
Ist ein Abrissbagger schon Klimawandel?
In einer Zeit, in der das Wort Nachhaltigkeit inflationär verwendet wird, bietet die Pinakothek der Moderne in München mit der Ausstellung „Trees, Time, Architecture!“ eine tiefgründige Reflexion über die vielschichtige Beziehung zwischen Bäumen und Bauwerken. Eine Beziehung, die angesichts der Klimakrise neu gedacht werden muss.
Wenn Bäume zu Luxusobjekten werden
Der Fall des georgischen Milliardärs Bidsina Iwanischwili ist ebenso absurd wie symbolträchtig: Für seinen „dendrologischen Park“ lässt er jahrhundertealte Bäume entwurzeln, transportieren und neu einpflanzen – für bis zu 300.000 Euro pro Exemplar. Die eindrucksvolle Dokumentation dieses Vorgehens in Salomé Jashis Film „Taming the Garden“ offenbart eine fundamentale Wahrheit: Einen alten Baum verpflanzt man nicht. Viele der Bäume sterben nach der Verpflanzung ab, ihre Zukunft bleibt ungewiss. Iwanischwili versucht buchstäblich, sich Zeit zu kaufen – doch die Natur lässt sich nicht einfach manipulieren.
Diese Episode steht stellvertretend für den menschlichen Umgang mit Bäumen in unseren Städten: Während ihrer Bedeutung für das Mikroklima und den CO2-Haushalt immer größere Aufmerksamkeit geschenkt wird, fallen sie weiterhin dem Bagger zum Opfer – für Tiefgaragen und „zeitgenössisches Wohnelend“, wie es die Ausstellung prägnant auf den Punkt bringt.
Zwischen Zeitlichkeit und Dringlichkeit
Die von Ferdinand Ludwig, Professor für „Green Technologies in Landscape Architecture“ an der TU München, zusammen mit Kristina Pujkilović und Andjelka Badnjar Gojnić kuratierte Ausstellung geht weit über eine oberflächliche Betrachtung modischer Holzarchitektur oder das oberflächliche „Grünwaschen“ konventioneller Bauten mit „Moos-Tapeten innen und Topf-Farnen außen“ hinaus.
Vielmehr beleuchtet sie das Spannungsfeld zwischen der Langsamkeit des Baumwachstums und der Dringlichkeit architektonischer und städtebaulicher Lösungen für eine klimagerechte Zukunft. Bäume wachsen über Jahrzehnte, manchmal Jahrhunderte – Architekturen entstehen in vergleichsweise kurzer Zeit. Diese unterschiedlichen Zeitmaßstäbe zu harmonisieren, ist eine zentrale Herausforderung für zukunftsfähiges Bauen.
Indigenes Wissen trifft moderne Technologie
Besonders beeindruckend ist die Vielfalt der präsentierten Ansätze: Von den lebenden Wurzelbrücken der Khasi in Indien, die über Jahrhunderte herangezogen werden, bis zu experimentellen baubotanischen Bauwerken der TU München spannt sich ein faszinierender Bogen durch Raum und Zeit. Die Ausstellung macht deutlich, dass fruchtbare Beziehungen zwischen Bäumen und Bauwerken transdisziplinärer Kooperationen bedürfen, die wissenschaftliche Methoden mit künstlerischen Praktiken, indigenem Wissen und neuester Technologie verbinden.
Das Forschungsgebiet der Baubotanik nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein: Es erforscht Möglichkeiten, lebende Bäume als tragende und gestaltende Elemente in architektonische Konzepte zu integrieren. Die präsentierten Versuchsbauten zeigen eindrucksvoll, wie Bäume nicht nur als Materiallieferanten oder nachträgliche Begrünung, sondern als integraler Bestandteil der Architektur fungieren können.
Ein Paradigmenwechsel ist notwendig
Die ausgestellten Projekte aus unterschiedlichen Klimazonen und kulturellen Kontexten verdeutlichen: Wir brauchen einen grundlegenden Paradigmenwechsel. Statt fertige Objekte zu entwerfen, müssen Architektinnen und Architekten Prozesse gestalten, die langfristig tragfähige Beziehungen zwischen Bäumen und Bauwerken etablieren. Dies erfordert ein radikales Umdenken in der Ausbildung und Praxis.
Die Ausstellung leistet hier wertvolle Pionierarbeit, indem sie erstmals den Themenkomplex „Baum, Zeit, Architektur“ aus einer ganzheitlichen, multidimensionalen Perspektive betrachtet. Sie dokumentiert nicht nur den Status quo, sondern zeigt Wege auf, wie die Koexistenz von natürlichen und gebauten Strukturen gelingen kann.
Mehr als Ästhetik: Architektur für den Klimawandel
Bemerkenswert ist der Verzicht auf die in Architekturausstellungen oft dominierende Ästhetisierung. Stattdessen werden die zeitlich-räumlichen Dimensionen und die Rolle von Bäumen im globalen Kohlenstoffkreislauf durch raumprägende Installationen und Schlüsselexponate erfahrbar gemacht. Die Besucherinnen und Besucher erhalten einen fundierten Einblick in die komplexen ökologischen Zusammenhänge, ohne dass ihnen einfache Lösungen präsentiert werden.
Besonders eindrucksvoll ist die Installation unter dem Vordach des Museums, wo Bäume als „unmittelbar verfügbare Handelsware“ zwischengelagert werden – in bewusster Diskrepanz zu ihrer Langlebigkeit. Diese performative Setzung spricht die Öffentlichkeit an und ermöglicht einen niederschwelligen Zugang zu den komplexen Themen der Ausstellung.
Fazit: Den Baum neu denken
„Trees, Time, Architecture!“ ist keine weitere Ausstellung, die dem modischen „Greenwashing“ huldigt. Sie ist ein fundierter, kenntnisreicher und zugleich anschaulicher Beitrag zur Debatte um zukunftsfähige Architektur in Zeiten des Klimawandels. Sie zeigt, dass Bäume weit mehr sind als ästhetische Accessoires oder Baumaterial – sie sind Partner in einem gemeinsamen Entwicklungsprozess, der über Generationen hinweg gedacht werden muss.
Die Ausstellung macht deutlich: Der Abrissbagger ist tatsächlich ein Symbol des Klimawandels. Doch sie belässt es nicht bei dieser Diagnose, sondern zeigt Alternativen auf. Dabei geht es nicht darum, „zum Baum-Umarmer zu werden wie der bayerische Ministerpräsident Markus Söder“, wie es im Begleitmaterial heißt. Es reicht, „wenn man mit etwas mehr Wissen auch etwas mehr Respekt zeigt vor einer Materie, die keine Materie, sondern das pure Leben ist.“
Die Ausstellung „Trees, Time, Architecture!“ ist bis zum 14. September 2025 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen. Zur Ausstellung ist ein Buch im Park Books Verlag, Zürich erschienen.

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