entstand ein hufeisenförmiger Komplex, um Zitrusbäume, Oleander, Feigen und Myrten sicher durch den Winter zu bringen. Die Idee dahinter war ebenso pragmatisch wie poetisch: In einer Zeit, in der der Süden nur in Erzählungen oder mühsam per Kutsche zu erreichen war, schufen sich Fürstinnen und Könige ihre mediterrane Traumwelt – in Kisten aus Eichenholz, temperierten Hallen und mit großzügigen Sprossenfenstern. Dabei war der Aufwand enorm. Ein einziges Bäumchen konnte, wie Gärtner Andreas Petzold berichtet, mehr kosten als ein Jahresgehalt. Der Wert lag nicht nur im Pflanzgut selbst, sondern im Symbolgehalt: Pomeranzen – besser bekannt als Bitterorangen – galten als göttliche Früchte, Allegorien des Glücks und Zeichen raffinierter Weltgewandtheit.
Weimar: Gartenkunst mit Goethe und Geschichte
Die Orangerie im Park Belvedere bei Weimar ist ein Solitär – nicht nur wegen ihrer Architektur, sondern auch, weil sie bis heute durchgehend als Pflanzenquartier genutzt wird. Nach der Wende begann er mit dem Wiederaufbau der Sammlung, die 1989 fast vollständig verschwunden war. Heute gedeihen dort wieder 70 Pomeranzen aus Sizilien – eine Hommage an Goethe, der gemeinsam mit Herzog Carl August die Pflanzenleidenschaft zur Wissenschaft erhob. Bis in den Herbst hinein kann man dort mehr als 300 Jahre Orangeriekultur erleben – zwischen Kamelien, Skulpturen und Heizrohren, die noch immer mit Holz befeuert werden. Gelebte Denkmalpflege, im besten Sinne.
Potsdam: Die stille Schwester von Sanssouci
Nicht weniger eindrucksvoll, aber deutlich leiser präsentiert sich die Orangerie im Neuen Garten Potsdams. Während das große Orangerieschloss in Sanssouci derzeit renoviert wird, rückt dieser intime Ort mit seinen 86 Metern Länge und dem ägyptisch anmutenden Portal ins Licht. Die Gartenmeisterin schätzt die Ruhe – und ihre täglichen Wege zwischen Schmucklilien, Palmen und der eigenen Vergangenheit: Seit 1991 betreut sie die Anlage mit Hingabe. Im Mai wird traditionell das „Ausfahren“ der Kübel gefeiert, ein Spektakel für Liebhaberinnen und Liebhaber historischer Gartenkunst. Hier wie in Weimar gilt: Es braucht keine Hightechanlagen. Die alten Öfen funktionieren noch, die Luftfeuchtigkeit wird von Hand reguliert. Es ist diese Einfachheit, die viele Besucherinnen und Besucher erstaunt: Ein funktionierendes System aus dem Jahr 1792 – fast unverändert.
Neukölln: Von der Kiesgrube zur Kunstkulisse
Ganz anders die Orangerie in Berlin-Neukölln: kein Schloss, aber ein Park. Kein Fürst, sondern ein Kiesunternehmer als Bauherr. Die Galerie im Körnerpark, wie das Ensemble offiziell heißt, wurde nie als Winterquartier genutzt. Und doch ist sie eine Orangerie – im Geiste. Mit sechs Meter hohen Wänden, Tageslicht, Konzerten und Ausstellungen bietet sie heute zeitgenössischer Kunst ein Zuhause. Die Betreiber der Café-Bar am Ende des Baus wollten am Namen nichts ändern. Auch hier steht das Zusammenspiel von Natur und Kultur im Vordergrund – aber mit dem Blick nach vorn. Die aktuelle Ausstellung der Galerie widmet sich dem Verhältnis von Mensch und Natur im Zeitalter des Klimawandels. Ein Thema, das einstige Lusthäuser in aktuelle Debatten überführt.
Zwischen Bewahrung und Wandel
Was alle drei Orte verbindet: die Liebe zur Pflanze – und zur Architektur. Ob als museale Schau, lebendiger Garten oder kultureller Hybrid – Orangerien stehen für eine Haltung, die heute aktueller denn je erscheint: Das Zusammenspiel von Klima, Kultur und Handwerk nicht als Gegensatz zu sehen, sondern als Einladung zur Gestaltung.
Dass Petzold, Sawade und viele andere dabei auf historische Techniken setzen, ist kein Widerspruch, sondern ein Statement. Ihre Arbeit zeigt, dass Nachhaltigkeit keine Erfindung des 21. Jahrhunderts ist, sondern gelebte Praxis seit Jahrhunderten.
In einer Zeit, in der Begriffe wie „Klimakunst“ oder „botanische Architektur“ in aller Munde sind, wirken die Orangerien von Weimar, Potsdam und Neukölln wie stille Vorläufer. Sie sind Orte des Staunens – und des Stillstands, im besten Sinne. Hier darf die Zeit stehen bleiben. Und eine Zitrone reifen.

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