
Die Stunde der Wahrheit – Wie Künstliche Intelligenz die Architektur neu schreibt
Noch nie stand der Architektenberuf vor einem so fundamentalen Wandel wie heute. Die disruptiven Kräfte der Künstlichen Intelligenz fordern nicht nur technisches Umdenken – sie stellen die Identität des Berufsstands zur Disposition. Der britische Architekt und Theoretiker Neil Leach bringt es auf den Punkt: „Was Architekt*innen jetzt entwerfen müssen, ist nicht ein Gebäude, sondern die Zukunft ihres Berufs.“
Automatisierung ersetzt nicht nur, sie formt neu
KI-gestützte Entwurfsprozesse, Softwareplattformen, die Material, Kosten und Energieperformance simultan modellieren – die Architektur verliert ihr Monopol auf kreative Ideen. Während Midjourney, Rhino und BIM längst zusammenspielen, laufen viele Planungsbüros der Entwicklung noch hinterher. Leach warnt: Wer KI ignoriert, spielt beruflich bald keine Rolle mehr. Besonders für kleine Büros bedeutet das: Sie müssen sich entscheiden, ob sie Pioniere oder Verlierer sein wollen.
Von der Zeichnung zum Datenmodell
Architektinnen und Architekten erleben eine digitale Verschiebung. KI analysiert nicht nur, sie entwirft. Die Rechenleistung erkennt Muster, die menschlicher Intuition entgehen – wie ein Hund, der Gerüche riecht, die Menschen nicht wahrnehmen. Leach beschreibt dies als „zweite kopernikanische Wende“: Der Mensch ist nicht mehr Zentrum der Intelligenz, sondern wird zum Kooperationspartner eines „anderen Wesens“.
Risiko und Potenzial für kleinere Büros
Die Technologie nivelliert Hierarchien: Vierköpfige Teams schlagen Großbüros bei Wettbewerben – präzise, schnell, effizient. Doch der Preis ist hoch. Wenn kleine Büros große Leistungen erbringen, sinkt der Marktwert der Arbeit. Der Berufsstand droht, sein kulturelles Kapital zu verspielen. Die Gefahr: KI wird zur Ausrede für Honorarkürzungen. Bauherrinnen und Bauherren setzen auf scheinbare Planungspräzision – zum Nachteil menschlicher Expertise.
KI als Kreativpartner?
Leach entzaubert den Mythos menschlicher Kreativität: „Vielleicht sind wir gar nicht so kreativ, wie wir glauben.“ KI wie AlphaGo habe bereits bewiesen, dass sie innovativer sein kann als ihre menschlichen Gegner. Im Architekturbereich eröffnet das neue Horizonte: KI inspiriert, provoziert, überfordert – aber sie schafft Räume für ungewohnte Ideen. Die Aufgabe bleibt es, diese Impulse zu kuratieren, nicht zu ersetzen.
Die Architekturausbildung – das eigentliche Problem
Besonders kritisch sieht Leach die Haltung vieler Ausbildungsstätten. Während die Praxis voranschreitet, verharren Lehrpläne in romantischen Idealbildern. Studierenden wird geraten, sich von KI fernzuhalten – eine Empfehlung mit fatalen Folgen. Die Geschichte zeigt: Wer den Computer ignorierte, wurde arbeitslos. Dasselbe droht nun mit KI. Es ist nicht die Technik, die gefährlich ist, sondern die Ignoranz gegenüber ihrem Potenzial.
Neue Büros, neue Rollen
Was folgt, ist nicht das Ende der Architektur, sondern ihr Neuentwurf. Hybrid arbeitende Studios, kollaborative Plattformen, interdisziplinäre Prozesse – all das sind die Baustellen der Zukunft. Unternehmerisch denkende Planerinnen und Planer erkennen darin Chancen. Die Architektur wird nicht verschwinden, sie wird sich häuten. Und zwar gründlich.
Beruf mit Zukunft – wenn man sie selbst gestaltet
Die nächsten Jahre entscheiden darüber, ob die Architektur in ihrer kulturellen Relevanz bestehen bleibt oder zur bloßen Ausführungsinstanz algorithmischer Vorschläge verkommt. Es liegt an den Architektinnen und Architekten selbst, das Steuer in die Hand zu nehmen. Nicht gegen die Technik, sondern mit ihr – kreativ, kritisch, kompromisslos. Denn wer die Zukunft entwerfen will, muss sich ihr zuerst stellen.

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