Baukunst - Lissabon wird zum Zentrum zeitgenössischer Kunst
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Lissabon wird zum Zentrum zeitgenössischer Kunst

25.10.2025
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Stuart Rupert

Zum Einatmen einladen – Kengo Kumas Sanftheit und ihre Grenzen

Der japanische Architekt Kengo Kuma hat mit seiner Umgestaltung des Centro de Arte Moderna (CAM) eine Sensation geschaffen: ein 100 Meter langes schwebendes Vordach, das sich wie eine Welle über den südlichen Garten breitet. Die Poetik dieser Geste lässt sich kaum bestreiten. Inspiriert vom japanischen Engawa-Konzept – jener traditionellen Veranda, die Innen- und Außenraum vermittelt – öffnet Kuma das Museum auf beiden Seiten. Weiße, handgefertigte portugiesische Azulejos bedecken die Oberseite, während dunkle Eschenholzplanken die Unterseite bilden. Ein Dialog zwischen japanischer Raffinesse und portugiesischer Handwerkstradition.

Doch hier zeigt sich auch die erste kritische Anfrage: Ist dieses Konzept wirklich eine inhaltliche Neuerfindung des Museums, oder ist es vor allem eine ästhetische Verpackung? Kuma hat bewusst entschieden, Lesley Martins ursprünglichen brutalistischen Betonbau von 1983 weitgehend zu bewahren und statt zu erweitern eher zu subtrahieren – Wände wurden entfernt, neue Fenster ermöglichen Blicke ins Grüne. Intern wird dieser Ansatz tatsächlich sichtbar: Die Bürüffnung schafft Transparenz und Orientierung.

Landschaftsarchitekt Vladimir Djurovic hat gleichzeitig die angrenzenden Gärten radikal umgestaltet. Das ist ambitioniert – doch wirft eine Frage auf: Werden hier wirklich natürliche Lebensräume geschaffen, oder inszenieren wir Natur als Kunstinstallation für ein Millionenpublikum? Die Umwandlung invasiver Arten in heimische Pflanzenbestände klingt nachhaltig. Aber welche Fauna wird durch die intensive Nutzung und die Besucherströme wirklich geduldet?

Der Preis für diese Sanftheit bleibt oft unsichtbar: Buro Happold hat für Tragwerksplanung ein filigran gefedertes Stahlträgersystem entworfen. Das ist handwerklich meisterlich – aber auch energieintensiv in Produktion und Montage. Eine kritische Architekturgeschichtsschreibung müsste diese Komplexität abbilden.

Wenn Private zur Öffentlichkeit werden – MACAM und die Museumshotel-Formel

Mit dem MACAM betritt Armando Martins, der Immobilienentwickler und Kunstsammler, eine völlig andere Spielart. Er hat ein verfallenes Palácio aus dem 18. Jahrhundert – das Palácio dos Condes da Ribeira Grande – für über 50 Millionen Euro restauriert und in ein Hybrid-Gebilde verwandelt: 600 seiner Kunstwerke, 2000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, ein Fünf-Sterne-Hotel mit 64 Zimmern (300 bis 600 Euro pro Nacht) und eine ehemalige Kapelle, die als Live Arts Bar dient.

Das provoziert eine grundsätzliche Frage: Kann ein Museum, dessen Finanzierungsmodell auf Hotelübernachtungen angewiesen ist, noch autonom über sein Vermittlungsprogramm entscheiden? Der elegante Diskurs über nachhaltige Finanzierung privater Sammlungen durch Hospitality verschleiert eine einfache Wahrheit: Kunstgenuss wird hier zur Premium-Experience, zum Accessoire des Lifestyle-Hotels.

Nun sollte nicht ignoriert werden, dass Martins wirklich bedeutende Werke sammelt – seine Sammlung Eduardo de Vianas ist international herausragend, und die Werke Paula Regos oder Maria Helena Vieira da Silvas verdienen öffentliche Sichtbarkeit. Insofern leistet MACAM einen Dienst. Doch der Preis ist eine Vermischung von Rollen, die problematisch sein kann: Der Kunsthistoriker und der Hotelinspekteur folgen anderen Logiken.

Die Architekturgruppe Metro Urbe hat die Integration von Alt und Neu durchaus sensibel gelöst – die keramische Wandbekleidung der Fassadenerweiterung durch Maria Ana Vasco Costa verbindet traditionelle portugiesische Fliesen mit zeitgenössischer Formensprache. Das ist handwerklich respektvoll. Aber auch hier: Die nachträgliche Technisierung der historischen Barockkapelle – mit Lichtrigging, Soundsystem – ist ein heikles Unterfangen. Wie viel Moderne verkraften historische Räume, bevor sie zu Musealisierungen ihrer selbst werden?

Wessen Stadt ist es? – Lissabon zwischen Kulturhauptstadt und Immobilienmarkt

Beide Projekte offenbaren ein tieferliegendes Problem: Sie repräsentieren zwei Seiten derselben Medaille. Auf der einen Seite der wohlwollende Mäzen-Investor Martins, auf der anderen die international etablierte Stararchitektur Kumas – beide schaffen bedeutende kulturelle Infrastruktur. Beide sind auch Symptome.

