Farbenprächtige Balkone, die sich 17 Stockwerke in den Berliner Himmel recken: Das Corbusierhaus im Westend der Hauptstadt ist nicht nur ein architektonisches Meisterwerk, sondern auch ein Zeugnis der Nachkriegsmoderne. Nun erhält die „Wohnmaschine“ eine umfassende Sanierung, die dem Gebäude seinen ursprünglichen Glanz zurückgeben soll.
Das 1958 fertiggestellte Corbusierhaus ist der einzige Berliner Bau des schweizerisch-französischen Architekten und Designers Le Corbusier (1887-1965). Als Teil der Internationalen Bauausstellung 1957 (Interbau) konzipiert, steht es exemplarisch für Le Corbusiers Idee der „Unité d’Habitation“ – einer vertikalen Stadt, die Wohnen, Arbeiten und Freizeit unter einem Dach vereint.
„Das Corbusierhaus ist ein herausragendes Beispiel für die Architektur der Nachkriegszeit und nimmt einen wichtigen Platz in der Berliner Stadtlandschaft ein“, erklärt Dr. Beatrix Behrends-Steins vom Ortskuratorium der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD). Die Stiftung unterstützt die laufende Sanierung mit 60.000 Euro.
Die Gesamtkosten der Sanierung belaufen sich auf 9 Millionen Euro – eine beachtliche Summe, die die Bedeutung des Gebäudes unterstreicht. Hermann-Josef Pohlmann, Vorsitzender des Verwaltungsbeirats der Wohnungseigentümergemeinschaft, betont: „Das Corbusierhaus ist das einzige Gebäude aus der Nachkriegszeit in Berlin, das einen Denkmalpflegeplan besitzt.“ Dieser Plan, 2006 erstellt, bildet die Grundlage für die aktuellen Arbeiten.
Im Fokus der Sanierung steht die Westfassade an der Flatowallee. Die charakteristischen Balkone, die dem Gebäude sein unverwechselbares Erscheinungsbild verleihen, werden in ihrer ursprünglichen Farbigkeit wiederhergestellt. Le Corbusiers Farblehre, die auf der Verwendung von Primärfarben und deren harmonischer Kombination basiert, kommt dabei wieder voll zur Geltung.
Die Sanierung geht jedoch über rein ästhetische Aspekte hinaus. Als Architekt mit langjähriger Erfahrung kann ich bestätigen, dass solche Maßnahmen auch der Substanzerhaltung dienen. Die Witterungseinflüsse der vergangenen Jahrzehnte haben ihre Spuren hinterlassen, und eine gründliche Instandsetzung war überfällig.
Interessant ist die Geschichte des Gebäudes, die von Anpassungen und Kompromissen geprägt ist. Ursprünglich für das Hansaviertel geplant, musste es aufgrund seiner Größe an den jetzigen Standort nahe dem Olympiastadion verlegt werden. Zudem erforderten die Berliner Bauvorschriften einige Änderungen am Originalentwurf. Die Raumhöhen wurden von 2,26 m auf 2,50 m erhöht, und die von Le Corbusier vorgesehenen skulpturalen Stützen mussten simpleren Konstruktionen weichen.
Diese Modifikationen führten dazu, dass sich Le Corbusier später von dem Projekt distanzierte und es aus seinem offiziellen Werkverzeichnis strich. Aus heutiger Sicht erscheint diese Entscheidung bedauerlich, da das Gebäude trotz der Anpassungen die Grundprinzipien seiner Architekturphilosophie verkörpert.
Das Corbusierhaus beherbergt 530 Wohnungen unterschiedlicher Größe, die über innenliegende Mittelflure – von Le Corbusier als „Rues Intérieures“ (Innenstraßen) bezeichnet – erschlossen werden. Diese innovative Erschließung ermöglicht eine hohe Wohndichte bei gleichzeitiger Schaffung von Gemeinschaftsräumen.
Seit 1996 steht das Gebäude unter Denkmalschutz, was seine architektur- und kulturhistorische Bedeutung unterstreicht. Die aktuelle Sanierung ist ein wichtiger Schritt, um dieses Erbe für kommende Generationen zu bewahren.
Architektinnen und Architekten, Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger stehen bei solchen Projekten vor der Herausforderung, die ursprüngliche Gestaltungsidee zu respektieren und gleichzeitig modernen Anforderungen an Wohnkomfort und Energieeffizienz gerecht zu werden. Es gilt, eine Balance zwischen Erhalt und behutsamer Modernisierung zu finden.
Die Sanierung des Corbusierhauses ist mehr als nur eine notwendige Instandhaltungsmaßnahme. Sie ist eine Würdigung der architektonischen Vision Le Corbusiers und ein Bekenntnis zur Moderne als Teil unseres kulturellen Erbes. Gleichzeitig bietet sie die Chance, das Gebäude für die Zukunft fit zu machen und seine Attraktivität als Wohnort zu steigern.
Für Architekturfans und Interessierte bietet die Sanierung eine einmalige Gelegenheit, den Prozess der Wiederherstellung eines Meisterwerks der Moderne hautnah mitzuerleben. Es ist zu erwarten, dass das frisch sanierte Corbusierhaus noch mehr Besucherinnen und Besucher anziehen wird, die die faszinierende Verbindung von Form und Funktion, von Farbe und Struktur erleben möchten.
Die Revitalisierung dieses architektonischen Juwels sendet ein wichtiges Signal: Auch mehr als sechs Jahrzehnte nach seiner Errichtung hat das Corbusierhaus nichts von seiner Strahlkraft eingebüßt. Es bleibt ein lebendiges Beispiel dafür, wie visionäre Architektur das urbane Leben bereichern und prägen kann.
Mit der Sanierung wird nicht nur ein bedeutendes Bauwerk erhalten, sondern auch ein Stück Architekturgeschichte lebendig gehalten. Das Corbusierhaus wird auch in Zukunft ein faszinierendes Zeugnis der Nachkriegsmoderne sein – nun wieder in voller Farbenpracht und bereit, neue Generationen zu inspirieren.