
Hermann Czech: Ein Meister der stillen Architektur erhält den Großen Österreichischen Staatspreis
Hermann Czech, eine prägende Figur der österreichischen Architekturszene, wird für sein Lebenswerk mit dem Großen Österreichischen Staatspreis geehrt. Diese höchste Auszeichnung der Republik würdigt Czechs einzigartigen Beitrag zur Architektur, der sich durch eine subtile Verbindung von historischen Elementen und modernen Anforderungen auszeichnet.
Der 1936 geborene Architekt hat im Laufe seiner Karriere ein beeindruckendes Portfolio aufgebaut, das von Wohnhäusern über öffentliche Gebäude bis hin zu städtebaulichen Interventionen reicht. Seine Arbeiten zeichnen sich durch eine tiefe Verwurzelung im lokalen Kontext aus, gepaart mit einer sensiblen Modernität, die Czech zu einem Vorreiter der „stillen Architektur“ macht.
Frühe Werke prägen das Wiener Stadtbild
Bereits in den 1970er Jahren setzte Czech mit dem Kleinen Café (1970/1973-74) und der Wunder-Bar (1976) Akzente in der Wiener Gastronomiekultur. Diese Projekte zeigen exemplarisch Czechs Fähigkeit, bestehende Strukturen respektvoll zu interpretieren und gleichzeitig zeitgemäße Nutzungskonzepte zu implementieren. Die sorgfältige Detailarbeit und die Verwendung hochwertiger Materialien sind charakteristisch für seinen Ansatz.
Ein weiteres Beispiel für Czechs kontextbezogenes Arbeiten ist die Blockbebauung an der Wendeanlage der U3 in Wien-Ottakring (1997). Hier gelang es ihm, die städtebauliche Struktur zu verdichten, ohne die gewachsene Umgebung zu überformen. Die Integration von Wohn- und Gewerbeflächen in einem harmonischen Ensemble zeigt Czechs Verständnis für urbane Funktionalität und ästhetische Qualität.
Theorie und Praxis im Dialog
Czech’s Wirken beschränkt sich nicht auf das Bauen allein. Als Theoretiker und Dozent hat er Generationen von Architekten und Architektinnen beeinflusst. Seine Gastvorlesungen an renommierten Institutionen wie der Harvard-Universität und der ETH Zürich zeugen von der internationalen Anerkennung seiner Expertise. Czechs Publikationen, darunter „Das Looshaus“ (1976) und „Zur Abwechslung“ (1978), sind wichtige Beiträge zum architektonischen Diskurs.
Der Architekt betont die Bedeutung des „Denkens zum Entwurf“ und vertritt die Ansicht, dass tragfähige Planungsentscheidungen methodisch erarbeitet werden müssen. Dieser Ansatz spiegelt sich in der Ausstellung „Hermann Czech: Ungefähre Hauptrichtung“ wider, die kürzlich im fjk3-Raum für zeitgenössische Kunst in Wien zu sehen war. Sie bot einen Einblick in Czechs Entwurfsprozesse und zeigte die Vielfalt seiner realisierten Projekte.
Architektur als funktionaler Raum
„Architektur wird überschätzt. Es geht nicht darum, Aufmerksamkeit zu erregen, sondern Räume zu schaffen, die funktionieren und in denen sich Menschen wohlfühlen“, sagt Czech. Diese Aussage verdeutlicht seine Herangehensweise an die Architektur als Dienst am Menschen. Czech’s Werk zeichnet sich durch eine tiefe Verbundenheit mit dem Ort und seinen Nutzern und Nutzerinnen aus.
Ein Beispiel für diesen Ansatz ist die Rosa-Jochmann-Schule in Wien-Simmering. Hier schuf Czech einen Lernort, der die pädagogischen Anforderungen erfüllt und gleichzeitig eine angenehme Atmosphäre für Schülerinnen und Schüler bietet. Die durchdachte Raumaufteilung und die sorgfältige Materialwahl tragen zu einem Umfeld bei, das Konzentration und Kreativität fördert.
Aktuelle Projekte und Herausforderungen
Auch im fortgeschrittenen Alter bleibt Czech aktiv und setzt sich mit aktuellen Herausforderungen auseinander. Die Erneuerung des Sigmund Freud Museums (2020) zeigt seine Fähigkeit, historische Substanz mit modernen Ausstellungskonzepten zu verbinden. Dabei nutzte Czech zeitgemäße Technologien zur Klimatisierung und Beleuchtung, ohne den Charakter des Gebäudes zu beeinträchtigen.
Ein weiteres Beispiel für Czechs innovative Herangehensweise ist sein Beitrag zur Architektur-Biennale in Venedig 2023. Unter dem Titel „Partecipazione / Beteiligung“ realisierte er eine halb errichtete Brücke, die den Blick auf den benachbarten Stadtteil freigab. Dieses Projekt verdeutlicht Czechs Interesse an der Öffnung von Architektur für die Öffentlichkeit und seiner Fähigkeit, mit minimalen Eingriffen maximale Wirkung zu erzielen.
Der Große Österreichische Staatspreis
Die Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreises an Hermann Czech ist eine wohlverdiente Anerkennung seines Lebenswerks. Der mit 30.000 Euro dotierte Preis wird jährlich in wechselnden Kategorien vergeben und würdigt herausragende künstlerische Leistungen. Czech’s Aufnahme in den Kunstsenat unterstreicht zusätzlich seine Bedeutung für die österreichische Kulturlandschaft.
Fazit und Ausblick
Hermann Czech’s Werk ist ein Lehrstück in architektonischer Sensibilität und funktionaler Ästhetik. Seine Fähigkeit, das Bestehende zu respektieren und gleichzeitig zukunftsweisende Lösungen zu entwickeln, macht ihn zu einem Vorbild für nachfolgende Generationen von Architekten und Architektinnen. Die Auszeichnung mit dem Großen Österreichischen Staatspreis ist nicht nur eine Würdigung seiner Vergangenheit, sondern auch ein Auftrag für die Zukunft.
Als Architekt mit jahrzehntelanger Erfahrung kann ich sagen, dass Czech’s Ansatz, die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer in den Mittelpunkt zu stellen, heute aktueller denn je ist. In Zeiten des Klimawandels und der Ressourcenknappheit bietet seine Philosophie der behutsamen Intervention wertvolle Ansätze für eine nachhaltige Stadtentwicklung.
Hermann Czech’s Lebenswerk zeigt eindrucksvoll, dass große Architektur nicht laut sein muss, um Wirkung zu entfalten. Seine „stille Architektur“ spricht Bände über die Kraft des durchdachten Entwurfs und der präzisen Umsetzung. Der Große Österreichische Staatspreis ehrt nicht nur einen herausragenden Architekten, sondern auch eine Haltung, die in der heutigen schnelllebigen Welt an Bedeutung gewinnt: die Fähigkeit, genau hinzusehen, zuzuhören und mit Bedacht zu handeln.

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