Lissabon war, als Gulbenkian sich dort niederließ, bitterarm und isoliert. Heute ist die Stadt zum Investment-Objekt geworden. Die Touristenzahlen steigen exponentiell, wohlhabende Ausländer werben Portugal als Steueroase. Die Immobilienpreise sind explodiert – für durchschnittliche Portugiesinnen und Portugiesen ist die Stadt zunehmend unbezahlbar geworden.

Beide Museen entstehen in dieser Konstellation. Sie sind nicht frei von dieser Logik. Das CAM wird zur Ikone eines neuen Portugal, die touristisch vermarktbar ist. MACAM ist ein Immobilienprojekt, das sein Finanzierungsmodell durch Hotellerie absichert. Kultur wird hier – in bester Absicht! – zu einer Nutzungsform des Raumes unter vielen.

Kann Schönheit gerecht sein?

Es wäre unfair, hier nur Kritik zu üben. Kumas Engagement mit den Gärten, seine Subtraktions-Philosophie, die Zusammenarbeit mit lokalen Handwerkern – das sind echte Gesten der Demut. Das Anliegen von Martins, seine Sammlung öffentlich zu machen, ist ein großzügiger Impuls. Die architektonische Qualität beider Projekte ist unbestreitbar.

Doch die kritische Frage bleibt: Wenn kulturelle Infrastruktur nur durch private Mittel oder Stararchitektur realisierbar wird, wer bestimmt dann die Spielregeln? Und wer kann partizipieren?

Eine zukunftsfähige Architektur in Lissabon müsste diese Spannungen aushalten – die Schönheit nicht verabschieden, aber ihre Produktionsbedingungen transparenter machen. Sowohl Kuma als auch Martins haben gute Absichten. Aber gute Absichten sind kein Ersatz für demokratische Prozesse. Das bleibt die unbequeme Wahrheit hinter diesem glänzenden Kunstboom.

MUSEEN IN LISSABON

Architektur & Zeitgenössische Kunst

1. CENTRO DE ARTE MODERNA GULBENKIAN (CAM)

ORT: Avenida de Berna, Lisboa, Portugal

ARCHITEKTUR: Leslie Martin (1983) | Kengo Kuma & Associates (2024)

ERÖFFNUNG: September 2024

SAMMLUNG: ~11.700 Kunstwerke (Portugiesische Moderne & Zeitgenössisches)

HOMEPAGE: https://gulbenkian.pt/cam/en/

ALTERNATIVER LINK:

ÖFFNUNGSZEITEN: Mo–Fr 10–18 Uhr | Sa 10–21 Uhr | Di geschlossen

2. MACAM – MUSEU DE ARTE CONTEMPORÂNEA ARMANDO MARTINS

ORT: Rua da Junqueira 66, Lisboa (Alcântara-Belém)

ARCHITEKTUR: Metro Urbe | Maria Ana Vasco Costa (Keramik-Fassade)

ERÖFFNUNG: März 2025

SAMMLUNG: 600+ Kunstwerke (Armando Martins, seit 1974)

HOMEPAGE: https://macam.pt/en/

3. MAAT – MUSEUM OF ART, ARCHITECTURE AND TECHNOLOGY

ORT: Av. Brasília, Belém, 1300-598 Lisboa

ARCHITEKTUR: Amanda Levete Architects (AL_A) | Tejo Power Station (1908)

ERÖFFNUNG: Oktober 2016 (MAAT Gallery) | Juni 2016 (MAAT Central)

SAMMLUNG: EDP Foundation Art Collection (~2.500 Werke)

HOMEPAGE: https://www.maat.pt/en/

4. MUSEU CALOUSTE GULBENKIAN (Hauptmuseum)

ORT: Avenida de Berna, Lisboa

SAMMLUNG: Antike bis Moderne (Ägyptische, islamische, armenische Kunst)

HOMEPAGE: https://gulbenkian.pt/en/

5. CENTRO CULTURAL DE BELÉM / BERARDO SAMMLUNG

ORT: Praça do Império, Belém, Lisboa

SAMMLUNG: Berardo Kunstsammlung (Moderne & Zeitgenössisches)

HOMEPAGE: https://www.ccb.pt/

6. PAVILHÃO AZUL – SOLOMUSEUM JULIÃO SARMENTO

ORT: Belém, Lisboa

ERÖFFNUNG: Juni 2025

SAMMLUNG: Werke des Künstlers Julião Sarmento (1948–2024)

ARCHITEKTUR: Früheres Lebensmittellager, umgebaut

BESONDERHEIT: Solomuseum für verstorbenen Künstler

KUNSTVIERTEL BELÉM & ALCÂNTARA

Die Museen MACAM, MAAT und Centro Cultural de Belém bilden einen zusammenhängenden Kunstdistrikt an der Tejo-Mündung. Diese Kulturlandschaft verbindet historische Industriearchitektur (Elektrizitätswerke), moderne Designarchitektur und zeitgenössische Kunstvermittlung in einem einzigartigen öffentlichen Raum.

PRAKTISCHE REISEINFORMATIONEN

·       Beste Verkehrsmittel: U-Bahn (Linie Blau zum CAM), Bus oder Fahrrad

·       Öffnungszeiten variieren – vor Besuch Online überprüfen

·       Viele Museen bieten kostenlose Eintrittsoptionen an

·       Kulinarisch: Restaurants in CAM, MAAT und MACAM

·       Best visiting: Mo–Do weniger Besucherandrang