Baukunst - La Biennale 2025 "Lernen vom Kollektiv"
Neue Generation: 200 Talente aus 49 Ländern entwickeln klimaangepasste Architektur © O. C. Haas

La Biennale 2025 „Lernen vom Kollektiv“

24.05.2025
 / 
 / 
Ignatz Wrobel

Die neue Generation der Biennale

Revolution beginnt mit einem Klick

Am 7. Mai 2024, um punkt null Uhr, geschah etwas Historisches: Zum ersten Mal in 130 Jahren Biennale-Geschichte öffnete sich eine Plattform für alle. „Space for Ideas“ hieß das Experiment, das Carlo Ratti wagte – ein offener Aufruf an die Weltgemeinschaft, Ideen für die Zukunft der Architektur einzureichen. „We got flooded with thousands of emails“, berichtet der Kurator heute, noch immer überwältigt von der Resonanz. Bis zum Stichtag am 21. Juni strömten Vorschläge aus allen Kontinenten ein – von etablierten Büros bis zu Studierenden im ersten Semester.

Die Botschaft war klar: Schluss mit dem exklusiven Zirkel der Eingeweihten. Die Biennale wird demokratisch.

Das Biennale College wird erwachsen

Während „Space for Ideas“ alle einlud, konzentrierte sich das Biennale College Architettura 2025 auf die nächste Generation. Über 200 Studierende, Absolvierende und junge Praktikerinnen unter 30 Jahren aus 49 Ländern bewarben sich für das Programm – ein Rekord in der Geschichte des 2012 ins Leben gerufenen Förderformats.

Die Zahlen sprechen für sich: Von Bahrain bis zur Syrischen Arabischen Republik, von Malaysia bis Kanada reichte das Spektrum der Bewerbungen. 16 Projekte schafften es in die engere Auswahl für den zehntägigen Workshop im September 2024 in Venedig. Dort arbeiteten die jungen Talente unter der Mentorschaft von Ratti und seinem kuratorischen Team an der Verfeinerung ihrer Konzepte.

Am Ende erhielten acht Projekte die begehrte Förderung von je 20.000 Euro. Die Gewinnerliste liest sich wie ein Who’s Who der kommenden Architekturgeneration: Joelle Deeb aus Syrien, Jia Wei Huang aus Malaysia, Caterina Miralles Tagliabue aus Spanien, Agnes Thomasina Parker aus Großbritannien und weitere visionäre Köpfe aus Italien, Kanada, Portugal, Deutschland und Finnland.

Interdisziplinarität als Lehrplan

Was das College 2025 von seinen Vorgängern unterscheidet, ist der radikal interdisziplinäre Ansatz. „Natural, artificial, and collective intelligence to combat the climate crisis“ lautete die Aufgabenstellung – eine Formulierung, die bewusst über die traditionellen Grenzen der Architektur hinausweist. Die ausgewählten Projekte verbinden Architektur mit Biologie, Informatik mit Handwerk, lokales Wissen mit globalen Herausforderungen.

Diese Öffnung spiegelt einen größeren Wandel in der Architekturausbildung wider. Die Zeiten, in der angehende Architekten und Architektinnen ausschließlich Grundrisse zeichneten und Proportionen studierten, sind vorbei. Heute müssen sie Klimadaten analysieren, mit Sensoren experimentieren, soziale Prozesse verstehen und kulturelle Codes entschlüsseln. Das Berufsbild des Generalisten kehrt zurück – allerdings nicht als einsamer Genius, sondern als Teil kollaborativer Teams.

Universitäten als globale Labore

Die internationale Vernetzung der diesjährigen Biennale zeigt sich besonders deutlich in den universitären Kooperationen. Das Virginia Tech Honors College präsentiert mit „unEarthed“ und „Second Nature/PolliNATION“ zwei Projekte, die über mehrere Semester von Studierenden verschiedener Disziplinen entwickelt wurden. Die Zusammenarbeit mit dem Schweizer Möbelhersteller USM Modular Furniture brachte dabei echte Industrieerfahrung in den Lernprozess ein.

„Die Honors College-Herangehensweise ist anders als jedes Bildungsmodell, das ich kenne“, staunte USM-CEO Jon Thorson nach seinem Besuch. „Sie lädt zur Beteiligung und Führung der Studierenden in jede Zusammenarbeit ein. Was ich gestern sah, spiegelt die Projektentwicklung auf professionellem Niveau wider.“

Auch die ETH Zürich nutzt die Biennale als Lernfeld. Gramazio Kohler Research, das weltweit erste architektonische Robotiklabor, präsentiert nicht nur eigene Forschungsergebnisse, sondern bindet Studierende aktiv in die Entwicklung ein. 30 Forscherinnen und Forscher arbeiten dort an der Zukunft des computergestützten Bauens – ein lebendiges Beispiel für die Verschmelzung von Lehre und Forschung.

