
Die Villa der Architektin – Melania G. Mazzuccos Hommage an Plautilla Bricci
Eine Architektin im Schatten der Geschichte
Die Architekturgeschichte kennt zahllose große Namen – Vitruv, Palladio, Bernini –, doch Frauen sucht man in diesen Reihen lange vergeblich. Melania G. Mazzuccos Roman Die Villa der Architektin macht die Ausnahme zur Regel: Plautilla Bricci, die erste Architektin der Welt, tritt aus der Vergessenheit hervor. Mazzucco erzählt ihre Geschichte mit der Präzision einer Historikerin und der Leidenschaft einer Schriftstellerin, während sie gleichzeitig den Leser auf eine packende Reise durch das barocke Rom mitnimmt.
Plautilla Bricci: Pionierin in einer Männerdomäne
Plautilla Bricci (1615–1700) lebte und arbeitete im Rom des 17. Jahrhunderts, einer Zeit, in der Frauen auf den privaten Raum beschränkt waren. Berühmtheit erlangte sie durch ihre Arbeiten für den Abt Elpidio Benedetti, darunter die spektakuläre Villa Benedetta auf dem Gianicolo. Doch wie kam es dazu, dass eine Frau in einer von Männern dominierten Disziplin wie der Architektur Fuß fasste?
Melania G. Mazzucco zeichnet ein Bild einer talentierten, aber oft unterschätzten Frau, die mit Hartnäckigkeit und Kreativität die Grenzen ihrer Zeit überwand. Der Begriff architettrice, den Bricci selbstbewusst als Signatur verwendete, wurde für Mazzucco zum Ausgangspunkt einer literarischen und historischen Entdeckungsreise.
Die Villa Benedetta: Ein architektonisches Manifest
Die von Bricci entworfene Villa Benedetta symbolisiert nicht nur architektonischen Fortschritt, sondern auch den sozialen Aufstieg einer Frau, die es wagte, eine Männerwelt zu betreten. Mazzucco beschreibt die Villa als prächtigen Palazzo, der nicht nur Benedettis Status, sondern auch Briccis visionären Stil verkörpert. Die Villa wurde später zu einem Symbol der italienischen Freiheitsbewegung, ein Beweis für die Zeitlosigkeit ihrer Baukunst.
Briccis Arbeiten verbinden klassische Elemente der Renaissance wie Symmetrie und Proportion mit den dynamischen Formen des Barock. Dabei bewies sie einen sicheren Umgang mit Licht und Raum, wie er etwa in der Kapelle der Kirche San Luigi dei Francesi deutlich wird. Hier schuf sie nicht nur architektonische Innovationen, sondern auch kunsthistorische Meilensteine.
Melania G. Mazzucco: Recherche und Romankunst
Mazzuccos Buch ist nicht nur eine literarische Würdigung, sondern auch eine akribisch recherchierte Rekonstruktion von Briccis Leben und Werk. Die Autorin durchforstete Roms Archive, Bibliotheken und Kunstsammlungen, um die wenigen Spuren, die Plautilla hinterlassen hat, zusammenzufügen. Dabei gelang es ihr, aus historischen Fragmenten ein lebendiges Bild der Architektin zu erschaffen.
Mit großer erzählerischer Kraft und feinem Gespür für historische Details zeigt Mazzucco, wie sich Plautilla von einer unbekannten Tochter eines Künstlers zur anerkannten Architektin und Malerin entwickelte. Besonders faszinierend ist, wie die Autorin die Schauplätze der Handlung – von der Piazza del Popolo bis zur Spanischen Treppe – zu Charakteren ihrer Geschichte macht.
Eine Botschaft für die Gegenwart
Die Villa der Architektin ist weit mehr als eine historische Biografie. Mazzucco bringt die Geschichte einer Frau ans Licht, die nicht nur die Geschlechterbarrieren ihrer Zeit überwand, sondern auch die Architektur als Kunstform neu interpretierte. Ihre Werke sind ein Appell an die Nachwelt: Innovation und Kreativität kennen kein Geschlecht.
Dabei schwingt stets ein leiser Humor mit, etwa wenn Mazzucco die kulturellen Eigenheiten des barocken Roms mit den Herausforderungen der Gegenwart vergleicht. Diese subtile Ironie lockert den eleganten und präzisen Stil des Romans auf, ohne seine Ernsthaftigkeit zu untergraben.
Fazit: Eine unverzichtbare Lektüre für Architektur- und Geschichtsliebhaber
Melania G. Mazzuccos Roman ist eine meisterhafte Verbindung von Literatur, Geschichte und Architektur. Die Villa der Architektin erzählt nicht nur die bewegende Geschichte von Plautilla Bricci, sondern gibt auch einen Einblick in die Schwierigkeiten, mit denen Frauen damals wie heute konfrontiert sind.
Für Architekturliebhaberinnen und -liebhaber sowie für alle, die sich für inspirierende Geschichten über mutige Pionierinnen interessieren, ist dieses Buch ein absolutes Muss. Mazzucco beweist, dass selbst aus den Schatten der Geschichte die strahlendsten Figuren hervorgehen können.

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