Neue Vermittlungsformate für alle

Doch die Bildungsrevolution der Biennale 2025 beschränkt sich nicht auf die Hochschulen. Das Educational Programme der Biennale hat sich zu einem der erfolgreichsten Vermittlungsformate der Kulturwelt entwickelt. 131.509 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten die Bildungsangebote der letzten beiden Biennalen – 72.125 davon waren Jugendliche.

Dieser Erfolg basiert auf einem vielschichtigen Angebot: Guided Tours führen durch die komplexen Ausstellungsräume, Workshop-Aktivitäten lassen Besucherinnen und Besucher selbst experimentieren, Interactive Initiatives verbinden Rundgang und praktische Arbeit. Die Formate richten sich bewusst an unterschiedliche Zielgruppen – von Grundschulklassen bis zu Fachleuten, von Familien bis zu Unternehmen.

Besonders innovativ ist der „Speakers‘ Corner“ in den Corderie dell’Arsenale – ein Diskussionsformat, das während der gesamten sechsmonatigen Laufzeit der Biennale stattfindet. Hier kommen Architektinnen und Aktivisten, Forscherinnen und Praktikerinnen ins Gespräch. Das Publikum wird vom passiven Konsumenten zum aktiven Teilnehmer des Diskurses.

Das Netzwerk der Zukunft

50 Institutionen aus aller Welt beteiligen sich als Kooperationspartner an der Biennale 2025 – 24 italienische, 20 ausländische und sechs weitere über das DASTU-Programm des Politecnico di Milano. Diese Vernetzung ist mehr als nur organisatorische Effizienz; sie spiegelt die neue Realität einer globalisierten Architekturausbildung wider.

Studierende in Linz arbeiten mit Kolleginnen in São Paulo zusammen, Forscherinnen in Zürich tauschen sich mit Teams in Boston aus, Praktikerinnen in Mumbai lernen von Erfahrungen in Lagos. Die physischen Grenzen der Ausbildung lösen sich auf – zurück bleibt ein planetares Netzwerk des Wissens.

Kritik und Herausforderungen

Nicht alle Stimmen begrüßen diese Entwicklung uneingeschränkt. Kritikerinnen warnen vor einer Verwässerung der Architekturausbildung, wenn die Grenzen zu anderen Disziplinen zu durchlässig werden. Andere bezweifeln, ob die Fülle der Stimmen und Perspektiven nicht eher verwirrt als klärt.

„Die Gefahr des Dilettantismus ist real“, gibt ein langjähriger Architekturprofessor zu bedenken. „Wenn alle mitreden, wer hat dann noch die Kompetenz für die wirklich schwierigen Entscheidungen?“ Es ist ein berechtigter Einwand, der die Spannung zwischen Demokratisierung und Expertise offenlegt.

Lernen von der Generation Z

Die jungen Teilnehmerinnen und Teilnehmer des College-Programms bringen eine andere Denkweise mit. Sie sind mit dem Internet aufgewachsen, für sie ist Vernetzung selbstverständlich. Sie denken in Systemen statt in Einzelobjekten, in Prozessen statt in statischen Zuständen. Ihre Projekte reflektieren diese Haltung – sie sind experimentell, kollaborativ und grundsätzlich optimistisch.

„Diese Generation hat keine Angst vor Komplexität“, beobachtet eine Jurorin des College-Programms. „Sie sieht die Klimakrise nicht als unlösbares Problem, sondern als Designaufgabe. Das ist ermutigend.“

Die Biennale als Schule der Zukunft

Was in Venedig 2025 geschieht, ist mehr als eine Ausstellung – es ist ein Feldversuch für die Zukunft der Architekturausbildung. Die Kombination aus offenen Calls, internationaler Vernetzung, interdisziplinärer Zusammenarbeit und neuen Vermittlungsformaten könnte zum Modell für andere Institutionen werden.

Die Botschaft ist klar: Die Architektur der Zukunft entsteht nicht in den Köpfen einzelner Genies, sondern in der kollektiven Intelligenz vernetzter Communities. Die Biennale 2025 zeigt, wie dieses Lernen funktionieren kann – chaotisch, experimentell, aber voller Hoffnung auf eine bessere gebaute Welt.

Die 19. Internationale Architekturausstellung – La Biennale di Venezia „Intelligens. Natural. Artificial. Collective.“ läuft noch bis zum 23. November 2025.

Öffnungszeiten:

  • Mai bis 28. September: 11:00 – 19:00 Uhr (Freitag/Samstag im Arsenale bis 20:00 Uhr)
  • 29. September bis 23. November: 10:00 – 18:00 Uhr
  • Geschlossen: Montags (außer 12. Mai, 2. Juni, 21. Juli, 1. September, 20. Oktober, 17. November)

Veranstaltungsorte: Giardini und Arsenale, Venedig

Eintrittspreise:

  • Einzelticket: 25€ (gültig für beide Venues)
  • Ermäßigt: 22€ (Studierende, Senioren 65+, Gruppen ab 10 Personen)
  • Familienticket: Kinder bis 6 Jahre frei

Weitere Informationen: www.labiennale.org/en/architecture/2025